6832374-1974_46_06.jpg
Digital In Arbeit

Auch Dubčeks Partisanen?

Werbung
Werbung
Werbung

Wird es in Bälde möglich sein, eine Exilregierung in die UNO aufzunehmen? Die Zulassung der Vertreter Bissaus und der palästinensischen Partisanenbewegung PLO deuten darauf hin. Eines nicht zu fernen Tages wird Arafat im Namen seiner militanten Partisanenorganisation an Stelle des Beobachterstatus tun die regelrechte Aufnahme eines gar nicht existierenden Palästinenserstaates und damit um die internationale völkerrechtliche Anerkennung einer Exilregierung an- suchen. Der erste wahrhaft „große Sprung nach vorne“ wurde diesbezüglich in New York bereits getan, wo die von niemandem gewähl ten Vertreter der ,»palästinensischen Nation“ in Kürze auf treten und eine dramatische Dauerschau inszenieren werden.

Was wird aber geschehen, wenn zum Beispiel kubanische antikommunistische Flüchtlinge in den USA

ebenfalls eine Exilregierung bilden und einige UNO-Mitgliedstaaten finden, die ihr Aufnahmegesuch in der Vollversammlung unterstützen? Oder wenn König Mohammed Zahir Schah, den General Aadar Mohammed Daud verjagt hat, in Indonesien eine afghanische Exilregierung ins Leben ruft und um deren, Aufnahme in die UNO bittet? Oder wenn die Partisanen des Expräsidenten Milton Obote dasselbe täten und gleichzeitig mehrere afrikanische Staaten verlangten, die Vertretung Ugandas sei dem General Idi Amin zu entziehen und den Exponenten Obotes anzuvertrauen? Oder wenn der Expräsident Fernando Belaunde Terry in einem lateinamerikanischen Land eine Gegenregierung organisiert, die Ausbootung der Repräsentanten des Generals Juan Velasco Alvarado fordert und die Vertretung Perüs für sich beansprucht?

Grotesk? Durchaus nicht. Abge sehen von der PLO, gibt es bereits eine .Exilregierung unter der Führung des Prinzen Norodom Sihanouk, für die ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrates, die Großmacht Rotchina, bereits im vergangenen Dezember einen Sitz in der UNO verlangt hat, wonach die Vollversammlung nur mit 52 Stimmen gegen 50 und bei 22 Stimmenthaltungen die Entscheidung darüber bis zum Ende dieser Sitzungsperiode, also bis Mitte Dezember 1974, verschieben konnte. Derzeit wird somit Kambodscha noch durch die Regierung des Marschall-Präsidenten Lon Nol vertreten.

In der Geschichte der Vereinten Nationen kam es bisher nur einmal vor, daß die Vollversammlung das Vertretungsrecht einem Staate entzog. Das war, als man im Jahr 1971 Nationalchina aus der Versammlung hinauswarf und dessen Sitze im Sicherheitsrat und in der Vollversammlung den Vertretern der Volksrepublik China zusprach. In Kürze wird die Pekinger Regierung dieselbe Taktik im Falle der Khmer- Republik aniwenden. Und es ist anzunehmen, daß die gelehrigen Araber im Falle Palästina nicht anders Vorgehen werden.

Der Verfassung entsprechend, wurde Marschall Lon Nol im Juni

1972 für fünf Jahre zum Präsidenten der Khmer-Republik gewählt. Seit mehr als fünf Jahren tobt nun der Krieg in Kambodscha. Nordvietnam und Rotchina versorgen die kommunistischen, 100.000 Mann starken „Roten Khmer“-Truppen mit Waffen und anderem Kriegsmaterial. Wiederholt haben diese vergeblich versucht, die Hauptstadt Phnom Penh zu erobern. Die Moral der Nationalarmee ist sehr gut; die Nationalen schlugen mehrmals die Roten. Die Stärke der Nationalarmee beträgt derzeit 250.000 Mann.

