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Habichte und Tauben

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In unserem Kommentar zu Präsident Johnsons Entwurf der „Großen Gesellschaft“ („Die Furche“, Nr. 3, 16. Jänner 1965) befürchteten wir, seine flüchtigen und schönfärbenden außenpolitischen Bemerkungen

könnten einen Eindruck von Schwäche gegenüber Vietnam her* vorrufen. Schon vorher war die Entschlossenheit des Präsidenten auf die Probe gestellt und als ungenügend empfunden worden. Bereits vor einem Jahr hatte der damalige amerikanische Botschafter in Saigon, Henry Cabot Lodge, vergeblich Vergeltungsschläge befürwortet. Allerdings rafften sich die Vereinigten Staaten nach dem Angriff auf ihre Kriegsschiffe in der Tonkin-Bucht im August des Vorjahres auf. Ihre Reaktion beschwingte das, was man euphemistisch die Kampfmoral der Südvietnamesen nennen mag. Als die Vergeltung ein einmaliger Schlag blieb — ein hochgestellter Südvietnämese ironisierte sie als Spiel für die Galerie —, bröckelte der Kampfgeist der Südvietnamesen noch schneller ab als vorher.

Den massiven Angriff, den die Vietkong zwei Tage vor den amerikanischen Wahlen auf den Luft-stützpunikt in Bien Hoa ausführte, beantwortete Washington nicht. Auch Lodges Nachfolger, General Taylor, drang mit seinen Vorstellungen für die Notwendigkeit einer stetigen Vergeltumgsaktion hinterher ebensowenig wie vorher durch. Wäre es unter diesen Umständen verwunderlich, wenn der jüngste kühne Angriff auf die amerikanische Kaserne in Pleiku dem Glauben entsprang, daß die Amerikaner nur noch einen guten Fußtritt benötigten, um Südvietnam aufzugeben? Hätten die Aufständischen es überhaupt für ein an und für sich beschränktes militärisches Ziel riskiert, den Amerikanern einen Vorwand zu geben, um den Krieg nach Norden zu tragen?

Chruschtschows Nachfolger warteten zuerst ab. Jedoch veröffentlichte die „Prawda“ Ende Jänner 1965 einen Artikel, der zeigte, daß die Sowjets zu der Ansicht gekommen waren, die Amerikaner würden eine Niederlage hinnehmen. Damit schien der Zeitpunkt für eine diplomatische Offensive gekommen, die die Sowjetunion aus der Sackgasse ihrer Beziehungen zu den beiden anderen Weltmächten herausführen sollte. Seit Bismarck hatten wohl keine Staatsmänner mehr Grund zur Sorge über den „oauchemar des coalitions“ als die Russen. Für Kossygin schien ein Fußtritt auf einen vermeintlich toten Löwen ein geringer Preis, um das Ansehen der Sowjetunion in Südostasien wiederherzustellen, sowie den erwarteten Triumph Chinas abzuschwächen.

Dagegen hätte sich die Sowjetunion kaum engagiert, wenn die USA vor dem Kossygin-Besuch Entschlossenheit, keine Niederlage hinzunehmen, demonstriert hätten. Wieder einmal zeigt es sich, daß das Risiko nicht in der Entschlossenheit an sich, sondern in ihrem Zeitpunkt liegt.

Bisher hat die Sowjetunion auf die Vergeltungsschläge verhältnismäßig sanft reagiert. Man darf aber nicht übersehen, daß diese keine militärische Entscheidung herbeiführen. Sie sollen gewissermaßen Vorsichtssignale an Hanoi geben. Wie sich bereits gezeigt hat, ist ihnen jedoch eine prestigebedinigte Steigerungsautomatik eingebaut. Von jetzt ab sollen auch Angriffe der Vietkong auf Eisenbahnanlägen, Uberfälle auf Siedlungen und Mordanschläge gegen südvietnamesische Führer vergolten werden. Darnach bleibt nur noch übrig, jeden Angriff der Vietkong überhaupt zu vergelten, was eine Verlagerung der militärischen Entscheidung in den Norden nach sich zöge. Man muß nicht so fatalistisch wie die „New York Times“ sein, die von dem Abrollen einer „griechischen Tragödie“ schrieben, um bei dieser Entwicklung Unbehagen zu empfinden.

