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Statt Revolution nur nackte Gewalt

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Nach jahrelanger Manipulation von allen Seiten urteilt der Westen: Die jetzt Unterliegenden in Vietnam sind Korruptioni-sten, Faschisten, eine CIA-Brut. Sie haben ihren Untergang vielfach verdient. Die Siegenden sind Revolutionäre. Sie fegen den Boden rein. Die Nachbarschaft sieht das alles nüchterner.

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Nach jahrelanger Manipulation von allen Seiten urteilt der Westen: Die jetzt Unterliegenden in Vietnam sind Korruptioni-sten, Faschisten, eine CIA-Brut. Sie haben ihren Untergang vielfach verdient. Die Siegenden sind Revolutionäre. Sie fegen den Boden rein. Die Nachbarschaft sieht das alles nüchterner.

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Revolutionäre sind in Südasien und in Südostasien ein Anachronismus geworden. Die kommunistischen Organisationen liegen in Wirklichkeit - darnieder. Von einer Revolution, die aus innerem Antrieb kommt, igt nicht mehr die Rede. Parteien und Armeeführungen der kommunistischen Staaten sind es, die das „revolutionäre“ Geschäft besorgen. Es schlucken die kommunistischen die nichtkommunistischen Staaten. Und vielen im Westen läuft dabei vor Begeisterung das Wasser im Mund zusammen.

Nach Südvietnam sind vor dem Angriff 150.000 nordvietnamesische Soldaten verlegt worden. In Südvietnam rührte sich in den Wochen vor dem Sturm wenig; vor allem kein Vietkong, keine revolutionäre Kraft. Alle Beteiligten warteten, wann die sowjetischen und die chinesischen Waffen in den Händen der nordvietnamesischen Soldaten zu sprechen beginnen würden. So siegte, unangefochten, aber auch ohne revolutionäre Unterstützung durch das Volk, die reguläre nordvietnamesische Armee, unterstützt von Moskau und von Peking, deren Rivalität im Moment zum Vorteil von Hanoi wirkt.

Wahrscheinlich stimmt es; eine moderne Armee kann nur von einer modernen Armee geschlagen werden. Wenn es stimmt, so wandelt sich jeder Befreiungskampf zum Interventionszwang in Krieg. Selbst dann ist es aber möglich (wie Bangladesh gezeigt hat), daß die Aufstände, Aktionen im Befreiungsgebiet von den intervenierenden Armeen mit einem revolutionären Beglaubigungsstempel versehen werden. Wo bleibt aber, beim Vormarsch der regulären Armee des kommunistischen Staates nach Südvietnam, die revolutionäre Beteiligung; wo bleibt in Südvietnam ein Prag 1945?

Je weiter die nordvietnamesische Armee in Südvietnam eindringt, desto schwächer zeichnet sich auch das Profil und der Standort der provisorischen Regierung ab. Freilich wird die siegreiche Armee des Befreierstaates der befreiten Regierung bald einen Standort einräumen, ein Profil geben; mit dem Akzent auf „Koalition“ und vor einer neutralistischen Hintergründigkeit, Die Szene wird Hanoi mit dem Blick auf die sowjetisch-chinesische Rivalität spielen. Doch sie wird auch auf die asiatische Nachbarschaft abgestimmt sein. Die regierenden Kräfte sollen beruhigt, wenn nicht gewonnen werden.

Während der Einfluß, das Prestige, die Macht der kommunistischen Staaten — vor allem der UdSSR — in Asien wachsen, verfallen die kommunistischen Parteien und zerbröckeln die Befreiungsarmeen. Nur dort, wo sich kommunistische Organisationen an einen aggressiven, von Moskau und von Peking unterstützten Nationalismus anhängen, schwimmen sie in dessen Kielwasser vorwärts.

Den Tiefstand erreichen die kommunistischen Parteien und die kommunistischen Organisationen in der Nachbarschaft der siegreichen kommunistischen Armeen und Staaten. In Thailand gab es bis zum Herbst 1974 eine revolutionäre Situation. Es gab aber tfeine kommunistische Partei, um sie auszunützen.

Malaysia, Singapur, die Philippinen standen 1953, Indonesien stand 1965 vor einer kommunistischen Revolution. Von den Niederlagen, die statt der Volkserhebungen kamen, haben sich die kommunistischen Parteien nie erholt.

An der Thai-Malaysia-Grenze sind die beiden Regimenter der Malaysischen Befreiungsfront zu Ro-bin-Hood-Veteranen degeneriert. In Indonesien ist nach dem Massaker vom 1965 ¥*>fl der größten kommunistischen Partei und Gewerkschaft außerhalb des kommunistischen Machtbereiches nichts übriggeblieben. Wiederaufbauversuche sind an der Wachsamkeit der indonesischen Armee und an der sowjetisch-chinesischen Rivalität gescheitert. Auf den Philippinen ist es Präsident Marcos weit besser gelungen, die Huks, die kommunistischen Gueril-leros auf der Sierra Madre zu isolieren, als die rebellischen Islam-Minderheiten, die Moros. Aus Singapur kann Ministerpräsident Lee Quan Yew unbekümmert seine eigenen politischen und wirtschaftlichen Wege nach Peking suchen. Die „Barisan Sosialis“, die Tarnpartei der Kommunisten in Singapur, hat sich selbst atomisiert.

In jedem Land Südostasiens ist die Kommunistische Partei, von Niederlagen geschwächt, durch den sowjetisch-chinesischen Konflikt zerspalten; als stumpfes und verbrauchtes Werkzeug wird sie zum Schluß von Peking oder von Moskau den wichtigeren Beziehungen mit den Herrschenden geopfert.

Indien spielt im asiatischen Kommunismus eine große Rolle; als Verbündeter der UdSSR als Feind Chinas, doch nicht als Territorium der revolutionären Kräfte. Die sowjetgebundene kommunistische Partei hängt Indira Gandhi an den Kittelfalten. Die unabhängigen Linkskommunisten haben vor 1970 in Bengalen eine Staatsregierung geführt und kämpfen heute gegen das Kleinparteienschicksal.

Selbst auf den Parteitagen in den kommunistischen Staaten Europas werden asiatische Kommunisten kaum noch vorgeführt.

So handelt es sich in Asien heute nicht mehr um einen revolutionären Kommunismus des Volkes, sondern um einen expansiven, von kommunistischen Armeen in fremde Länder getragenen.

Aber worin besteht der Unterschied, ob ein Land durch eine Revolution dem Kommunismus verfällt oder durch eine fremde Armee gefügig gemacht wird? Im Alibi für den Westen und in der Geschichtsschreibung.

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