Die blutigsten Kämpfe fanden in der Umgebung des Hafens von Kom- pomg Son statt. Von den 33 Provinzen werden nur sechs von den Kommunisten beherrscht. Vor einem Jahr, und erneut im Juli 1974, schlug Präsident Lon Nol Friedensverhand- lungen ohne Bedingungen vor. Prinz Norodom Sihanouk will aber keinen Kompromiß akzeptieren und erklärte unlängst in Bukarest, daß es ihm nichts ausmachen würde, weitere 20 Jahre zu kämpfen. Selbstbewußt hob der rote Prinz hervor, daß seine Exilregierung „Chancen“ bis zu 80 Prozent habe, Kambodschas Sitz in der UNO zu erhalten“. Er ist fest davon überzeugt, daß die Roten Khmer ohne ihn nur „Rebellen“ wären, mit ihm zusammen jedoch die „Legitimität einer Monarchie“ besäßen. Wie er schmunzelnd hinzufügte: „Einer roten Monarchie!“

Prinz Sihanouk ist ein Illusionist, denn er besitzt keine Autorität im Lande der roten Khmer. Der Führer der kommunistischen Partisanen ist Kieu Shampan, der kürzlich in China und Nordvietnam als der wirkliche Staatschef Kambodschas empfangen wurde. Neben ihm spielt Sihanouk in Peking nur die zweite Geige. Es wurde Sihanouk auch nicht vergessen, daß er auf der internationalen politischen Bühne seine kommunistischen Verbündeten als „Insurgenten“ denunziert hatte

— und dies nicht nur einmal.

Die baldige UNO-Entscheidung liegt in den Händen der 22 „Abstinenten“, die voriges Jahr noch nicht Farbe bekannt haben. Elf UNO-Ver- treter nahmen an der Abstimmung gar nicht teil. Sie alle werden jetzt von beiden Seiten bedrängt und bearbeitet. Die Vollversammlung muß allerdings vorerst mit einfacher

Mehrheit darüber entscheiden, ob es sich hier um eine „wichtige Frage“ handelt. Ist dies der Fall, so braucht die kambodschanische Exilregierung eine Zweidrittelmehrheit, nämlich 90 Ja-Stimmen … Und eben so verhielte es sich mit den Palästinensern!

Ein nüchterner Blick, zurück auf die vorjährige Abstimmung, dürfte lehrreich sein. Die lateinamerikanischen Länder stimmten im Falle Kambodschas sehr verschieden: Argentinien enthielt sich der Stimme, Peru war abwesend; Kuba stimmte gegen eine Verschiebung, Bahama und Barbados für eine Verschiebung des Beschlusses; Guyana dagegen; Trinidad und Tobago enthielten sich der Stimme; Jamaica war abwesend. Die UdSSR und China stimmten gemeinsam gegen die Khmer-Republik. Die Mehrheit der Afrikaner war gegen eine Verschiebung der Entscheidung und übersah, daß ihre potenziellen „Gegenregierungen im Exil“ noch viele ähnliche Schwierigkeiten bereiten könnten. Der sowjeteuropäische Block stimmte unisono gegen die Vertagung und es ist anzunehmen, daß er künftig für Sihanouk stimmen wird. Auch der präsumtive Staatsohef Palästinas, „der große Arafat“, darf auf die Stimmen des Ostblocks, inklusive Rumäniens und Jugoslawiens, rechnen. Die osteuropäischen Machthaber haben offenbar nicht gründlich überlegt, welche Schwierigkeiten ihnen nach solchen Präzedenzfällen blühen könnten, falls etwa eines Tages „Dubčeks Partisanen“ und die osteuropäischen antikommunistischen Nationalkomitees sich im Rahmen der ACEN („Assembly of Captive European Nations") als Exilregierungen konstituieren und die UNO-Sitze ihrer unterdrückten Länder beanspruchen würden…

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung