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Diem

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Es mußte so kommen! Mußte es wirklich so kommen? Der Sturz der Regierung Diem in Südvietnam, der Tod des Präsidenten und seines einflußreichen Bruders unter den Kugeln aufständischer Soldaten am Allerseelentag: das ist eine Nachricht, die wir mitteleuropäischen Katholiken nicht mit demselben Gleichmut aufnehmen sollten, mit dem wir uns angewöhnt haben, von südamerikanischen Pronunzia- mentos und orientalischen Palastrevolten zu hören.

Südvietnam liegt nicht nur in einer Krisenzone der Weltpolitik. Seit Jahren wütet in seinem Inneren ein schwerer, verlustreicher Kampf mit den Vietkongs — eingesickerten Guerillakriegern aus dem kommunistischen Norden. Über dieses bedrängte Land mit seiner in der überwiegenden Mehrzahl dem Buddhismus in dieser oder jener Form anhängenden Bevölkerung herrschte seit Jahren der Katholik Ngo Dinh Diem —und nicht nur er allein. Mit ihm und durch ihn regierte seine Familie — konvertierte Nachkommen eines alten Mandarinengeschlechtes. Niemand anderen als den Erzbischof von Hue, Ngo Dinh Thuc, konnten sie zu den Ihren zählen. Große Möglichkeiten, große Versuchungen!

Ein Katholik alß Herrscher über Millionen, Ungläubiger, eine von ihm gelenkte, straff organisierte Partei, eine gutausgerüstete Armee und eine aufmerksame Geheimpolizei. Konnte hier im Fernen Osten sich nicht wieder einmal, noch einmal, dasselbe wiederholen, was sich einmal an der Milvischen Brücke und seither so oft abgespielt hatte? Das Kreuz als Fahne, Constantin re- divivus, in Saigon! War Südvietnam nicht ein schönes Beispiel gegen jenen „Schwächeanfall“ vieler Katholiken bis hinauf in hohe und höchste Kreise der Hierarchie: jener, die sich nicht nur bewußt auf den Boden einer „pluralistischen Gesellschaft“ stellen, sondern sogar — niemand anderer als Kardinal König hat es erst unlängst ausgesprochen — die Aufgabe der Kirche in der Welt des 20. Jahrhunderts im Dienen und nicht im Herrschen sehen.

Präsident Diem war aus einem anderen Holz. Und tatsächlich ging alles am Anfang gut. Aber mit den Jahren wurden hinter der katholischen Fassade immer mehr die alten Züge einer Mandarinenherrschaft sichtbar.

Ein gefährliches Spiel — vor allem für die Katholiken dieses vielgeprüften Landes, die mit dem Regime Diems vielfach identifiziert wurden. Als in den Straßen Saigons die Bonzen brannten, ging das böse Wort vom „Religionskrieg“ um die Welt. Einen solchen gab es nie in Südvietnam. Die Weltuhr zeigt eine neue Stunde. In ihr hat die Kirche Christi längst gelernt, auf den „starken Arm“ zur Durchsetzung ihrer Heilsbotschaft zu verzichten. Im Gegenteil. Das Kreuz als Fahne in der Politik kann ihren Missionsauftrag nur gefährden. Deswegen zeigte man in Rom auch äußerste Zurückhaltung gegen eine zu enge Verbindung zwischen der katholischen Kirche und der Regierung Präsident Diems.

Nun ist die zu erwartende Katastrophe eingetreten. Präsident Diem ist tot. Sein Bruder, der eigentliche „starke Mann“ ist ebenfalls tot. Das Regiment eines Clans ist gestürzt. Ob das, was folgt, besser und der Sache der Freiheit ergebener sein wird, bleibt abzuwarten. Wird der Tragödie der Familie Diem die Tragödie der Katholiken Vietnams folgen? Ein Experiment ist zu Ende. Es war kein heiliges Experiment.

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