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Amerika würgt an Vietnam

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Der Krieg in Vietnam ist bisher noch nicht zu dem Kult geworden, zu dem Demokraten ihre Kriege gerne erheben. Für diese Verzögerung gibt es hauptsächlich zwei Gründe. Einmal den Kurzschluß der amerikanischen Diplomatie in den Jahren 1949 und 1950. Aus Panik über den Fall Chinas und aus Angst vor McCarthy verpaßte sie die’ Gelegenheit, einen Sperrgürtel neutraler Staaten in Südostasien zu schaffen. Hinzu kommt die Fragwürdigkeit des Vorwurfes, der Norden habe eine völlig unprovozierte Aggression gegen den Süden unternommen. Zwar interessiert sich der Durchschnittsbürger nicht sonderlich für die trübe Vorgeschichte des Konfliktes. Es ist ąĮsęr doch genug von diesen Tatsachen zu ihm durchgesickert, um kleine Zweifel an der vollständigen Gerechtigkeit der eigenen Sache zu wecken.

Außerdem ist es schwieriger, diesen Krieg mit dem Nimbus der moralischen Überlegenheit zu umgeben, als es bei anderen Kriegen war. Die Entzündung der Kriegsfackel in einem Lande, das zuerst von der beinahe 110jährigen französischen Okkupation und darnach von einem bisher 20jährigen Krieg schwer angeschlagen wurde, kann nur bedingt als verdienstvolle moralische Tat angesehen werden.

Vom rein pragmatischen Standpunkt kann man allerdings gute Gründe für die amerikanische Intervention Vorbringen. Da sich die Vereinigten Staaten nun einmal in diesen Konflikt verwickeln, da sie einen rechtzeitigen Absprung versäumt haben, müssen sie jetzt für ein annehmbares Ergebnis kämpfen. Wenn man meint, daß eine Weltmacht in erster Linie ihren Interessen und erst in zweiter Linie moralischen Erwägungen folgen muß, hat man keine andere Wahl, als Johnsons Kurs zu billigen.

Unter solchen Umständen klingen die Beteuerungen, man kämpfe für das Glück und die Freiheit der Vietnamesen, nicht restlos überzeugend. Jedoch, ein Teil der amerikanischen Jugend nimmt die moralischen Argumente der Älteren bitter ernst. Als Ihr Korrespondent bei einer von Studenten veranstalteten Protestkundgebung den Einwand erhob, die besten Interessen des Landes seien die einzige Richtschnur für die Politik einer Weltmacht, schockierte er seine Zuhörer. Solche jungen Leute, beileibe nicht alle, sind über die Diskrepanz zwischen Phrasen und Wirklichkeit ehrlich erbittert.

Schlag und Gegenschlag

Bis zum Spätsommer schienen die Kriegsgegner für die öffentliche Meinung tonangebend zu sein. Der Schein trog, weil sich, wie immer, wenn die Streitpunkte das Fassungsvermögen des Mannes auf der Straße übersteigen, die öffentliche Meinung nur langsam herausbildet. Anderseits wollten die Befürworter des Krieges erst die öffentliche Meinung hinter sich bringen, bevor sie zum Gegenangriff übergingen. Ihnen geht es um mehr als um Vietnam. Sie sehen in der Opposition Feinde nicht nur des Krieges, sondern der bestehenden Ordnung überhaupt.

Die Anhänger des Status quo befestigen ihre Positionen, aus denen sie Zurückschlagen wollten, auf verschiedene Weise. Das hervorstechendste Beispiel dafür ist, daß das Repräsentantenhaus eine Resolution billigte, die es der Regierung zur Pflicht macht, jeden Aufruhr in einem südamerikanischen Land, bei dem die Möglichkeit eines kommunistischen Einflusses besteht, niederzuwerfen. Es ist begreiflich, daß selbst stramm antikommunistische Regierungen in der südlichen Hemisphäre darüber nicht glücklich sind.

