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Kambodscha ist keine Schweiz..

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Wenn südostasiatische Prinzen in das Reich der Träume flüchten, denken sie, so scheint es, automatisch an die Schweiz. Vor fünfzehn Jahren schien die Verwirklichung solcher Träume eine kurze Sternstunde lang greifbar. Prinz Souvanna Phouma konnte 1956 noch sagen: „Ich will Laos zur Schweiz Südostasiens machen!“ Heute ist jeder Gedanke an echte Neutralität in dieser Weltecke Utopie ohne Kontakt mit der Wirklichkeit. „Ich habe,“ sagte Prinz Norodom Sihanouk nach seiner Absetzung, „immer von einem Kambodscha nach Schweizer Art geträumt!“ Aber solange in Vietnam gekämpft wird, ist auf ein friedliches Kambodscha ebensowenig zu hoffen wie auf ein friedliches Laos. Wenn in Vietnam weitergekämpft wird, ist eher damit zu rechnen, daß der Krieg auch auf Thailand übergreift. Der Vietnamkrieg breitet sich, nur seinen eigenen Gesetzen und allenfalls den Wünschen der militärischen Scharfmacher aller Lager folgend, weiter aus. überdies sägt in Kambodscha, Laos und Thailand eine korrupte, reformfeindliche Oberschicht emsig weiter an dem Ast, auf dem sie sitzt.

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Wenn südostasiatische Prinzen in das Reich der Träume flüchten, denken sie, so scheint es, automatisch an die Schweiz. Vor fünfzehn Jahren schien die Verwirklichung solcher Träume eine kurze Sternstunde lang greifbar. Prinz Souvanna Phouma konnte 1956 noch sagen: „Ich will Laos zur Schweiz Südostasiens machen!“ Heute ist jeder Gedanke an echte Neutralität in dieser Weltecke Utopie ohne Kontakt mit der Wirklichkeit. „Ich habe,“ sagte Prinz Norodom Sihanouk nach seiner Absetzung, „immer von einem Kambodscha nach Schweizer Art geträumt!“ Aber solange in Vietnam gekämpft wird, ist auf ein friedliches Kambodscha ebensowenig zu hoffen wie auf ein friedliches Laos. Wenn in Vietnam weitergekämpft wird, ist eher damit zu rechnen, daß der Krieg auch auf Thailand übergreift. Der Vietnamkrieg breitet sich, nur seinen eigenen Gesetzen und allenfalls den Wünschen der militärischen Scharfmacher aller Lager folgend, weiter aus. überdies sägt in Kambodscha, Laos und Thailand eine korrupte, reformfeindliche Oberschicht emsig weiter an dem Ast, auf dem sie sitzt.

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Ein Blick auf die Landkarte genügt, um zu erkennen, warum der Vietnamkrieg nicht auf Vietnam beschränkt werden kann und echte Neutralität in der Nachbarschaft Vietnams unmöglich ist. Vietnam ist ein langer, schmaler, zudem noch gekrümmter Küstenstreifen. ^ Südvietaam ist kaum irgendwo breiter als hundertfünfzig Kilometer. Nachschub aus Nordvietnam nach Südvietnam über südvietnamesisches Gebiet würde einen Umweg über ein besonders gefährdetes, vom Gegner leicht zu kontrollierendes Gebiet bedeuten. Vielleicht .verführte dieser Umstand die amerikanischen Verantwortlichen immer wieder zu allzu optimistischen Einschätzungen, die weitere Entwicklung betreffend.

Aber die Luftlinie vom Norden in den Süden Vietnams führt ohnehin nicht über vietnamesisches, sondern über laotisches und kambodschanisches Gebiet, und zwar jeweils über die östlichen Teile dieser Länder. Gelänge es, die kommunistischen Einheiten in Südvietnam tatsächlich von ihren über laotisches und kambodschanisches Gebiet führenden Nachschubwegen abzusperren, wäre der Vietnamkrieg zu Ende. Optimistische Strategen im Pentagon gehen davon aus, daß es tatsächlich möglich sei, diese Verbindungswege zu sperren.

Die unmittelbar Betroffenen, das heißt die Bauern in den vom sogenannten Ho-Tschi-Minh-Pfad durchquerten Gebieten, können sich eine solche wirklichkeitsfremde Einschätzung der tatsächlichen Gegebenheiten nicht leisten. Da sie ihr Leben lieben, da sie nicht wollen, daß ihre Dörfer in Flammen aufgehen, hüten sie sich, dem Vietkong oder nordvietnamesischen Einheiten Schwierigkeiten zu machen.

Sie sind natürliche Verbündete des Vietkong noch aus einem anderen Grund. Die Nahrungsbasis des Vietkong in Südvietnam ist schmal geworden. Der Ho-Tschi-Minh-Pfad, der in Laos den amerikanischen Bombenangriffen ausgesetzt ist, ist durch Waffen- und Munitionstransporte voll ausgelastet. Der Vietkong versorgt sich daher in den grenznahen Gebieten der Nachbarländer mit Verpflegung. Der Vietkong bezahlt in amerikanischen Dollars.

Das bedeutet einen bescheidenen Wohlstand für die ansonsten sehr armen Bauern.

