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Im Schatten der Riesenyögel

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Die Bomber platzten wie ein Schock in die stagnierenden Friedensverhandlungen und schwanden wie ein böser Traum, nur die Folgen blieben: Tote, fürs Leben Gezeichnete, Ruinen. Die Bomber können, wenn die Verhandlungen in Paris neuerlich stocken, jeden Tag wiederkommen, und sie kommen schon jetzt täglich wieder — wie ja schon seit Wochen, wenn auch südlich jenes ominösen Breitengrades, jenseits dessen der Tod im Angesicht heraufdämmernden Friedens anscheinend eher toleriert werden kann. Westeuropa reagierte auf Nixons Bombenoffensive allergischer als die Schutzmächte Nordvietnams, Moskau und Peking.

Dem Wahlsieg Nixons in den USA folgte eine Kette von Wahlerfolgen der Linken in anderen Ländern. Die Wahlergebnisse in Deutschland, Australien, Neuseeland, Holland und auch in Japan mischten den Geschmack von bitteren Mandeln in den Siegescocktail der Konservativen von Washington. Zeitungs- und wahrscheinlich' Geheimberichte über die vereinigte Linke in Frankreich vertieften in Washington die Beklemmung. Washington glaubte, den kalten Luftzug aus einer veränderten Welt zu spüren.

Eine neue Führungsgarnitur trägt einer veränderten Welt Nixons Politik mit neuen Formulierungen vor. Die Welt ist nicht mehr eine applaudierende Arena für die diplomatische Friedensakrobatik des intellektuellen Emigranten Henry Kissinger, sondern das Operationsparterre für die Männer mit den harten Zügen; einige unter ihnen sind Deutschamerikaner. Ihr Entweder-Oder an die Adresse Hanois und die Tausende Tonnen von Bomben auf Nordvietnam gehören zu den neuen Formulierungen, zur Technik von Männern der Tat; beugst du nicht deinen Rücken, so brech' ich ihn.

Aber auch unter Hanois asiatischen Nachbarn gibt es viele, die besser die Sprache der Gestiefelten verstehen als die brillante Diplomatie optimistischer Universitätsprofessoren. Stalin ist populärer als die Tauwetterkommunisten. Der Kampf gegen den Imperialismus ist nirgends — außer in Vietnam — über das Stadium einer Kongreßresolution hinaus gediehen. Die ersten und die entschlossensten Proteste kamen aus der Richtung, wo Nixons „Unsicher-heitsgefühl“ liegt — aus der Richtung der westlichen Demokratien.

Die „Asiatisierung der asiatischen Politik“ scheint gescheitert zu sein. Sie gehört zu den falschen Prämissen des alten Washington. Sicherlich hatten die Formulierer in Washington mit einer Polarisierung durch anti-kommunistische Kräfte gerechnet, die die kommunistischen Kräfte im Schach halten würden. Aber weder die erwünschte Polarisierung noch irgendeine Profilierung ist eingetreten. Wo die USA in Asien probeweise den Druck erleichterten, wo andere Mächte des Westens sich zurückzogen, entstanden luftleere Räume, explosive Unentschlossenheit, alte Balkankäuflichkeit.

Breschnjews Plan des asiatischen Sicherheitssystems als eines „Cordon sanitaire“ mag in Bangla-Desh einen Ansatzpunkt gefunden haben, verlor sich aber im unruhigen Wellengang der asiatischen Politik. Pekings Koexistenzpläne der regionalen Neutralität im Südchinesischen Meer kamen über Probeformulierungen Malaysias und Burmas nicht hinaus. So ist bisher auch den kommunistischen Rivalen der USA in der asiatischen Machtpolitik der Erfolg versagt gewesen. An Stelle der kommunistischen Erfolge trat die Permanenz der politischen und der wirtschaftlichen Krisenherde, das Gefühl der Auswegs- und der Formlosigkeit; für Washington vielleicht noch gefährlicher als mögliche zukünftige Erfolge der kommunistischen Großmächte.

So müssen heute die USA den massiven Vorstoß irgendeiner kommunistischen Großmacht nicht fürchten. Uberall droht asiatisches Chaos mit seiner Unberechenbarkeit.

Das gilt auch für die Kräfte hinter Hanoi. In brennender Eifersucht sind Moskau und Peking gegeneinander durch Nixons Besuchsstrategie und ihre Folgen zur zeternden Tatenlosigkeit verurteilt. Wie absurd erscheint es, daß die aus Gewissenskonflikten erwachsende Unruhe in den so „dekadenten“ Demokratien des Westens Washingtons Zukunftsperspektiven am stärksten trübt!

Läßt Washington einen Frieden der vagen Formulierungen und der ungeklärten Definitionen zurück, so besteht wenig Aussicht auf Klärung — es sei denn, durch Hanoi. Und das Problem der nordvietnamesischen Truppen auf südvietnamesischem Territorium ist eine Einladung zum latenten Chaos, das nur in einem Kraftakt sein Ende finden kann. Erzwingt Washington aber eine Lösung der territorialen Probleme durch eine Taktik der verbrannten Territorien des kommunistischen Feindes, müssen die neuen Herren mit den harten Gesichtszügen dann nur mit papierenem und nicht mit dem tatkräftigen Widerstand der kommunistischen Bruderstaaten und der asiatischen „Antümperialisten“ rechnen? Unter den Schatten der amerikanischen Riesenvögel ist Hanoi allein. Bei der Auslegung strittiger Vertragsparagraphen aber wird Hanoi viele Advokaten-haben.

Dabei muß Amerika schon heute wissen, daß in einem befriedeten Südostasien, mehr noch als im Asien des Vietnamkrieges, ein emotioneller Anti-Amerikanismus eine der wichtigen politisch wirksamen psychologischen Kräfte sein wird, ein Haß, der heute in bestimmten Kreisen vom Profit mehr als aufgewogen wird.

Zwischen Chongju und der südlichen Hafenstadt Pusan liegt eine Hügelkette. „Koreas Reichtum waren vor hundert Jahren die Wälder“, sagte mir der Bürgermeister von Chongju, „wir haben schon längst vergessen, wann und weshalb die Japaner Korea besetzten. Wir wissen nicht mehr, wie es war, als sie das Land verließen. Aber wir wissen, daß sie die Wälder zerstört haben. Die Erinnerung an die Zerstörung der Wälder hält unseren Haß wach, wenn wir die Getöteten zu vergessen beginnen.“

Den Haß gegen die amerikanischen Zerstörer eines Landes werden auch jene asiatischen Nationen von Generation zu Generation vererben, die jetzt Nordvietnam nicht helfen. Er wird vereinende Tradition auf einem Kontinent werden, der die Vernichtung von Menschen zwar vergessen kann, die Zerstörung des Bodens aber nicht.

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