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Den Pulitzer-Preis für den Sturz Diems

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Je mehr in Sachen Vietnam klargestellt wird, desto unklarer wird alles. Unsere landläufigen politischen Begriffe genügen nicht mehr; das ungute Gefühl stellt sich ein, daß das, was wir für brauchbare Denkkategorien gehalten haben, nichts als Klischees waren.

. Wenn heute die liberale Presse Amerikas so tapfer zu schmähen weiß, tut es gut daran zu erinnern, daß gerade sie es war, die anfangs der sechziger Jahre das publizistische Trommelfeuer gegen den südvietnamesischen Präsidenten Ngo Dinh Diem ständig verschärfte. Seine Herrschaft wurde als Diktatur verschrien, obwohl seine Zwangsmaßnahmen gewiß nicht über das Maß dessen hinausgingen, das einem „fortschrittlichen" Staatsmanne in Entwicklungsländern ohne weiteres als notwendig zugebilligt wird, um einer rückständigen Bevölkerung das 20. Jahrhundert beizubringen. Korruption und Nepotismus, den „linken“ Diktatoren leichthin verziehen, wurden dem „rechten“ Diem als unverzeihlich angelastet, seine Bemühungen um Hebung der Sexualmoral (in kommunistischen Staaten etwa durchaus üblich) als reaktionär gebrandmarkt, die Förderung der katholischen Minderheit, der er selbst angehörte, als Klassenherrschaft.

Im Kampf gegen Diem zeichnete sich besonders David H alb erst am aus, der für seine Berichte in der „New York Times“ auch pünktlich den Pulitzer-Preis erhielt. Diesen zufolge waren die Unruhen in Südvietnam nicht politischer, sondern religiöser Natur, kein Kampf zwischen Kommunisten und Antikommunisten, sondern zwischen den herrschenden Katholiken und den unterdrückten Buddhisten; nur die Unterstützung der Katholiken durch Amerika treibe die Buddhisten in das kommunistische Lager, nur Diem stehe daher einer friedlichen Entwicklung im Wege.

Anscheinend gemäß dieser These handelte Washington: es duldete, ja förderte den Sturz Diems, überantwortete ihn, seine Brüder und seine Mitarbeiter den Putschisten, zweifellos wissend, daß das deren sicheren Tod bedeutete, nur um sich gegen etwaige Ränke der Gestürzten abzusichem und religiöse Neutralität eindrucksvoll zu beweisen.

Der blutige Meisterplan war ein vollkommener Fehlschlag: die sozialen und religiösen Spannungen wurden unter den neuen buddhistischen Machthabern nicht geringer, die Amerika- und Regierungsfeindlichkeit der „fortschrittlichen“ Buddhisten nahm eher zu, die Lockerung der

Moral machte die Bevölkerung nicht regimefreundlicher, die Unruhen breiteten sich aus und erhitzten sich zum Bürgerkrieg.

Nun war Halberstams These keineswegs originell. Gilt es doch bei den Liberalen in aller Welt schon seit langem als Zeichen von Intelli-

gern, Scharfsinn und Vorurteilslosigkeit, den kommunistischen Charakter von Umsturzbewegungen zu leugnen, derartige Behauptungen alt antikommunistische Primitivvorstellungen zu „entlarven", das „eigent liche“ durchaus unpolitische Wesen der Revolutionen zu entdecken. So galt ihnen einst Mao Tse-tung als namenloser Agrarreformer, Castro als demokratischer Robin Hood, der nur den Diktator Battista beseitigen wollte, und H o Tschi Minh als antikolonialisti- scher Freiheitskämpfer.

In Wirklichkeit ersetzt freilich dieser „Jargon der Eigentlichkeit“ (um Adornos treffende Bezeichnung auch auf die Linke anzuwenden) nur eine Primitivvorstellung durch eine andere: gewiß sind es gewaltige soziale Mißstände, um deren Beseitigung sich die Kommunisten in den

Entwicklungsländern „kümmern“, aber sie begnügen sich nicht damit; die Mißstände dienen ihnen nur als Sprungbrett zur Macht. Nicht die Unzufriedenen sind es, die sich der Kommunisten bedienen, sondern um-

gekehrt die Kommunisten, welche die Unzufriedenen für ihre Zwecke benutzen.

So war es auch in Vietnam: soziales und auch religiöses Unbehagen mochte zwar die Triebfeder an sich nichtkommunistischer Unzufriedener bei ihrer Annäherung an den Vietkong gewesen sein, aber nicht etwa die Buddhisten bedienten sich des Vietkongs, sondern dieser gebrauchte die Buddhisten. Der Versuch, die Unzufriedenheit politisch zu neutralisieren, die notwendigen Reformen mit den Aufständischen gemeinsam durchzuführen, Statt sie möglichst aufgeschlossenen Gruppen des Establishments zu überlassen (was zugegebenermaßen eine recht unbefriedigende Lösung ist), scheiterte in Vietnam wie anderswo an der politischen Durchschlagskraft der Kommunisten.

Der eigentliche Kern der Aufstandsbewegungen ist leider nicht das berechtigte Reformstreben, sondern der Kommunismus.

Was aber bei den jetzigen Enthüllungen überrascht und erschüttert, ist die nunmehrige Feststellung, daß die Beseitigung Diems nicht im guten Glauben erfolgte, gar nicht die Befriedigung des Landes zum Ziele hatte: nicht Diem war es, der einer Aussöhnung mit dem kommunistischen Norden im Weg stand, sondern er wollte im Gegenteil sie herbeiführen. Washington ließ ihn durch buddhistische Generäle nicht der Entspannung willen beseitigen, sondern um diese zu verhindern, um sich Südvietnam als strategisches Bollwerk zu erhalten.

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