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Krieg gegen den Krieg

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Die dramatische Ereignisse, die den „normalen“ Gang des langen Krieges in Vietnam erschüttern, haben auch den Krieg gegen diesen Krieg verschärft. Selten hat wohl die Geschichte der Menschheit ein merkwürdigeres Schauspiel erlebt als diesen Krieg gegen den Vietnamkrieg. Er ist universal, er ist fanatisch, er ist irrational, er ist selbstmörderisch — und doch hält er an.

Seine Universalität ist vielleicht sein auffallendster Zug. Man beugt sich mit Respekt vor den meisten jener amerikanischen Bürger, die sich in die Kampagne gegen Johnson gestürzt haben. Es ist ja Blut ihres Volkes und Geld ihres Landes, das ln einen Kampf fließt, der manchem von ihnen unnütz und unfruchtbar Vorkommen mag. Aber man steht verwundert vor der Hartnäckigkeit und dem Feuer der antiamerikanischen Gefühle, die durch den Vietnamkrieg in praktisch jedem europäischen Land, in Lateinamerika und sogar im Vatikan erweckt worden sind. Sogar wenn man zugeben würde — was ich nicht zugebe —, daß der Vietnamkrieg nur ein Machtkampf sei, ist man versucht zu fragen, warum er so heftige Opposition in Ländern wie Großbritannien, Frankreich und Deutschland finden soll, deren Geschichte wenig mehr als ein Gewebe von Machtkämpfen 1st. Und doch, da strömt sie, die unaufhörliche Entrüstung gegen „diesen infamen Krieg“, und schüttelt die Bürger von Ländern, deren eigenes Herkommen keineswegs frei von schmutzigen Kriegen ist.

Es handelt sich um eine fanatische Kampagne, kein Pardon, kein Kompromiß. Die Amerikaner haben immer unrecht, die Vietkongs immer recht. Bündel von Photographien zeigen in schauderhaften Bildern die Grausamkeit und Niedrigkeit der Amerikaner und die Nöte der Vietnamesen. Es bleibt dem Leser überlassen, sich zu fragen, ob so Schreckliches nicht vielleicht auch von seiten des Vietkong begangen werde oder ob ähnliches nicht auch in Europa in zwei Weltkriegen geschehen sei, die bei denen von uns, welche sie erlebten, auch nicht eigentlich als Gartenfeste in Erinnerung geblieben sind. Man würde meinen, daß jeder Vorschlag, den die Vereinigten Staaten machen, von Hanoi mit guten Gründen verworfen wird, während jeder von Hanoi kommende Vorschlag bei den Vereinigten Staaten aus schlechten Gründen Ablehnung findet. Hanoi besteht auf bedingungsloser Beendigung der amerikanischen Bombardierungen, und U Thant ist sicher (warum?), daß einem Bombenstopp innerhalb von 14 Tagen „Gespräche“ folgen würden. So geschähe es auch sehr wahrscheinlich, denn Hanoi könnte dann ein Jahr lang „verhandeln“, das heißt seine weiteren Kriegsvorbereitungen ungestört von amerikanischen Bomben fortführen.

Die ganze Kampagne ist durchaus Irrational; ihre Motive bilden einen wirren Knoten. Viele Kritiker des Vietnamkrieges sind vom Haß gegen den Krieg an sich inspiriert. Nichts ist kriegerischer als ein Kriegshasser. Hütet euch vor Pazifisten, wenn sie in Rage kommen. Wenn man die geistigen und gemütsmäßigen Waffen betrachtet, die in diesem Krieg gegen den Vietnamkrieg von Kriegshassern geschwungen werden, könnte man den Eindruck haben, es werde zum erstenmal von Menschen odei Nationen Krieg geführt.

