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Der Krieg hat grausige Tradition

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Hinter dem häßlichen Geschwür des Krieges in den Dschungeln des Mekong-Deltas wird durch die Veröffentlichung höchst geheimer Dokumente in den „New York Times“ das kranke Gewebe sichtbar. Vietnam esse delendum?

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Hinter dem häßlichen Geschwür des Krieges in den Dschungeln des Mekong-Deltas wird durch die Veröffentlichung höchst geheimer Dokumente in den „New York Times“ das kranke Gewebe sichtbar. Vietnam esse delendum?

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Die Geschichte Südostasiens ist die eines dauernden Kampfes um den Lebensraum. Die großen Kolonialkulturen kamen aus der asiatischen Welt und wurden auch aus Europa importiert. Hinduistischer, chinesischer und europäischer Geist schlugen vergebens Wurzeln, immer waren der Vietnamese, der Kambodschaner und der Siamese stark genug, sich ihre eigenständige Kultur — freilich mit Hilfe einer vernünftigen Selektion — selbst zu gestalten.

Das an den Napoleonischen Kriegen fast zerbrochene Frankreich suchte nach neuen Kolonialreichen. Noch fehlte ein fester Fußpunkt im fernen Asien. Unter Napoleon III. bot sich in Annam Gelegenheit. Christliche Missionare hatten sich bis zu höchsten Staatsämtern hinaufgearbeitet und hatten den Franzosen bereitwillig ihre Dienste und Landebrücken angeboten. Dieser prochristlichen und profranzösischen Politik folgte eine harte Gegenströmung, in der die Franzosen ihrerseits ihre europäische Kriegstechnik in Aktion treten ließen. Unvermeidlich zeichnen sich hier schmutzige Parallelen ab, die erst am 7. Mai 1954 im Fall von Dien Bien Phu enden.

Schlag um Schlag wurden Chochin- china (Mekongdelta) mit seiner Hauptstadt Saigon, Annam, Tong- king, Laos französische Protektorate. In den Schreibstuben verblieben einheimische Beamte, und die Verwaltung war scheinbar unberührt. Als graue Eminenzen jedoch fungierten Residenten und französische „Berater“, die ebenfalls in der Gegenwart ihre Parallele gefunden haben. In der Kaiserstadt Huė, an den Königshöfen von Phnom Penh, Vientiane und Lüang Prabang kontrollierten Franzosen die Verwaltungstätigkeit der Regierung. Das nationale Erwachen auch der südostasiatischen Völker zersplitterte die Versuche der Europaisierung — oder besser: Frankonisierung — Indo- chinas.

Etwa 100.000 Vietnamesen mußten zwischen 1914 und 1918 auf den Schlachtfeldern Europas Frankreich unterstützen. Der Ruf der sterbenden Vietnamesen in den Laufgräben Westeuropas schwoll in den folgenden Jahren zum lautstarken Ruf gegen jene, die „Kultur“ bringen wollten, jedoch Macht und Herrschaft säten. 1925 gründete eine Gruppe revolutionärer Vietnamesen die Partei des „Jungen Annam“, die unter dem französischen Protektorat jedoch keine Überlebenschance besaß. 1931 entstand eine Untergrundbewegung mit kommunistischen Maximen — ihr Führer war Ho Tschl Minh.

Zu Beginn der vierziger Jahre zeigten sich auch die ersten finsteren Wolken des zweiten Weltkrieges am Monsunhimmel Südostasiens. Japan verlangte nach der europäischen

Niederlage Frankreichs die Freigabe Nordvietnams, um den Nachschub nach China zu gewährleisten, wo Japan bereits in Kämpfe verwickelt war. Die provisorische Regierung in Vichy konnte ihren verlängerten Arm in Indochina nur noch zurückziehen. Sie machte den Japanern in Tongking und schließlich in ganz Französisch-Indochina Platz. Damit entstand der Guerillatätigkeit Ho Tschi Minh ein zweiter Gegner. Im südlichen Annam wurde Bao Dai von Japans Gnaden als Kaiser eingesetzt. Aber am Ende des Krieges verzichtete dieser zugunsten der in Nordvietnam provisorisch etablierten kommunistischen Regierung.

Trotz der Anerkennung der nordvietnamesischen Unabhängigkeit durch Frankreich — allerdings innerhalb einer französischen Union — begannen im März 1946 Feindseligkeiten zwischen den Franzosen und dem kommunistischen Vietminh. Heute sprechen die veröffentlichten Geheimdokumente des Pentagon schon von einem damaligen amerikanischen Engagement, das in Waffenlieferungen an die Franzosen bestanden haben soll. Die Vereinigten Staaten begannen ein Netz zu spinnen, in dem sie heute scheinbar hoffnungslos gefangensitzen.

