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Lektionen aus dem neuen Krieg

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Kriege sind das unvermeidliche Letztprodukt der sich selbst zerstörenden kapitalistischen Weltwirtschaftsordnung: So liest man's in den Lehrbüchern des Marxismus. In Wirklichkeit haben auch kommunistische Regierungen nie davor zurückgescheut, nationale staatliche Machtansprüche mit militärischer Gewalt durchzusetzen.

Mit Gewalt holte die Rote Armee noch zu Lebzeiten Lenins die in Georgien und den russischen Teilen Armeniens und Aserbeidschans entstandenen Republiken ins großrussische Hammer-und-Sichel-Reich zurück. Mit Hilfe des braunen Diktators Hitler gliederte der rote Diktator Stalin Estland, Lettland, Litauen, Bessa-rabien und Nord-Bukowina seinem Imperium ein. Und als sich 1953 in Ostberlin, 1956 in Ungarn und 1968 in der CSSR nationaler Selbstbestimmungswille regte, rollten die Sowjetpanzer.

Das kommunistische China unterstützte 1950 die nordkoreanische Invasion in Südkorea, besetzte im selben Jahr Tibet und förderte in der Folge die Aggression Nordvietnams gegen Südvietnam. 1962 startete China einen Großangriff auf Kaschmir und Nordostindien. Von der Unterstützung linksrevolutionärer Befreiungsbewegungen sei hier einmal völlig abgesehen.

Kaum hatte Nordvietnam sich den südlichen Landesteil einverleibt, besetzte es Laos, wo heute vier, und dann Kambodscha, wo 16 vietnamesische Divisionen stehen. Die Aggression Chinas gegen Vietnam ist der dritte kommunistische „Bruderkrieg“ innerhalb von Jahresfrist.

Wie grausam er geführt wird, kann man sich ausmalen, wenn man bedenkt, worin der einzige Vorteil Chinas gegenüber dem rüstungstechnisch weit überlegenen Vietnam liegt: in seinen Menschenmassen. Das einzelne Menschenleben zählt überhaupt nicht in dieser Blutorgie des „Gesichtwahrens“ und „Lek-tion-Erteilens“.

Nie wieder sollen Kommunisten versuchen, den Westen über Menschenrechte zu belehren: in Südamerika, in Südafrika oder in Europa. Der Henker ist kein glaubwürdiger Zeuge für die Abschaffung der Todesstrafe.

Nun könnte man sich versucht fühlen, händereibend zuzuschauen, wie rote Brüder einander die Köpfe einschlagen. Leider könnte eine solche Idylle tödlich sein. Niemand weiß, wie lange ein fernöstlicher Konflikt zwischen irrational handelnden Gegnern lokalisierbar bleibt. Zumindest im politischen Weltklima wird sich der neue Indochinakrieg unvermeidlich auswirken.

Noch handelt Moskau verhalten -in Asien. Aber am Balkan zieht Brandgeruch auf. Plötzlich wird man an einen Trinkspruch des bulgarischen Staats- und Parteichefs Schiw-. koff beim Breschnew-Besuch in Sofia letzten Jänner erinnert, wonach unter Umständen „große Überraschungen“ zu erwarten seien.

Was man derzeit am allerwenigsten brauchen könnte, wäre eine Unruhe in Osteuropa. Sie könnte Moskau nur allzu leicht dazu verleiten, ein Stell-vertreter-Exempel seiner Macht zu statuieren, um sich bei China nicht die Finger zu verbrennen. Hoffentlich lebt Tito lange noch. Es sollte auch nicht überraschen, wenn angesichts der neuen Lage der Papst sich zu einer Verschiebung seiner Polenreise entschlösse.

Daß jetzt nicht mehr als etwa das passiert, kann man hierzulande ohnehin nur erbeten und nicht erleitar-tikeln.

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