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Französische Sorgen um Indodiina

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Seit dem Ausbruch des Krieges in Südkorea hat der Kampf, den Frankreich seit vier Jahren in Indochina führt, eine neue Bedeutung gewonnen; es wurde offenbar, daß es sich in Indochina wie in Südkorea — wenn auch ein Unterschied in den Einzelheiten besteht —, um die gleiche Sache handelt, um die Verteidigung des Westens den bolschewistischen Bestrebungen gegenüber, die in ihrem Dienste die asiatischen Völker zu mobilisieren wußten. In den drei Ländern Tonkin, Annam und Cochin-china — die, unter dem Namen Viet-Nam zusammengefaßt, heute wieder unter der Herrschaft des früheren Kaisers Bao-Dai stehen — hat der Kleinkrieg seit dem Rückzug der Japaner eigentlich nie ganz aufgehört. Mit der Ankunft der Truppen Mao-tse-tungs an der Nordgrenze hat Indochina plötzlich eine internationale

Bedeutung erhalten. Es ist zum letzten Riegel vor der Flut geworden, die über Thailand, die malayischen Staaten, Burma und Indien herzufallen droht.

Nach dem Waffenstillstand übernahm im Viet-Nam eine „nationale“ Regierung die Macht, die von Ho-Chi-Minh geleitet wurde. Als politischer Berater stand der Kaiser von Annam, Bao-Dai, an seiner Seite, der von seinem Thron abgedankt hatte, um der neuen Republik zu dienen. In den beiden anderen Ländern Indo-chinas — Laos und Kambodscha — blieben die Herrscher am Ruder.

Dem Prinzip der „Französischen Union“ treu, das noch während des Krieges von General de Gaulle in Brazzaville verkündet wurde und für die französischen Kolonialgebiete weitgehende Selbstregierung im Rahmen einer Union mit dem Mutterland yorsah, nahmen die einmarschierenden französischen Truppen mit Ho-Chi-Minh die Fühlung auf. General Leclerc und später der Mönch-Admiral Thierry d'Argenlieu versuchten einen „Modus vivendi“ zu schaffen, auf die Annahme begründet, daß die neue Regierung vom Volke angenommen und zur Zusammenarbeit mit Frankreich bereit wäre. Dieser Auffassung war auch die freundliche Aufnahme Ho-Chi-Minhs in Frankreich zuzuschreiben, als er nach Paris kam, um mit der französischen Regierung die Einzelheiten des neuen Verhältnisses festzulegen.

Kurz darauf verschlechterten sich jedoch die Beziehungen. Unter Umständen, die heute noch nicht eindeutig klar sind, fanden Überfälle der Viet-Minh-Guerillas (Vieth-Minh ist die Partei Ho-Chi-Minhs) auf französische Posten statt. Bao-Dai zog sich nach Hongkong zurück, und die Franzosen brachen das Gespräch mit Ho-Chi-Minh ab, der damit zum Rebellenführer gestempelt wurde. Obwohl scheinbar auch heute noch mehrere Parteien in seiner Regierung vertreten sind, gewann das kommunistische Element — das zunächst nur die wichtigsten Schlüsselstellungen besetzt hatte — immer mehr Wichtigkeit. Außerdem konnte der Viet-Minh auch das Verlangen der Viet-Namesen nach Unabhängigkeit zu seinen Gunsten ausnützen.

Dieses Verlangen nach Unabhängigkeit hat seitdem nicht nachgelassen. Das Kaisertum Annam und die umliegenden Länder blicken auf eine lange und kulturell äußerst inhaltsvolle Vergangenheit zurück, aus der die heutigen Politiker Hoffnung und Zuversicht schöpfen können. Zwar fanden viele Nationalisten seit der Rückkehr Bao-Dais aus Frankreich in ihm einen neuen Vertreter ihrer Bestrebungen, jedoch sind jene, die vorerst lieber auf Ho-Chi-Minh vertrauen, ebenso zahlreich. Obwohl diese ansonsten sein politisches Kredo übernehmen, glauben sie, sich seiner entledigen zu können, wenn einmal die volle Unabhängigkeit zurückgewonnen wurde. Besonders akt'V ist in dieser Beziehung die katholische Kirche in Indochina, die den französischen Bestrebungen mißtrauisch gegenübersteht und einen beachtenswerten Faktor • darstellt.

Was sind diese französischen Bestrebungen? Es ist schwer, eine klare Antwort zu geben, denn die Lage ist ziemlich verwickelt, und die Parteien in der französischen Nationalversammlung sind sich bei weitem nicht einig. Die rechtsstehenden Parteien bezeigen .altmodische“ koloniale Anwandlungen; MRP und Mitte möchten Indochina erst pazifizieren, dann Bao-Dai überantworten und im Rahmen der Französischen Union mit einer recht weitgehenden Autonomie ausstatten; die Sozialisten waren bis vor kurzem für die Wiederaufnahme der Gespräche mit Ho-Chi-Minh, jedoch wurde ihnen diese Möglichkeit seit seiner Anerkennung durch die Sowjetunion genommen; die Kommunisten stempeln sdiließlich das Unternehmen Indochina als imperialistisch und sündhaft, wollen es materiell sabotieren und verlangen kurzerhand den Rückzug der französischen Truppen und die Überlassung Indochinas der volksdemokratischen Regierung Ho-Chi-Minh. Daß in den Augen der Kommunisten dieser Schritt gleichzeitig mit der Absetzung der Pariser Regierung erfolgen muß, braucht kaum erwähnt zu werden.

Die Vereinbarung, d;e zwischen der Französischen Republik und Eao-Dai getroffen wurde und die Vorbedingung für seine Rückkehr nach Indochina darstellte, sieht eine weitgehende Autonomie vor. Der französische Beamtenapparat soll schrittweise abgebaut werden und durch Viet-Namesen ersetzt werden. Auch soll eine Viet-Nam-Armee errichtet werden.

Sdiließlich erhält Bao-Dai das Recht, in einige Hauptstädte, so zum Beispiel Washington und London, Botschafter zu entsenden. Diese Vereinbarung ist im Zuge der Verwirklichung. Es wird aber Tag für Tag mehr offenbar, daß die Durchführung schwieriger ist, als man es sich ursprünglich vorgestellt hatte. Es wird immer schwerer, Ersatz für die französischen Kolonialbeamten zu finden, und was die Armee anbelangt, so mangelt es an Offiziers- und Unteroffizierskadern. Einstweilen wird sie deshajb von Franzosen geführt, wie auch vereinbarungsgemäß der Generalstabschef ein französischer General sein soll. Um aber die Änderung auch in der Terminologie zum Ausdruck zu bringen, wird das französische Expeditionskorps seit kurzem als „Einheit der Französischen Union' bezeichnet.

Die militärische Lage, die alle anderen Probleme an Wichtigkeit übertrifft, ist jener des Burenkrieges nicht unähnlich. Auch diesmal stehen reguläre Truppen irregulären gegenüber. Wie in Südafrika, so haben letztere auch in Indochina den Vorteil, das Gelände zu kennen und seine Hindernisse zu ihren Gunsten ausnützen zu können. Sie unternehmen kühne Handstreiche, um dann ins Dschungel zu entschwinden, und können so auf beachtenswerte Ergebnisse zurückblicken. Die französische Armeeführung weicht mit Recht einem Dschungelkampf aus und sichert nur die Ebenen durch ein System von Blockhäusern und Wachttürmen. In besonders partisanengefährdeten Gegenden muß auch der Straßenverkehr durch eine „Luftbrücke“ ersetzt werden. Das französische Kommando ist bestrebt, die Partisanen des Viet-Minh von den Reisgebieten abzuschneiden und dadurch auszuhungern. Das verhindert aber die Attentate nicht, die in Hanoi wie in Saigon mit ziemlicher Regelmäßigkeit verzeichnet werden müssen und den Verkehr nach dem Einbruch der Dunkelheit unratsam machen.

Denn, wie wir bereits angedeutet haben, die Lage im Lager der Indochinesen selbst ist bei weitem nicht geklärt. Hie Viet-Nam, hie Viet-Minh — nun, so klare Abgrenzungen gibt es nicht. Die Bande der Verwandtschaft reichen über die Demarkationslinien hinaus, und die Bande des Handels ebenfalls.

Dieser undankbare Tropenkrieg hat Frankreich viel Blut und Geld gekostet. Amtlichen Schätzungen zufolge fällt täglich ein Offizier in Indochina, und die Kosten sind so hoch, daß sie den überwiegenden Teil des Militärbudgets verschlingen und kaum etwas für die Neuorganisierung der französischen Armee übriglassen. Die französische Regierung war deshalb der Ansicht, daß sie die Lasten dieses Unternehmens unmöglich weiter allein tragen könne. Sie konnte diese Argumentation mit der internationalen Lage begründen und mit dem Dienste, den der Riegel — aus französischen Soldaten gebildet — in Indochina den Vereinigten Staaten und Großbritannien leistet. In Washington verschloß man sich den Argumenten der Pariser Regierung nicht. Verschiedene Missionen des State Departments bereisten Indochina, um über die politische Lage und die wirtschaftlichen Bedürfnisse zu berichten. Einheiten der US Navy statteten Saigon einen Höflichkeitsbesuch ab — der übrigens zu unliebsamen Zwischenfällen führte.

