6711986-1964_25_06.jpg
Digital In Arbeit

Werben um die Sowjetkunstler

Werbung
Werbung
Werbung

Wird man demnächst sowjetische Propagandafilme kontra Peking zu sehen, sowjetische Erzählungen und Romane mit antichinesischer Tendenz zu lesen bekommen? Werden in der harten Auseinandersetzung zwischen Moskau und Peking nun auch die Künstler mobilisiert und an die ideologische Front geschickt?

Einige Entwicklungen im Verhältnis zwischen Partei und Künstlern aus der jüngsten Zeit lassen die Vermutung zu, daß diese Fragen vielleicht bejaht werden können. Offenbar war es Peking, das auch auf diesem Gebiet zur Offensive übergegangen ist, denn laut „Pravda“ haben die Chinesen an „private Adressen“ von sowjetischen Künstlern Propagandamaterial geschickt. Sie sollen dabei den Versuch unternommen haben, die Sowjetkünstler — deren nicht unbedingt konformistischer Flügel ja seit langem einen stillen Kampf mit der Partei führt — gegen ihre Partei und deren Führer aufzuwiegeln. Der populäre sowjetische Romanschriftsteller Konstantin Simonow — früher sechsfacher Stalin-Preisträger, heute als dichtender „Ent-stalinisierer“ wiederum mit dem schwimmend — hat Ende Mai in der „Pravda“ in einem langen, zweifellos inspirierten Artikel dieses chinesische Vorgehen als ein „Fischen mit fauligen Ködern“ denunziert. Er verteidigte die Sowjetführung gegen die Pekinger Angriffe und prophezeite den Chinesen, daß ihrem propagandistischen Fischzug kein Erfolg beschieden sein werde, denn die Sowjetbürger seien nicht von der Art, auf faulige Köder anzubeißen.

Durch die subversive Propagandatätigkeit der .Chinesen unter den sowjetischen Künstlern aber gerät die KPdSU allerdings in eine heikle Lage. Das mag allein schon der Umstand verraten, daß sie es als notwendig erachtete, in so spektakulärer Form zum Gegenangriff überzugehen und zu diesem Zweck einem Konstantin Simonow eine halbe „Pravda“-Seite zur Verfügung zu stellen. Auch die Sowjetunion hat ihre „Linksintellektuellen“, die nicht blind und stumm hinter jeder roten Fahne einherstapfen, sondern die sich gewissermaßen um ein rotes „Fähnlein der sieben Aufrechten“ scharen. (Seltsamerweise sind diese sowjetischen Linksintellektuellen die Lieblingskinder derjenigen, die bei uns in jedem sogenannten oder soernannten Linksintellektuellen einen Gottseibeiuns sehen.) Offenbar befürchtet nun die sowjetische Partei, diese nichtkonformen Intellektuellen und Künstler könnten sich durch gewisse chinesische Einflüsterungen in ihrer stillen Opposition gegen die Partei bestärkt fühlen und sich in so etwas wie ein „innersowjetisches Rumänien“ verwandeln. (Rumänien hat bekanntlich den Konflikt zwischen Moskau und Peking äußerst geschickt ausgenutzt, sich von der sowjetischen Vormundschaft zu befreien und innerhalb des kommunistischen Lagers eine „blockfreie“ Position zu beziehen.)

Die eigentliche Gefahr, die aus dem sowjetisch-chinesischen Konflikt für Moskau resultiert, ist ja weniger das Erstarken gewisser immer noch vorhandener stalinistischer Gruppen in und außerhalb der Sowjetunion als vielmehr die Tatsache, daß dieser Konflikt jedem mit der Moskauer Politik unzufriedenen Kommunisten die Möglichkeit einer kommunistischen Alternative bietet: Pekings Kampf gegen Moskau stärkt auch denjenigen den Rücken, die gar nichts für die Thesen Pekings übrig haben und aus ganz anderen Gründen an der Politik Moskaus Kritik üben. Paradoxerweise scheint denn auch der chinesische Kampf gegen Moskau teilweise eben jenen Revisionismus im kommunistischen Lager zu fördern, dem doch dieser chinesische Kampf in erster Linie gelten will. Man wird immer wieder an die Geschichte der Auseinandersetzung zwischen Reformation und Gegenreformation erinnert.

