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NGUYEN THI BINH / EIN HAUCH VON CHANEL NR. 5

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„Es gibt einen See, auf dem weiße Schwäne schwimmen ...“ So führte sich die weibliche Vertreterin der bis dato machtvollsten Guerillaarmee der Welt nach 1945 in Paris ein. Sie zog aus einer Villa am Stadtrand an jenen schönen abgelegenen See, auf dem die Schwäne schwimmen und wo die Vertreterin des Vietkong bei den Pariser Friedensgesprächen mehr Muße und Einfühlung gewinnt.

Die ungewöhnliche Frau, die außerdem attraktiven ostasiatischen Charme zur Schau trägt, benimmt sich auf dem Parkett der internationalen Verhandlungswelt ebenso sicher, wie sie sich angeblich vertraut mit den Praktiken der Partisanentätigkeit im blutigen Dschungelkrieg gezeigt hat. Die 41jährige Lehrerin gehört zum inneren Kreis des zwischen Hanoi und dem im Süden operierenden Vietkong- hauptquartier vagierenden Stabes.

Es ist sehr klar, warum der Vietkong gerade eine Frau nach Paris geschickt hat: Thi Binh soll versuchen, im Westen noch mehr Sympathie für die Sache der Guerillas zu erwirken, um damit die „harten“ Generäle Südvietnams durch eine forcierte öffentliche Meinung einzuengen. Denn, daß die Südvietnamesen die absolut undurchsichtigste und schwächste Stellung einnehmen werden, ist offensichtlich. Ein Abzug der Amerikaner würde sie der geballten Kraft des Nordens und des Vietkong aussetzen, würde wahrscheinlich zum Fiasko in kürzester Zeit führen und ihr ohnehin angeschlagenes Prestige in aller Welt restlos zerstören. Eine Aufnahme des Vietkong in eine südvietnamesische Regierung aber scheint das unausgesprochene Leitziel der Amerikaner zu sein. Man denkt im State Department scheinbar an eine ähnliche Lösung wie in Laos, wo die Koalitionsregierung der laotischen Prinzen die Kommunisten beruhigt hat.

So sind die Gespräche in Paris für Thieu und Ky fast schon „innerpolitisches“ Tauziehen um Kabinettsränge.

Freilich: der Friede in Vietnam ist trotz der Madame Thi Binh noch in weiter Ferne. Denn in die Duftwolke aus Chanel Nr. 5, das Madame am Verhandlungstisch ausströmen wird, werden sich Verhandlungspartner setzen, die alles andere als ein klares Konzept besitzen. Und wenn Politiker kein Konzept besitzen, bleibt der Status quo erhalten.

Rund um Saigon scheinen die Vietkongpartisanen einen neuen Ring zu ziehen. 40 Kilometer von Saigon entfernt unternahmen 600 Guerillas einen mörderischen Angriff auf ein Fort der Amerikaner. Und im Norden hat Ho Tschi Minh seinen kämpfenden Freunden zugerufen, jetzt alles auf die Karte des Endsieges zu setzen.

Saigon will nun einen ehemaligen Verbündeten der Madame aus dem Dschungel gegenübersetzen. Als „Experte“ soll der übergelaufene Vietkong ob er st und ehemalige Divisionskommandant der Partisanen, Tham Ha, seine Delegation über die vermutliche Taktik der Gegenseite unterrichten.

Die Amerikaner allerdings scheinen gleichfalls nicht ganz klar zu sehen. Delegationsführer Harriman reiste nach Nordamerika zurück und hat bereits angekündigt, Nixon nicht dienen zu wollen.

So warten die Beobachter in Paris auf ein rasches Kommen der Südvietnamesen und auf Klarheit bei den Amerikanern, wer wie weiten erhandeln wird. Nixon dürfte sich bis dato Zurückhaltung in der Erteilung von Weisungen auferlegt haben.

So sitzt Madame Binh vorläufig ziemlich allein am runden Tisch, während ihre Landsleute weiter aufeinander schießen; und noch weiter schießen werden, wenn man den Pessimisten trauen darf.

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