Statt ein Einvernehmen herbeizuführen, haben diese Missionen durch ihre Tätigkeit das Verhältnis zwischen Washington und Paris eher angespannt. Dem alten amerikanischen Vorurteil gegen die „Kolonisierung“ folgend, wurde der öffentlichen Meinung der USA erklärt, daß die Unterstützung der Vereinigten Staaten als Gegenbedingung — ja vielleicht als Vorbedingung — die vollständige Unabhängigkeit des Viet-Nam haben sollte.

In den letzten Monaten mußte die Fernostarmee große Opfer auf sich nehmen, da die Guerillas des Viet-Minh, mit neueren Waffen ausgestattet, in örtlicher Überlegenheit auftraten. Weitere Opfer konnten ihr unmöglich zugemutet werden, besonders aher nicht, mit veraltetem Material zu kämpfen, während die moderne amerikanische Bewaffnung den Rekruteneinheiten Bao-Dais zur Verfügung gestellt werden soll. Unter diesen Umständen erklärte die französische Regierung, daß sie die Aktion in Indochina abbrechen werde, wenn sie nicht baldigst von den USA und Großbritannien unterstützt würde.

Die amerikanische Unterstützung wurde im Prinzip versprochen. Es stehen dem Präsidenten dafür 75 Millionen Dollar zur Verfügung, die vom Kongreß für „das Gebiet Chinas“ bewilligt wurden. Er kann auch etwa 60 Millionen Dollar aus dem ECA-Fonds heranziehen. Diese Summe wurde für Südostasien bestimmt, jedoch im Finanzjahr 1949/50 nicht aufgebraucht. Der Krieg im Viet-Nam wird aber im laufenden Jahr dem französischen Staat an die 500 Millionen Dollar kosten, vom Problem der Blutopfer gar nicht zu reden. Es ist also durchaus begreiflich, daß es den Franzosen weder als Soldaten noch als Steuerzahler zugemutet werden kann, unter solchen Umständen den Kampf weiterzuführen, selbst dann nicht, wenn die hier angeführte Summe von 135 Millionen Dollar tatsächlich restlos zugesprochen wird.

Darüber ist sich auch die amerikanische Regierung im klaren, und wenn sie die erforderlichen Konsequenzen zieht, muß sie beim Kongreß um weitere Kredite ansuchen. Ist die öffentliche Meinung einem solchen Begehren gegenüber günstig eingestellt, könnte die Regierung die erbetenen Mittel erhalten. Vorerst ist aber die öffentliche Meinung in den USA kaum unterrichtet.

In Paris hat man durch die Aufstellung eines Ministeriums für assoziierte Länder — das künftig an Stelle des Kolonialministeriums die Angelegenheiten des Viet-Nam, Laos und Cambod-ges behandeln wird — eine Zwischenlösung, die eine gewisse psychologische Wirkung erzielen konnte. Nach Pau, dem Kurort am Fuß der Pyrenäen, wurden Delegationen des Viet-Nam, des Laos und Cambodges berufen, um an einer Konferenz über die Fragen zu verhandeln, die ihr Zusammenleben als unabhängige Staaten im Rahmen der Französischen Union regeln sollen. Es handelt sich dabei um Flußschiffahrt, Zollrechte und anderes mehr. Die seit Monaten andauernden Besprechungen, an denen auch französische Delegierte teilnehmen, haben den Indochinesen bewiesen, daß die Unabhängigkeit auHi zahlreiche neue Verantwortlichkeiten bedeutet.

Vor einigen Monaten war man in Paris ziemlich pessimistisch über den endgültigen Ausgang der Operationen in Indochina, und fragte sich, ob denn die anderen Westmächte ein klares Bild der Lage gewonnen haben. Werden sie Frankreich unterstützen, den Damm Indochina gegen die rote Flut aufrechtzuerhalten, oder aber die Franzosen des „Kolonialismus“ beschuldigen? Der Krieg in Südkorea hat aber auf diesem Gebiet Klarheit geschaffen.

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