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Die Johnson-Doktrin

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Wer Präsident Johnsons Rede in der John-Hopkins-Universität, in der er — endlich — seine Vietnampolitik darlegte, aufmerksam studiert, der entdeckt darin eine neue außenpolitische Konzeption. Diese ist zwar erst in Umrissen sichtbar, doch geht man wohl kaum fehl in der Annahme, daß hier versucht wurde, so etwas wie eine „Johnson-Doktrin“ zu formulieren. Der amerikanische Präsident hat in dieser programmatischen Rede einerseits Nordvietnam und der Sowjetunion eine Hand hingestreckt — daß die andere Hand weiterhin eine geladene Waffe auf NordVietnam richtet, hebt den Wert dieser Geste nicht auf —, anderseits aber gegen China die Faust geballt. Er fand anerkennende Worte für die „Arbeitsamkeit und die Opfer“ des nordvietnamesischen Volkes und beteuerte, keineswegs zerstören zu wollen, was dieses Volk aufgebaut habe. Er lud die Sowjetunion ein, sich an einer gemeinsamen Entwicklungshilfe für ganz Ostasien, die auch einem friedlichen Nordvietnam zugute kommen solle, zu beteiligen. Aber er richtete harte, kompromißlos feindselige Worte an die Adresse Chinas, dieses „alten Feindes“, den er anklagte, der wahre Angreifer in Vietnam zu sein und auf allen Kontinenten den Kräften der Gewalt zu helfen.

Diese „Johnson-Doktrin“ läßt sich auf drei Hauptpunkte reduzieren:

• Neutralisierung Südostasiens auf der Grundlage des politischen Status quo und auf dem ökonomischen Fundament einer massiven Entwicklungshilfe. Gemeinsame amerikanisch-sowjetische Garantie dieser südostasiatischen „Neutralität“.

• Diesem Gedanken steht -lie Hoffnung Pate, Moskaus Interesse an der Erhaltung des Weltfriedens sei so groß und der Konflikt zwischen Moskau und Peking so ernst und so grundsätzlicher Natur, daß die Sowjetunion sich ihrerseits bereit erklären würde, die Hand zu einer solchen Lösung zu bieten. • Erklärung Rotchinas zum Weltsündenbock und Versuch China — wenn möglich gemeinsam mit der Sowjetunion — weltpolitisch zu isolieren.

Falls diese drei Punkte den Kern der „Johnson-Doktrin“ richtig wiedergeben, muß man diese Doktrin als eine Mischung von Realismus und Wunschdenken bezeichnen. Daß eine Neutralisierung Südostasiens als einzige Möglichkeit erscheint, den Vietnamkonflikt zu beenden, ist eine richtige Einsicht, an der „nur“ zu bemängeln wäre, daß sie reichlich spät — wenn nicht zu spät — kommt. Hätte man Hanoi vor zehn Jahren eine massive Entwicklungshilfe angeboten und versucht, es Ho Chi Minh zu ermöglichen, einen „titoistischen“ Kurs zu steuern, sähe heute wohl manches anders aus. Ob es hingegen heute, noch möglich ist, Hanoi für eine Neutralisierung mit antichinesischer Tendenz zu gewinnen, ist eine offene Frage.

Aber der Haupteinwand gegen die „Johnson-Doktrin“ lautet, daß es undenkbar ist, Südostasien zu neutralisieren, solange Peking nicht dafür gewonnen werden kann, sich an der Garantie dieser „Neutralität“ mitzubeteiligen. Eine betont gegen China gerichtete Neutralisierung gar muß Peking doch geradezu provozieren, alles zu unternehmen, um das Experiment zum Scheitern zu bringen. Und was würde geschehen, wenn trotz Neutralisierung die Guerillas — mit chinesischer Unterstützung — ihren Kampf weiterführen würden? Ist es denkbar, daß die Sowjets und Hanoi dann ihrerseits gegen den Vietkongs vorgehen würden? Und würde dann nicht die Gefahr heraufbeschworen, daß in Amerika — und nicht nur dort — immer lauter die Forderung nach einer Präventivaktion gegen China erhoben würde?

„Besitzende“ und „Habenichtse“

Nimmt man weiter an, die Sowjetunion beteilige sich tatsächlich an einem gemeinsamen sowjetisch-amerikanischen Experiment zur „Eindämmung“ Chinas, dann würde dadurch genau jene_ Zweiteilung der Welt in „Besitzende“ und „Habenichtse“ provoziert, auf die China hinarbeitet. Es ist die erklärte Politik Pekings, den Klassenkampf gewissermaßen zu internationalisieren, in die Weltpolitik hineinzutragen, und dabei sich selbst den Hunderten von Millionen von „Habenichtsen“ in Asien, Afrika und Lateinamerika als weltpolitische Führer- und Erlösernation anzubieten, gleichzeitig die Sowjetunion in das Gegenlager der „Besitzenden“ drängend. Peking wird diese Anstrengungen um so mehr intensivieren, je mehr sich das Gegenlager blockmäßig organisiert und China zu isolieren versucht. Wäre damit dem Weltfrieden wirklich gedient?

Weiter muß man auf Grund der bisherigen Erfahrungen daran zweifeln, ob selbst eine massive Entwicklungshilfe die Situation wesentlich zugunsten Amerikas verändern könnte. Solange nicht durch politische und wirtschaftliche Strukturreformen Gewähr dafür geboten wird, daß diese Entwicklungshilfe nicht nur mehr oder weniger reaktionären und korrupten Regimes und „Oberschichten“, sondern wirklich der breiten Masse des Volkes zugute kommt, so lange ist deren politischer Erfolg grundsätzlich in Frage gestellt.

Es ist anzunehmen, daß man auch in Moskau solche Überlegungen anstellt und der Kreml keineswegs erpicht darauf ist, es China zu ermöglichen, triumphierend auf die Richtigkeit seiner These hinzuweisen, wonach die Sowjetunion das Proletariat verraten und sich im internationalen Klassenkampf auf die Seite der „Imperialisten“ gestellt habe. Aber selbst wenn Moskau an der „Johnson-Doktrin“ Gefallen finden würde: ohne Beteiligung Chinas erscheint eine Befriedung und Stabilisierung des südostasiatischen Raumes auf lange Sicht als undurchführbar, ganz abgesehen von den erwähnten weltpolitischen Konsequenzen einer bewußten Isolierung des revolutionären 700-Millionen-Volkes. Eine realistische, nicht von Emotionen und — wenn auch noch so verständlichen — Rankünegefühlen bestimmte Politik, die auf die Errichtung der „einen“ und nicht auf eine Neuaufteilung der bestehenden Welt gerichtet ist, muß versuchen, das Riesenreich im Osten in die Weltpolitik zu integrieren, anstatt es durch eine Isolierungspolitik daran zu hindern, für diese Weltpolitik Mitverantwortung zu übernehmen.

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