In der Sowjetunion scheint sich nun eine Entwicklung anzubahnen, die solche Vermutungen bestätigt. Um die Gefahr zu bannen, daß ein Teil der sowjetischen Künstler und Intellektuellen — und es handelt sich um jenen Teil, dem zweifellos die Zukunft gehört — sich „rumäni-siert“, bleibt der Partei wenig anderes übrig, als diesen Unbotmäßigen mehr künstlerische und politische Bewegungsfreiheit zu schenken und dadurch den Hauptgrund ihres Mißvergnügens am Sowjetstaat zu beseitigen. Tatsächlich sind erste Vorboten eines neuen Tauwetters in der Sowjetunion zu verzeichnen, und die „Einfrieraktion“ der Partei vom Winter 1963 ist längst an ihrer eigenen Kälte erstarrt. So konnte Yevtushenko im Dezember vergangenen Jahres zum erstenmal seit seiner „Verdammung“ in Moskau wieder öffentlich lesen und ein triumphales,. „Corneb,^'(tl^i|^“ Gleichzeitig veröffentlicWe, .die.Z^t-;,. schritt „Nowij Mir“ wieder eine Er-.. Zählung von Viktor Nekrassov, der wegen seiner eigenwilligen Reiseberichte über Italien und die USA ein Jahr zuvor mehrmals öffentlich von Chruschtschow persönlich getadelt und der Parteiuntreue bezichtigt worden war. Ähnliches ereignete sich auf dem Gebiet des Films. Im März dieses Jahres wurde ein Film freigegeben, der noch ein Jahr zuvor zu den Hauptangriffs-aielen der Einschüchterungskampagne der Partei gegen die unbotmäßigen Künstler gehört hatte: der Film „Vor deiner Türe“, ein völlig unheroischer Kriegsfilm über die Verteidigung Moskaus im Jahr 1941, der die Verteidiger in einem Zustand tiefster Hoffnungslosigkeit und Resignation zeigt. Einige Monate zuvor begann in den sowjetischen Filmtheatern ein dreiein-halbstündiger Anti-Stalin-Film zu . laufen, in dem gezeigt wird, wie ein aufrechter Kommunist im Jahr 1949 denunziert und verhaftet wurde.

Das ist nur eine kleine Auslese aus dem Bukett, das man dem neuen Tauwetter zu verdanken hat. Aber die sowjetische Partei ist selbstverständlich kein philanthro- , pisches Unternehmen, das auf uneigennützige Weise um das seelische und geistige Wohl der Künstler be- : sorgt ist. Wenn sie nun ihre Ein-schüchterungskampagne wieder ab-geblasen und den unbotmäßigen . Künstlern wieder mehr Bewegungsfreiheit geschenkt hat, dann ver- , langt sie eine Gegenleistung dafür. : Darüber sind nun recht aufsehen- ; erregende Berichte in den Westen , gelangt, die zwar in der Sowjetunion selbst offiziell noch nicht be-stätigt wurden, die aber offensichtlich den Tatsachen entsprechen.

In diesen Berichten heißt es, die Partei habe den Künstlern größere Freiheiten versprochen, falls diese ; sich bereit erklären, sich der Partei In ihrem Kampf gegen Peking zur : Verfügung zu stellen, und das heißt, sich mit ihren Werken — Romanen, Theaterstücken, Filmen — an diesem Kampf zu beteiligen. Mitte Mai soll eine Sitzung der Ideologiekom- i mission des ZK's der sowjetischen Partei stattgefunden haben, zu der auch Vertreter der Künstler eingeladen worden sein sollen. Auf dieser Sitzung soll die Partei den Künstlern diesen Tauschhandel, „Freiheit gegen Unterstützung im Kampf gegen Peking“, vorgeschlagen haben. Wenige Tage später erschien dann in der „Pr^vda“ der bereits erwähnte lange Kampfartikel von Konstantin Simonow gegen die chinesische Subversionstätigkeit unter sowjetischen Künstlern, und es scheint sich dabei um ein Musterbeispiel gehandelt zu haben, auf welche Weise die sowjetischen Künstler die Partei in ihrer schwierigen Auseinandersetzung mit China unterstützen könnten und sollten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung