Die rote Todesmaschine

Werbung
Werbung
Werbung

Während das offizielle Kambodscha bis heute die Aufarbeitung der Rote-Khmer-Zeit verweigert, hat der Filmemacher Rithy Panh Opfer und Täter an der ehemaligen Folterstätte S-21 zusammengeführt. Die Dokumentation ist dieses Wochenende bei der Viennale zu sehen.

Nath: Ich verstehe nicht den Grund für eine derartige Barbarei. Wie habt ihr, die ihr hier gearbeitet habt, euch an diese Taten gewöhnt, daran, dieses Leiden zu sehen? Ich verstehe das nicht.

Khan: Ich bin in die Verwaltung von S-21 eingetreten, und zunächst hat man mich erzogen, um [...] meine ideologische Position zu festigen. Das Büro S-21 war das Herz der Nation [...]. Wir waren die rechte Hand der Partei, man musste eine entschlossene Haltung haben. Im Angesicht des Feindes konnte man nicht zögern, man war entschlossen, auch wenn es der Bruder, die Mutter oder der Vater war. [...]

Nath: Und die kleinen Kinder, manche waren noch nicht einmal ein Jahr alt, waren noch Säuglinge oder konnten noch nicht laufen, [...] waren auch sie Feinde?

Houy: Die Partei im Büro S-21 hat uns gelehrt: Wenn die Partei jemanden verhaftet, dann verhaftet sie einen Feind der Partei. Wenn der Ehemann verhaftet wurde, mussten auch die Frau und die Kinder verhaftet werden. Auch unsere Eltern, unsere Brüder und Schwestern, wenn die Partei sie verhaftete, waren sie Feinde der Partei. [...] Angkar, die Partei, stand über allem. Wenn man uns befahl, sie zur "Vernichtung" zu führen, dann führten wir sie zur "Vernichtung".

Nath: Hast du nicht ein wenig nachgedacht? Gar nicht?

Houy: Die Partei, S-21 verhafteten nicht aus Versehen. Es waren Feinde.

Nath: Du hattest deine Fähigkeit, als Mensch nachzudenken, verloren. [...] Wie haben sie dich indoktriniert?

Houy: Man sagte mir, dass es Feinde waren, ich wiederholte, dass es Feinde waren.

Vann Nath war während des knapp vierjährigen Terrorregimes der Roten Khmer in Kambodscha (1975-79) Gefangener in S-21, dem Folter- und Vernichtungszentrum in der Hauptstadt Phnom Penh. Prâk Khan war einer von jenen, die die Verhöre mit den Häftlingen führten. Him Houy war leitender Sicherheitsbeamter in S-21, verantwortlich für die Gefängniswärter und den Häftlingstransport. Nach dem Sturz der Khmers rouges wären sie einander wohl nicht mehr begegnet, hätten nie ein Gespräch wie das obige geführt, hätte nicht der kambodschanische Filmemacher Rithy Panh sie wieder zusammengebracht. Während eines Zeitraums von drei Jahren hat Panh immer wieder Treffen von einstigen Opfern und Tätern in- und außerhalb von S-21 arrangiert, das 1980 in ein Genozidmuseum umgewandelt wurde. Die Begegnungen hat er in dem Dokumentarfilm "S-21, la machine de mort khmère rouge" ("S-21, die Todesmaschine der Khmers rouges") und dem Buch "La machine khmère rouge" aufgezeichnet. Sechs Monate, nachdem der Film erstmals bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes gezeigt wurde, ist er an diesem Wochenende nun bei der Viennale zu sehen.

Wider die Straflosigkeit

"Es ist mir ein tiefes Bedürfnis, Filme zu machen. Aufgrund dessen, was ich erlebt habe, muss ich mich ausdrücken", erklärt Panh seine Motivation. 1964 geboren, verbrachte er selbst die Jahre 1975-79 in einem Lager. Sein Bruder gilt als verschollen, seine Eltern wurden ermordet, zwei von insgesamt bis zu zwei Millionen Kambodschanern, die unter den Roten Khmer an den Folgen von Gewalt, Hunger und Krankheit ums Leben kamen. Offiziell ist diese Vergangenheit bis heute nicht aufgearbeitet, hat es kein Tribunal gegen die noch lebenden einstigen Khmer-Rouges-Führer gegeben. Pol Pot starb 1998 im Dschungel im Westen von Kambodscha. Andere ehemalige Führer hatten sich schon Anfang der neunziger Jahre mit der damaligen Regierung eine Amnestie ausgehandelt. Nur wenige, unter ihnen Duch, der einstige Leiter von S-21, sitzen heute in Haft.

"Ich mache diese Arbeit, weil ich möchte, dass es eines Tages ein Gerichtsverfahren gibt", betont Panh, der Anfang der achtziger Jahre nach Paris kam und dort dann die Filmschule absolvierte. "Denn das Schlimmste für uns ist diese Straflosigkeit." Mit einem Film wie "S-21" hofft er auch, einen Dialog zwischen den Generationen in Gang zu bringen, den Überlebenden die Angst vor dem Wort zu nehmen und sie dazu zu veranlassen, über ihre Erfahrungen zu sprechen. "Die Überlebenden haben gegenüber den Toten die Verantwortung zu reden, Zeugnis abzulegen, zu verstehen", betont Panh. Er will es nicht hinnehmen, dass die einen aus Schamgefühl, die anderen unter Verweis auf eine göttliche oder kosmische Gerechtigkeit, und wieder andere aus politischen Motiven die Gedächtnisarbeit verweigern und vergessen wollen. "Wenn man die Vergangenheit begraben will, ohne sie zu verstehen, läuft man Gefahr, von ihr besessen zu werden."

Opfer und Täter, erläutert Panh die Überlegungen zu seinem Film und Buch, "müssen sich erinnern, und nicht an irgendetwas, sondern an die gleichen Dinge. Wir machen gemeinsam den Schritt und versuchen zu sehen, wie jeder sich erinnert." Im Falle von S-21 drängte bereits die Zeit. Zwischen 14.000 und 17.000, manche meinen gar, bis zu 20.000 Menschen kamen hier zu Tode. Von den nur sieben, die die Haft überlebten, waren vier bereits eines natürlichen Todes gestorben, als Panh sein Projekt initiierte, lediglich drei waren noch am Leben, unter ihnen Nath. Nicht "Kamtech" (Vernichtung), sondern "Behalten und benutzen" steht in dem von den Roten Khmer über ihn angelegten Akt zu lesen. Nath war Maler, und die Khmers rouges brauchten jemanden wie ihn, der nach Vorlagen Porträts von Pol Pot anfertigen konnte.

Mechanismen des Terrors

Von den einstigen Handlangern der Roten Khmer gelang es Panh, neben dem eingangs zitierten Prâk Khan und Him Houy noch Wachbeamte und Folterer, einen Fotografen, Mediziner sowie Verwalter der von den Khmers rouges penibel geführten Akten über alle Gefangenen von S-21 zur Mitarbeit zu bewegen. In der ehemaligen Folterstätte konfrontierte Panh die Täter mit ihren Opfern, und er legte ihnen auch Fotos und Dokumente vor, "die jene Realität bezeugen, die sie leugnen wollen". Manche leugneten zunächst dennoch und blieben abweisend, um dann bei einem der folgenden Treffen ihre ursprüngliche Version zu korrigieren und mehr zu erzählen.

Doch die Erinnerung wieder wecken und sie wachhalten ist eines, verstehen können etwas anderes. Wie haben die "Mechanismen dieses Massenverbrechens" funktioniert? Wie konnten so viele Menschen zu Folterern gemacht werden? Auf einer theoretischen Ebene kann Panh das Unterfangen der Roten Khmer knapp zusammenfassen. Sie waren, sagt er, "Utopisten. Sie wollten das Glück für alle, und sie wollten ein Paradies auf Erden schaffen." Aber um ihre radikale Revolution durchzuführen und ihr kommunistisches Paradies zu errichten, "mussten sie alles kontrollieren, alles beherrschen, einen neuen Menschen schaffen". Das konnte nur unter einem Gewaltregime geschehen, und dafür benötigten sie ihre Schergen.

Was fühlten die Schergen?

Wie aber - und damit ist Panh bei der so schwer greifbaren menschlichen Ebene - war es möglich, "eine Armee von willfährigen und formbaren Individuen" aufzubauen? Was ging in den Schergen vor, wenn sie Geständnisse erzwangen, wenn sie zuschlugen, wenn sie folterten? Was fühlten sie? Was dachten sie? War ihnen ihre ganze Menschlichkeit abhanden gekommen? Fühlen sie sich heute schuldig? Bedauern sie? Wollen sie vergessen? Wie können sie je vergessen - die Blicke der Opfer, ihre Leiden, ihre Qualen? Fragen über Fragen, die die Opfer in den über drei Jahre hinweg abgehaltenen Begegnungen ihren Tätern stellen.

Die "universelle Rechtfertigung", wonach die Schergen selbst "unter Lebensgefahr" gehandelt und "nur den Befehlen gehorcht" hätten, will Panh ebensowenig hinnehmen wie Nath. Doch wie lässt sich dann die Maschinerie der Khmers rouges erklären? "Wir sind sehr weit mit unseren Fragen gegangen", meint Panh. "Aber es ist unmöglich, alles zu verstehen."

S-21, la machine de mort Khmère Rouge

Rithy Panh, Kambodscha/F 2003, OmU

Freitag, 24. 10., 20.30 Stadtkino

Samstag, 25. 10., 13.00 Stadtkino

www.viennale.at

La machine khmère rouge

Rithy Panh avec Christine Chaumeau, Flammarion, Paris 2003, 308 S., e 19

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung