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Massenmord im Dschungel

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Für die UNO ist das Anfang dieses Jahres von vietnamesischen Okkupationstruppen gestürzte Pol Pot-Regime noch immer die „legitime” Vertretung Kambodschas (Kamput- scheas). Man könne den vietnamesischen Einmarsch nicht nachträglich sanktionieren, in dem man das von Hanoi aus gesteuerte Heng Samrin-Regime anerkenne, ließ man im New Yorker Glaspalast durchblicken. Indes droht das Volk der Khmer zu verhungern, während Moskau und Peking in diesem Land einen blutigen Stellvertreterkrieg um die „reine kommunistische Lehre” austragen lassen. Unser Asien-Mitarbeiter sprach mit Vertretern der kämpfenden kommunistischen Parteien in Kambodscha.

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Für die UNO ist das Anfang dieses Jahres von vietnamesischen Okkupationstruppen gestürzte Pol Pot-Regime noch immer die „legitime” Vertretung Kambodschas (Kamput- scheas). Man könne den vietnamesischen Einmarsch nicht nachträglich sanktionieren, in dem man das von Hanoi aus gesteuerte Heng Samrin-Regime anerkenne, ließ man im New Yorker Glaspalast durchblicken. Indes droht das Volk der Khmer zu verhungern, während Moskau und Peking in diesem Land einen blutigen Stellvertreterkrieg um die „reine kommunistische Lehre” austragen lassen. Unser Asien-Mitarbeiter sprach mit Vertretern der kämpfenden kommunistischen Parteien in Kambodscha.

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In knapper Folge sprach ich mit beiden: Keat Chhou, Mitglieder des Politbüros und Bevollmächtiger der Roten Khmer (Khmer Rouge) bereitete in Wien den Kampf ur* den Kambodscha-Sitz bei der Gipfelkonferenz der Blockfreien Staaten in Kuba vor. Hung Sen, Außenminister des Heng Samrin-Regimes, interviewte ich in Havanna, am Höhepunkt des Kampfes um diesen Sitz. Keat Chhou wie auch Hung Sen mußten aus, Kuba erfolglos abziehen: Der

Sitz blieb leer. Dafür klappte es in der UNO für den Pol Pot-Mann besser.

Keat Chhou kam direkt aus den „befreiten Gebieten” nach Wien und nannte die derzeitigen Machthaber in Phnom Phen „Statthalter des Viet- Imperialismus”. Außenminister Hung Sen kam aus diesem Phnom Phen und nannte Khmer Rouge „Söldlinge des vereinigten US-Chi- na-Imperiälismus”: Der Kampf der beiden über Leben und Tod - politische und wahrscheinlich auch physisch.

Doch in einem stimmen sie überein: „Mülionen sind getötet worden bei und nach den beiden Befreiungen von Phnom Phen” und jeder sagt, von der „feindlichen Fraktion”. Mehr sind jedenfalls den feindlichen Kommunisten erlegen als den Kolonialisten. Ganz präzis waren dazu die Angaben des Außenministers aus Phnom Phen: „Drei Millionen haben sie umgebracht”, und er ergänzt später, „die Völkermörder-Clique im Dienste ihrer Herren in Peking und Washington”.

Der Bevollmächtigte des Khmer Rouge wiederum spricht von Millionen, die Vietnams Okkupationsregime von Phom Phen und Hanois Fünfter Kolonne zum Opfer gefallen seien. Schieben sie einander die Schuld an den Massenmorden zu, reden sie im historischen Teil noch von den Fraktionen - der eigenen und der feindlichen. Schalten sie auf die Ge genwart um, wird die feindliche Fraktion der alte Feind.

Nach Hung Sen ist 1954 das Jahr der großen innerparteilichen Auseinandersetzung gewesen. Ausgangspunkt der Fraktionen, Beginn der Fraktionskämpfe. Khmer Rouge setzt das Datum noch früher an. Schon 1934 hätte es die eine Fraktion gegeben, die eine Kommunistische Partei Indochinäs wollte. UttdÄ Widerstand gegen die darrtäls noch verborgen gehaltene Reichsidee, sei dann die Gruppe der Kambodscha- Kommunisten entstanden.

„Der Kampf wurde überall ausgetragen”, sagt der Außenminister aus Phnom Phen: „Jede Zelle der Untergrundbewegung, ja selbst die Organisation in den Gefängnissen haben sie gespalten.” Gemeint sind die Männer der Kommunistischen Partei Kambodschas. „In jeder Einheit, im Zentralkommitee und zum Schluß auch im Politbüro haben sie dafür geworben, daß die Genossen aus Kambodscha Khmer-Chauvinisten werden.”

Seitenverkehrt erscheint das Bild, daß Pol Pots Bevollmächtigter gibt: „In der illegalen Partei haben sie Groß-Vietnam vorbereitet, dann in jeder Guerilla-Truppe und mit allen Mitteln.” So kämpfen seit Jahrzehnten Kommunisten gegen Kommunisten, Einheit gegen Einheit, überall die Indochina-Fraktion mit der Kambodscha-Fraktion.

Wer im Hitler-KZ gewesen ist, hat aus dem Kampf der Stalinisten mit den Trotzkisten gelernt, daß die Auslieferung des Fraktionsgegners in die Hände des Feindes zu den Waffen im kommunistischen Fraktionskampf gehört. Außenminister Hung Sen bestätigt: „Eure Erfahrung aus dem Hitler-KZ hat sich bei uns bestätigt. Tausende haben sie den Franzosen aus- geliefert” - und er meint natürlich die „Chauvinisten”. Keat Chhou meint die „Viet-Imperialisten”: „Sie haben uns zuerst Sihanouk, dann den Amerikanern ins Messer getrieben.”

Frage an den Außenminister und den Khmer Rouge-Diplomaten, ob die Millionen, die heute in Kambodscha fehlen, nicht die Summe der bei den Fraktionskämpfen Getöteten seien. Jetzt ist der Mann aus Phnom Phen vage: „Sie haben schon damals gemordet.” Der Mann aus den befreiten Gebieten antwortet bestimmter:

„Reichsvereinheitlichung führt immer-xu Massenmord. Der vietnamesische Reichsplan hat schon in der Zeit Ho Chi Minhs seine Opfer gefordert. Und die Vietnam-Kommunisten standen hinter Sihanouk, als er 1968 Khmer Rouge ausrotten wollte. Die wenigen Einheiten unter dem Schutz von Hanoi hat Sihanouk mit Sorgfalt verschont.”

So streitet es keiner von beiden ab: Unter den Millionen, die in Kambodscha ausgelöscht worden sind, waren die Opfer der Fraktionskämpfe der größere Teü. Hatte eine Fraktion die Führung errungen, so folgte immer und überall die Säuberung.

Keat Chhou redet langsam, das Englisch von französischen Sätzen durchwirkt: „Kambodscha und Vietnam, das sind Jahrhunderte der Feindschaft zwischen Unterdrückten und Okkupationsmacht. Wir waren arglos. Wir hatten im gemeinsamen Kampf gegen die Kolonialisten das vietnamesische Imperium Champa ganz vergessen. Ho Chi Minh nicht.”

Keat Chou beantwortet auch die Frage, ob es nach der nächsten „Befreiung” im zweiten Khmer Rouge- Kambodscha anders sein werde, als es nach der ersten war: „Das kann kein Kamputschea des Khmer Rouge mehr sein, sondern ein Kamputschea des ganzen Volkes, das sich befreit hat.”

Auch der Außenminister aus Phnom Phen spricht von der Zukunft: „Wir werden in Kambodscha bleiben, bis es keine Gefahr einer Intervention aus China mehr gibt.” Auf die Frage, von wo Chinas Truppen kommen könnten, da China doch 800 Kilometer von Kambodschas Grenzen entfernt sei, antwortete Hung Sen: „Die Verzweiflung in Peking und in Washington ist groß. Die Verzweifelten lassen sich von 800 KUo- meter nicht abschrecken.”

Hung Sen erkennt augenblicklich, daß er Unsinn geredet hat und verfällt in die Starrheit kommunistischer Phrasendrescherei: „Wir werden bleiben. Solidarität mit dem gesamten Antiimperialismus, Antikolonialismus, Antirassismus und Antizionismus.”

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