Das Jahr 1949 brachte die Anerkennung Bao Dais durch die Franzo-

sen in Südvietnam. Daraufhin konstituierte sich nördlich des 17. Breitengrades eine Regierung um Ho Tschi Minh. Die alte Rivalität, die schon im 19. Jahrhundert zwischen Hanoi und Huė bestand und durch die Franzosen auch noch mit Saigon geschürt wurde, trieb neue, blutige Blüten. Unmenschliche Revolutions- methoden und Brutalität in den Reihen der Guerillabewegung des Vietminh machten es den Franzosen zunächst leicht, unter dem Mäntelchen Bao Dais erneut ihr Kolonialreich aufzubauen. 1950 kam es zum offenen Kampf zwischen von Rot- china unterstützten Vietminh und Franzosen. Nach 54tägiger Belagerung der französischen Festung Dien Bien Phu wurde am 7. Mai 1954 die Schlacht entschieden: Die Franzosen mußten sich zurückziehen. Ihre Kolonialherrschaft in Südostasien war damit beendet.

In den Berichten des sogenannten McNamara-Dossiers scheint jedoch eine neue Kolonialmacht an den Toren der alten annamitischen und Khmerischen Kaiserpaläste zu rütteln. Von April bis Juli 1954 verhandelte man fern den indochinesischen Dschungelwäldern in Genf und garantierte die Unabhängigkeit von Laos und Kambodscha, während für die beiden Vietnam der Fluß Song Ben Hai zur neuen Grenze gemacht wurde. Unter alliierter Kontrolle sollten innerhalb von zwei Jahren allgemeine Wahlen ahgehalten werden, die allerdings von der Regierung Dinh Diem unter dem Vorwand ihrer Undurchführbarkeit im Norden niemals abgehalten wurden.

Die Trikolore wird vom Sternenbanner abgelöst. Die amerikanische CIA stand im Hintergrund, als mit ihrer Hilfe und der des zivilen und militärischen „Beraterstabes“ 1955 nach dem Sturz von Bao Dai General Diem eine eigene südvietnamesische Regierung schaffte. In dięsen Jahren wuchsen Vietnamesen auf, die kein Französisch mehr sprechen und das Englisch der neuen Kolonialherren noch nicht beherrschen. Von Jahr zu Jahr wächst die militärische Kontroverse zwischen Nord und Süd.

Von Jahr zu Jahr wächst aber auch das Engagement der USA, die nach der Genfer Vietnamkonferenz von Frankreich die Rolle der Schutzmacht Südvietnams übernommen haben. Ausschlaggebend für diese offensive Aktivität war die Dominotheorie, die nach der Freigabe eines Landstriches die unweigerliche kommunistische Infiltration des Nachbarn voraussah. Waren die Amerikaner bis 1961 nur nach außenhin in militärischen und zivilen Beraterfunktio-

nen tätig, so griffen sie ab diesem Zeitpunkt aktiv in die militärischen Ereignisse ein.

Schon 1963 wissen sich die Amerikaner zu tief in das Netz des Dschungelkrieges verstrickt, um nach dem zwielichtigen Sturz Präsident Diems die Zügel freizulassen. Sie vereiteln die Pläne einer neutralistischen Regierung unter Duong Van Minh und hieven nach Revolten und Regierungsumbildungen den proamerikanischen General Khanh an die Spitze des Südens.

Präsident Johnson sah in der „Neutralisierung“ nur einen anderen Namen für „kommunistische Machtergreifung“ und errang sich von Senat und Repräsentantenhaus Blankovollmacht für die Amerika- nisierung des Krieges in Vietnam. Diesem Herbst 1964 folgte jener „Tongking-Zwischenfall“, der nach den eben veröffentlichten Geheimdossiers eher als Vorwand denn als

Anlaß zur Bombardierung militärischer Ziele in Nordvietnam genommen wurde.

Das Jahr 1965 brachte eine gewaltige Eskalation der Amerikanisie- rung. Die SEATO-Staaten Australien, Neuseeland, Thailand, die Philippinen und das außerhalb des Verbandes stehende Südkorea griffen zunehmend in den Krieg ein, dem der Vietkong immer wieder ausweicht. Der so vom Norden diktierte

Kleinkrieg machte der amerikanischen Armee immer mehr Schwierigkeiten. Auch das Scheitern der kommunistischen Tet-Offensive Anfang 1968 konnte keine Wende bringen.

Während über das verzweigte System des Ho-Tschi-Minh-Pfades immer neue Lastwagenkolonnen aus dem Norden über laotisches und kambodschanisches Gebiet in Richtung Süden rollten, gewann Nixon im Herbst 1968 mit dem Versprechen der Eindämmung des Krieges die Präsidentenwahlen. Im stillen hoffte er wohl auf die 1968 in Paris eingeleiteten Gespräche zwischen den Beteiligten. Anfang 1971 war die Situation nach mehr als 100 Sitzungen aber mittlerweile hoffnungslos. Der Vietnamisierungsprozeß setzte ein, bis April 1971 wurde die US-Truppen- stärke von 540.000 auf 296.000 Mann reduziert.

Nun sehen die Vietnamesen — von vielen „Freunden“ mit in dieses Abenteuer hineingerissen — ihre einzige Überlebenschance in der Unterbindung der nordvietnamesischen Nachschubwege. Die Dominotheorie der Amerikaner scheint sich zu bewahrheiten. Allerdings nicht von der kommunistischen Seite her, sondern von seiten der Alliierten, die einst den Namen Kolonialherr getragen haben. Der Krieg ergriff auch Kambodscha und Laos.

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