Ein anderes Beispiel ist, daß die Bundesregierung gezwungen wurde, die Ratifizierung des mit der Sowjetunion abgeschlossenen Konsulatsvertrages ‘zu vertagen. Der Vertrag sah eine Vermehrung der beiderseitigen Konsulate vor. Seine Gegner sicherten sich die Schützenhilfe des FBI-Chefs J. Edgar Hoover, der schon zu seinen Lebzeiten eine so legendäre Figur geworden ist, daß kein Präsident einen Konflikt mit ihm riskiert. Hoover erklärte, der Vertrag würde die Sowjetspionage in einem solchen Maß steigern, daß das FBI mit ihr nicht mehr fertig werden könnte.

Teste…

Vor einiger Zeit veröffentlichte die vielgelesene „Saturday Evening Post” eine Umfrage. 59 Prozent der Befragten verlangten, daß auf Hanoi und China Bomben abgeworfen werden sollten. 65 Prozent waren dafür, daß die Vereinigten Staaten in Vietnam bleiben sollten, selbst wenn der Krieg noch 5 Jahre dauerte. Nur 17 Prozent befürworteten eine Räumung Vietnams. Die Zeitschrift schloß aus der Umfrage, daß der Präsident mit zunehmendem Druck für eine Erweiterung des Krieges rechnen muß, „was er so aufrichtig vermeiden möchte”. Es verwunderte, daß die Befragten, soweit ihre Antworten mit Namensnennung und Büd veröffentlicht wurden, durchwegs der Schicht mit der geringsten Schulbildung angehörten.

Man darf vielleicht den Bericht eines Senatsunterausschusses als das Signal zum Gegenangriff betrachten. Dieser vor kurzer Zeit veröffentlichte Bericht will eine kommunistische Lenkung der sogenannten Teach-Ins (nächtliche Diskussionen über den Krieg) an den Universitäten feststellen. Nach dem Rezept McCarthys wurd Schuld durch

Assoziation suggeriert. Die Freundschaft von Veranstaltern von Teach-Ins mit Professoren, die vor mehr als 20 Jahren aus der kommunistischen Partei austraten, wird verdächtigt. Die Tatsache, daß bei den Teach-Ins der Standpunkt der Regierung von hohen Beamten vertreten wurde, wird unterschlagen. Allein in bezug auf die Universität von Colorado wurden dem Bericht vierzig falsche Angaben nachgewiesen. Die eklatanteste von diesen ist, daß ein Professor, der die Teach-Ins ablehnte, als ihr Veranstalter genannt wurde. Es ist bezeichnend, daß der Ausschuß sich auf einen „anonymen Informanten” beruft, dessen Namen er nicht preisgeben könne.

Die „Denver Post”, die größte Zeitung des Staates, bezeichnete diesen Informanten als „entweder Schurke oder Idiot oder beides”. Ihre Aufregung ist verständlich, denn nach und nach wird ein neues Hexenjagdklima geschaffen, in dem die Äußerung abweichender Meinungen gesellschaftlich und beruflich gefährlich wird. Es muß hervorgehoben werden, daß es auch unter den Befürwortern des Krieges solche gibt, die das vermeiden möchten.

Kommunisten mischen mit

Es gehört in dieses Bild, daß die angebliche Erbitterung der Soldaten in Vietnam über die Kriegsgegner groß herausgebracht wird öfters macht bereits das Volk seinem Zorn Luft, mit Fäusten oder wenigstens Tomaten und faulen Eiern.

Auf der anderen Seite verstärken die Studenten ihre Proteste, in einer Weise, die den Veranstaltern der ursprünglichen Teach-Ins Sorge macht. Mit ihrem jugendlichen Überschwang, der bis zu ungesetzlichen Aktionen, wie der Verbrennung ihrer Dienstpflichtausweise, geht, liefern sie ihren Gegnern Munition. Die fatale Schwäche dieser Proteste ist ihre völlige Negativität. Dazu kommt, däß auch andere als idealistische Motive mitspielen. Es wäre auch erstaunlich, wenn die Kommunisten nicht im trüben fischten. Ihrerseits formieren sich die Studenten, die den Krieg gutheißen, zu Gegendemonstrationen.

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