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Geschäft mit Elend

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Vor der Ostküste Malaysias treiben alte verrostete Frachter, überfüllt mit Frauen und Männern, Kindern und Greisen, Kranken und Schwachen -Menschen, die nach einer neuen Heimat suchen. Doch die Küste, die den Ausgangspunkt für ein neues Leben zu versprechen scheint, ist für diese Bootsinsassen vielfach unerreichbar. Malaysische Küstenwach-boote lassen die Flüchtlingsfrachter erst gar nicht in Ufernähe, sondern schleppen sie wieder ins offene Meer zurück.

Szenenwechsel: An der thailändischen Grenze zu Kambodscha (Kam-putschea) lungern zwischen zerschlissenen Zeltplanen tausende von Kambodschanern, zumeist alte Menschen und Kinder. Sie sind der Hölle des vietnamesisch-kambodschanischen Krieges entkommen, haben das Terrorregime des Steinzeitkommunisten Pol Pot überlebt und glauben sich auf thailändischem Boden vor Hunger, Mord und Brandschatzung gerettet.

Doch Thailand gewährt ihnen nur eine vorübergehende Ruhepause. Tausende ihrer Leidensgenossen haben thailändische Militärs mit Lastwagen und Bussen unmittelbar an die Grenze gekarrt und sie zurück auf die andere Seite getrieben - zurück in die Hölle.

Die Flüchtlings-Tragödie in Südostasien hat ein Ausmaß angenommen, daß die Regierungen der nichtkommunistischen Staaten der Region mit dem Elend nicht mehr fertig werden. Sie sind nicht einmal mehr bereit, den Flüchtlingen aus Vietnam, Laos und Kambodscha beim Uberleben zu helfen. Ihre rigorosen Maßnahmen, mit dem sie den Flüchtlingsstrom zu stoppen versuchen, bedeuten für vietnamesische Bootsleute und kambodschanische Lagerinsassen zumeist den sicheren Tod.

Auf den ersten Blick scheint die Empörung über das rücksichtslose Vorgehen der Regierungen in Kuala Lumpur und Bangkok, das inzwischen a'uch Indonesien und Hongkong praktizieren, gerechtfertigt. Doch ganz so einfach soll man es nicht machen. Daß eine deutliche Verhärtung in der Einstellung gegenüber den Flüchtlingen aus Indo-china in den südostasiatischen Staaten festzustellen ist, hat tiefere Ursachen:

Die malaysische Regierung, die das Land von seinen 76.000 Indochina-

Flüchtlingen säubern will, fürchtet, daß durch die überwiegend chinesisch-stämmigen Flüchtlinge das ohnehin labile ethnische Gleichgewicht vollkommen in Unordnung geraten könnte. Seit Jahren hat Kuala Lumpur darauf geachtet, daß der Bevölkerungsanteil und der wirtschaftliche Einfluß der Chinesen im eigenen Land nicht zu mächtig wird. Der Strom der Chinesen aus Vietnam droht, diese Bemühungen nun mit einem Schlag zunichte zu machen.

Dazu kommt noch eins: Die mehrheitlich armen muslimisch-malaiischen Küstenbewohner betrachten die Fremden mit Neid, die von der UNO unterstützt werden und hinsichtlich der Wasserversorgung und der medizinischen Betreuung privi-ligiert sind. Dieser Neid nährt die nationalen und rassischen Vorurteile und läßt die Lager und ihre Umgebungen zusehends zu Pulverfässern werden.

Ähnliche Erscheinungen sind übrigens auch in Thailand festzustellen, wo sich mindestens 200.000 Flüchtlinge aus Indochina aufhalten. Auch hier wächst der Neid der hart am Existenzminimum arbeitenden Thais.

Außerdem sind die südostasiatischen Staaten einfach zu arm und zu schwach, um mit der von Tag zu Tag größer werdenden Last der Flüchtlinge fertig zu werden. Ihr Argument gegen die Vorwürfe aus aller Welt ist deshalb nicht so unangebracht: Sollen doch diejenigen Staaten den Flüchtlingen helfen, die die Mittel dazu hätten!

Die Anklagen scheinen demnach an die falsche Adresse gerichtet. Der weltweite Protest müßte sich gegen jenes Terrorregime richten, das den Massenexodus inszeniert hat, ja sogar fördert: An den Pranger gehört die kommunistische Regierung Vietnams! Denn es ist offensichtlich die Absicht der Hanoier Führung, all jene Bevölkerungsteile außer Landes zu schieben, die aus politischen oder rassistischen Gründen nicht in ihr marxistisches Konzept des Gesell-schaftsaufbaus passen.

Bestialisch ist dabei nicht nur die Art und Weise, wie Vietnams Kommunisten dieses Ziel verfolgen, bestialisch ist auch die ideologische Konzeption, die hinter der Vertreibung steckt. Nicht nur, daß Hanoi ein Geschäft mit dem Flüchtlingselend macht, hohe Ausreisegebühren in harten Devisen, Gold oder Wertsachen eintreibt: die Vertreibung hat offensichtlich auch den Zweck, die nichtkommunistischen Nationen durch den Flüchtlingsstrom sozial und wirtschaftlich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Die solchermaßen sturmreif gemachten Staaten der Region wären für die vietnamesischen Revolutionäre dann um so leichter in den Griff zu bekommen.

Das ist sicher mit eine Überlegung, die die Regierungen der ASEAN-Staaten (Verband südostasiatischer Nationen) dazu bewogen haben, eine totale „Flüchtlingsblockade“ zu errichten, um damit der Unterhöhlung ihrer Staatsgefüge zu entgehen..

Nach neuesten Schätzungen sind etwa eine halbe Million Menschen aus Vietnam geflohen oder vertrieben worden. Weitere 200.000 sollen bei der Flucht über das Meer ertrunken sein. Zieht man nun in Betracht, daß jeder Flüchtling eine Ausreisegebühr von mindestens 30.000 Schilling bezahlen mußte, ergeben sich für die Hanoier Kommunisten Milliarden-Beträge als Einnahmesummen.

Beteiligt haben sich an diesem Geschäft wahrscheinlich auch die Sowjets. Jedenfalls wird von etlichen Beobachtern behauptet, daß Moskau Gold nach Südvietnam liefere, wo Fluchtwillige es gegen harte Dollars oder persönliches Vermögen erwerben können. Die Antwort des sowjetischen Pressesprechers Leonid Za-myatin auf die Frage eines amerikanischen Journalisten bei einer Pressekonferenz anläßlich des Wiener Gipfeltreffens, was die Sowjetunion im Zusammenhang mit den Indochi-na-Flüchtlingen zu tun gedenke, muß deshalb nicht verwundern. Zamyatin erklärte:

„Die Flüchtlingsfrage hat eine lange Geschichte und die vietnamesische Regierung hat bereits öfters erklärt, warum diese Flüchtlinge aufgetaucht sind und wer sie sind. Was Kamputschea betrifft, gibt es keine Flüchtlinge von dort. Die Leute, die aus Kamputschea fliehen, sind die Chinesen.“

Was im Endeffekt wohl heißen soll, daß Moskau in Südostasien weiter Geschäfte machen will und der Verbündete Vietnam nicht davon abgehalten werden soll, von der Not anderer zu profitieren und die Revolution auf Wegen des Elends zu exportieren.

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