Prinz Sihanouk ist 47 Jahre alt und seit 30 Jahren König beziehungsweise „Staatschef“; der Verzicht auf den Thron sicherte ihm erheblich größere politische Bewegungsfreiheit. Für den kleinen Mann, vor allem in den Dörfern, gilt er ohnehin nach wie vor als der König. Die Politik Sihanouks war keine kommu-nistenfreuindliche Politik, unter den hunderten politischen Häftlingen, die nach seiner Absetzung freigelassen wurden, war auch Non Suon, der zu einer langjährigen Strafe verurteilte Führer der prokommunistischen Volkspartei Prochea Chaon. Sihanouks Politik war einfach eine Politik auf Grund einer realistischen Einschätzung der tatsächlichen Machtverhältnisse.

Kambodschas Neutralität, wie sie von Sihanouk praktiziert wurde, ließe sich kurz etwa folgendermaßen formulieren: Vietkong und nordvietnamesische Truppen dürfen sich östlich des Mekong beliebig durch kambodschanisches Gebiet bewegen. Chinesische und sowjetische Schiffe dürfen in Sihanoukville ihre für die kommunistischen Truppen in Vietnam bestimmte Ladung löschen, chinesische Transportkolonnen dürfen sie an jeden beliebigen Punkt der kambodschanisch-südvietnamesischen Grenze bringen. Kommunistische Einheiten dürfen sich vor amerikanischer oder südvietnamesischer Verfolgung auf kambodschanisches Gebiet zurückziehen. Selbstverständlich dürfen sie in Kambodscha nach Herzenslust einkaufen. Amerikaner und Südvietnamesen haben nicht das Recht, kommunistische Einheiten auf neutralem kambodschanischen Boden zu bekämpfen. Dafür müssen sich letztere in Kambodscha anständig benehmen, das heißt: nicht allzu auffallend auftreten und die kambodschanischen Bauern nicht gegen ihren König, ihre Regierung oder ihre Grundherren aufwiegeln. Sollten sie allzusehr auffallen, wird ein wenig protestiert. In letzter Zeit erschien dieses Ubereinkommen, das selbstverständlich niemals offiziell fixiert wurde, bedroht. Vietkong und nordvietnamesische Einheiten bewegten sich auf kambodschanischem Gebiet immer ungenierter, der regulären kambodschanischen Armee von knapp 40.000 Mann standen ebenso viele kommunistische Kämpfer gegenüber, das war Wasser auf die Mühle aller, die Sihanouk nicht länger Gefolg -schaft leisten wollten. Denn dem vitalen Interesse Kambodschas, wenn schon nicht von den Kriegern, so doch wenigstens vom Krieg verschont zu bleiben, stand ein nicht weniger massives amerika-nisch-südvietnamesisöhes Interesse gegenüber, Vietkongs und Nordvietnamesen in ihren kambodschanischen Schlupfwinkeln aufzustöbern. Man könnte auch sagen: Die Politik des Prinzen Sihanouk war eine egoistisch-kambodschanische Politik, die nur den Frieden des Landes, nicht aber das höhere Ziel, den Vormarsch des Kommunismus in Asien zu stoppen, im Auge hatte.

Neutralität — neu definiert

Es gehört sehr viel Naivität zu der Annahme, die CIA könnte es unterlassen haben, in der kambodschanischen Hauptstadt Verständnis für die militärischen Interessen Amerikas und Südvietnams — und Verbündete — zu suchen. Das heißt nicht, daß die Absetzung Sihanouks unbedingt von langer Hand vorbereitet war oder gar von der CIA organisiert wurde. Aber die Vermutung liegt nahe, daß einige Interessenten in CIA und Pentagon über die Vorgänge in Phnom Penh besser informiert waren als die offizielle amerikanische Politik. Selbstverständlich sprechen Phnom Penh und Washington die reine Wahrheit, wenn sie ihrem Wunsch sich die Gegenseite dazu verstehen kann, ihn etwas zu verschmälern. Mag sein, daß sie sich dazu bereit erklärt.

Aber die Ereignisse haben ihre eigene Dynamik. Und der Lebenslauf des neuen starken Mannes in Phnom Penh, Lon Nol, der ebenso wie sein Helfer Prinz Sirik Matak seit langem als Feind der Kommunisten gilt, läßt nicht darauf schließen, daß er bereit sein könnte, die übergeordneten Interessen — Bekämpfung des Kommunismus in Asien — den Interessen der kambodschanischen Bevölkerung im gleichen Maß unterzuordnen, wie dies Sihanouk getan hat. So droht jede Verschärfung der Situation in Vietnam die Vietnamisie-rung Kambodschas einzuleiten. Man könnte auch sagen, daß Kambodscha ein zweites Laos mit allen Bombardierungsschrecken und Laos ein zweites Vietnam zu werden droht. Die Regierungen in Phnom Penh und Vientiane könnten noch mit etwas mehr Optimismus in die Zukunft blicken, stünde eine abwehrbereite Bevölkerung vietnamesischer Aggression gegenüber. Dies ist nicht der FalL denn sowohl in Kambodscha und Laos als auch in Thailand leben die Bauern, das heißt die Mehrheit der Bevölkerung, in Verhältnissen, die nicht geeignet sind, ihre Anfälligkeit gegenüber dem Kommunismus zu vermindern. Dazu kommt in Laos und Thailand die ethnologische Un-einheitlichkeit der Bevölkerung und in Thailand das Opiumverbot, das die Bergstämme, die ihren bescheidenen „Lebensstandard“ nur mit Hilfe des Opiumhandels halten können, zu geschworenen Feinden der Regierung machte. Darüber wird in weiteren Beiträgen berichtet.

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