Dann gibt es solche, die den Vereinigten Staaten vorwerfen, sie führten einen Aggressionskrieg. Doch dei

Vietnamkrieg ist eine Episode im Abwehrkampf, den der Westen aufrechterhalten muß, seit die Sowjetunion halb Europa aufgeschluckt und ihre Satelliten gezwungen hat, die

Hilfe, welche die Vereinigten Star ten unter dem Marshallplan anbo- ten, abzulehnen. Trotzdem versteifen sich unrealistische Bürger des Westens darauf, ihren eigenen Verteidigern mit Beschimpfungen in den Rücken zu fallen und damit denen, die tatsächlich ihre Feinde sind, zu helfen. Im Augenblick, da dien Amerikanern in Saigon, Hue und Khe Sanh sowjetische Raketen Mühe machen, bestehen solche Bewohner der freien Welt darauf, den Amerikanern Pro-Vietkong-Filme zu zeigen und ganzseitige antiamerikani- sche Aufrufe zu publizieren.

Warum all das? Wir müssen wohl hinter Erbarmen, Nächstenliebe und christlicher Humanität noch andere Motive suchen, denn sonst müßte sich die Empörung doch auch gegen Ho Tschi-minh und den Vietkong wenden. Die Beweggründe sind wahrscheinlich in verschiedenen Ländern verschieden. In Großbritannien mag die Enttäuschung darüber mitwirken, daß man zu keinem Ausgleich mit Moskau kommt, die Sehnsucht des linken Flügels nach extremen Lösungen, die lange Tradition, anderen zu sagen, wie sie sich aufführen sollen, und die Gelegenheit, die Malaise darüber abzureagieren, daß man nicht mehr selbst Nummer eins in der Welt ist. In Frankreich sind prokommunistische Tendenzen intellektueller Zirkel im Spiel, die Alleingangtendenz de Gaulles, der Hang der französischen Militärs, die auch durch eine Vietnamhölle gegangen sind, zu rufen: „Wir haben es euch gesagt.“ In West-Berlin hilft die Bewegung jedenfalls den Absichten der Kommunisten.

Die ganze Kampagne ist durch eine negative, defaitistische Haltung gekennzeichnet. Man erzählt uns, daß keine der beiden Seiten gewinnen könne (was besonders von denen unterstrichen wird, die alles tun, um einen amerikanischen Sieg zu verhindern). Eminente Sinologen warnen uns, daß China „verschieden" sei — keine welterschütternde Neuheit. Wir werden daran erinnert, daß Demokratie in unserem Sinne in

Asien weder bekannt noch möglich sei — alles Aussprüche, die keine Vorschläge zu Lösungen enthalten. Es ist typisch für diesen Krieg gegen den Vietnamkrieg, daß keine über zeugenden Alternativen vorgelegt werden. Das Gerede über Neutralisierung führt zu nichts. Wenn die Amerikaner abziehen würden, könnte realistischerweise nichts anderes erwartet werden als ein vollständiger Sieg des Kommunismus in ganz Vietnam, natürlich mit Gewalt. Käme es so weit, geriete wahrscheinlich mehr als die Hälfte der Krieger gegen den Vietnamkrieg in Verlegenheit; denn viele von ihnen haben spezifisch Vietnam im Auge. Wenn sich aber der Kommunismus einmal in ganz Vietnam etabliert hätte, würde der Krieg bald in andere asiatische Staaten emigrieren, nach Kambodscha, Laos, Thailand,

Burma, Indonesien, Borneo und den Philippinen. Sie sind alle auf der Liste. Wir haben diesen Prozeß in Europa mit Blitzesschnelle ablaufen sehen. Hier, in unserem Europa, haben wir das Argument auch gehört, daß Demokratie in Ländern wie

Rumänien oder Bulgarien nie eigentlich bekannt gewesen sei und daß man sich darum wenig Sorgen machen müsse, wenn sie unter den sowjetischen Stiefel gerieten.

Nach dem Maßstab „Wem nützt es?“ ist es nur natürlich zu folgern, daß der hartnäckige und universale Krieg gegen den Vietnamkrieg von der Sowjetunion gelenkt wird. Nur der Sowjetunion stehen die finanziellen Mittel und der Propagandaapparat zur Verfügung, um eine derart weltumspannende Bewegung zu orchestrieren. Natürlich sind die überaus große Mehrheit der Mitstreiter in der Kampagne hochanständige Männer und Frauen, Kämpfer im Dienst ihrer Ideale, bereit, die Sache mit Kopf, Herz und Geldbeutel zu stützen; aber sie werden im Dienst eines internationalen Kommunismus benutzt, dem die wenigsten von ihnen angehören möchten.

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