Wie die Befürworter und Gregner des Krieges gegen Mexiko 1848 werden ihre heutigen Nachfolger „war hawks“ und „doves“ — Habichte und Tauben — genannt. Die meisten Militärs gehören zu den ersteren, viele Politiker, besonders in der Partei des Präsidenten, zu den letzteren. Wie Dick Nixon werden die „hawks“ von der Uberzeugung geleitet, eine Auseinandersetzung mit China wäre im jetzigen Zeitpunkt einer in fünf Jahren vorzuziehen. Die „doves“ dagegen halten es für unzweckmäßig, die Einwohner Südostasiens in die Arme Chinas zu treiben. Sie glauben, daß Nordvietnam China fürchtet, das ja Vietnam bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts beherrschte. In Ho-Chi-Minh, dem nordvietnamesischen Staatschef, sehen sie einen potentiellen Tito. Ein unter ihm vereintes Vietnam könnte die Ausgangsbasis zu einer Titoisierung des ganzen früheren Indochina werden, zu dem außer Vietnam Kambodscha und Laos gehörten.

Liegt es jedoch noch bei Ho-Chi-Minh, die Ausweitung des Konfliktes zu verhindern? „Es mag Pekings Zielen entsprechen, Nord-vietmam dem allgemeinen Angriffsplan Rotchinas in Asien zu opfern. Aber sind Ho-Ghi-Minh und die Nordvietnamesen bereit, sich opfern zu lassen?“ fragt die „New York Herald Tribüne“ beschwörend. Die offizielle chinesische Nachrichtenagentur verlautbarte, daß chinesische an den Grenzen von Vietnam und Laos stationierte Streitkräfte Nordvietnam „Unterstützung durch Aktionen“ versprochen haben. Zum Schutz oder zur Kontrolle? fragt man sich. In diesem Zusammenhang möchte man gerne wissen, ob die übermütige chinesische Ankündigung, die Vereinigten Staaten würden, nach Vietnam, aus Thailand vertrieben, allzugroßer Illusion oder dem Wunsch, den Konflikt zu schüren, entsprang. Anderseits schließt Mao Tse-tung in einem merkwürdig maßvollen Interview einen Krieg mit Amerika, außer im Falle eines direkten Angriffes auf China, aus. Spielt dabei vielleicht die Hoffnung mit, Chinas beide Feinde, USA und UdSSR, gegeneinanderzuhetzen, von der Erkenntnis der vorläufigen eigenen atomaren Ohsmacht ganz abgesehen?

Sind die „war hawks“ kurzsichtig oder nervenstark. wenn sie die Auseinandersetzung [TTAsien auf China beschränkt sehen? Sehen sie einen Weg, wie sich die Sowjetunion in Ehren wieder aus ihrem vietnamesischen Engagement herausziehen kann? Wenn es diesen nicht gibt, würde eine Ausweitung des Konfliktes wohl eine neuerliche Konfrontation zwischen den beiden Hauptatommächten, wie zur Zeit der Kubakrise, heraufbeschwören.

Aber selbst im Falle eines sowjetischen Rückzuges in letzter Minute würden die zwischen den beiden Weltmächten mühevoll gesponnenen Fäden abreißen. „Die USA können nicht ihr Verhältnis zur Sowjetunion bessern, solange £ sie andere sozialistische Länder angreifen“, erklärte Kossygin soeben in Nordkorea. Auf jeden Fall besteht zum erstenmal seit langer Zeit wieder eine wenn auch begrenzte und vorübergehende Einheitsfront des sozialistischen Lagers.

Anderseits sollte man nicht übersehen, daß, wenn die Sowjetunion den Schutz Nordvietnams den Chinesen entwindet, für die Noid-vietnamesen kein Zwang besteht, sich für China zu opfern. Nordvietnams wirtschaftliche Lage ist schlecht, die Bevölkerung ist apathisch wie im Süden, und unter den Bergstämmen herrscht Unruhe. Man darf daher annehmen, daß Nordvietnam sich Ratschlägen zur Mäßigung nicht unbedingt verschließen wird.

Allerdings ist die Komplikation da, daß auch im Falle eines De-facto-Waffenstiflstandes zwischen den beiden Teilen Vietnams,v es so aussieht, als ob der wurmstichige Apfel Südvietnam früher oder später dem Norden in den Schoß fallen wird. Werden sich die Vereinigten Staaten mit einer Lösung abfinden, die diese Möglichkeit beinhaltet? Aber wenn man auch noch soviel Blut und Tränen aufwendet, läßt sich überhaupt eine Lösung finden, die Südvietnams Integrität ohne Beihilfe seiner Bevölkerung garantiert?

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