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Vietnam: Rückblick — Ausblick

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Die jüngste Phase der Vorgänge um Vietnam läßt es geboten erscheinen, vor einem Ausblick noch kurz in der Geschichte dieses unseligen Krieges zu blättern.

Ein Zwischenfall im Golf von Tongking führte erstmals zum Bombardement von Flottenstützpunkten und Ölbasen in Nordvietnam; der von Peking verhöhnte „Papiertiger” beantwortete den Angriff nordvietnamesischer Schnellboote auf seine Zerstörer mit militärischen Friedensrepressalien. 1965 war es soweit: 200.000 Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika sprengten endgültig den Rahmen eines Bürgerkrieges, in zunehmendem Maße wurden militärische Ziele nördlich des 17. Breitengrades freigegeben — der deutsche Sprachschatz um ein Fremdwort bereichert: Die Eskalation war geboren, am besten zu bezeichnen als Politik einer schrittweisen Ausweitung militärischer Aktionen zwecks Zermürbung des Gegners.

Das Selbstbewußtsein der Amerikaner — Selbstüberschätzung, wie man heute objektiv feststellen muß — war beachtlich. Johnson behauptete: „Amerika gewinnt die Kriege, auf die es sich einläßt. Daran gibt es gar keinen Zweifel.”

Die Überschwenglichkeit ist gewichen, hat einer gewissen Resignation Platz gemacht, die in der fast demütig wirkenden Johnson-Erklärung gipfelt; man mußte erkennen, daß es bei dieser Art des Krieges zu wenig ist, wenn die Gis, deren Anzahl mittlerweile eine halbe Million erreicht hat, zwar Städte und Basen unter Kontrolle haben, trotz intensivster „Säuberungsaktionen” in Dörfern und auf dem flachen Land der Einfluß des Vietkong aber nur kurzfristig ausgeschaltet werden kann. Die Terroraktionen von „Victor Charlie” (VC), wie der Vietkong von den Marinednfanteristen in einer Mischung von Bewunderung und Abscheu getauft wurde, konnten weder in der Hauptstadt noch in den wichtigsten Provinzzentren völlig unterbunden werden, ebensowenig gelang es, die Rekrutierungsmaßnahmen der Rebellen entscheidend zu stören.

Entscheidung im Kreuzfeuer

Selbst bei genauem Studium der Rede Johnsons findet sich kein exakter Hinweis, warum und aus welchen Motiven die Friedensgeste aber gerade jetzt erfolgte. Den gewählten Zeitpunkt als günstig hin- zustellen vermag man nur dann, wenn man von der Hypothese ausgeht, daß auf dem Wege der Geheimdiplomatie eine glaubwürdige und verbindlich scheinende Abmachung, sich zu Gesprächen zu treffen, zustande gekommen ist. Bedenkt man, daß schon einige Monate verstrichen sind, seitdem Nordvietnams Außenminister Trinh die Erklärung abgab, die bedingungslose und vollständige Einstellung der amerikanischen Bombenangriffe sei die Voraussetzung für den Beginn von Frie- densverhandliungen, so kann man folgende Erklärungen finden: Damals sah die militärische Lage in dem momentan wohl neuralgischsten Staat der Erde noch nicht so bedenklich für das Land mit dem größten Kriegspotential aus, damals hatten vor allem die Kritiken des In- und Auslandes an der Vietnam-Politik der Regierung Johnson noch nicht die Schärfe, die zermürbende Heftigkeit der letzten Wochen erreicht. Die ständigen Appelle des Heiligen Vaters, manifestiert als Ausdruck des Weltgewissens, sind sicherlich auch nicht ohne Einfluß geblieben.

Skeptische Reaktionen

Nur unverbesserliche Optimisten mochten glauben, die Einstellung der Bombenangriffe auf das nordvietnamesische Staatsgebiet nördlich des 20. Breitengrades werde im anderen Lager ein begeistertes Echo hervor- rufen. Aus Moskau hörte man sofort, daß eine nur teilweise Einstellung ungenügend sei; ebenso bemängelte die Sowjetunion das Fehlen einer Zeitangabe über die Dauer eines Bombenstops; der Verzicht auf eine Präsidentschaftskandidatur läßt laut „TASS” die Deutung sowohl als „Wahlmanöver” wie auch als öffentliche Anerkennung des Scheitems der Viietnampoütik offen. Die Reaktion aus der Hauptstadt des betroffenen Staates kam prompt und in ihrer Tendenz nicht unerwartet, vielleicht sogar von Johnson indirekt auch beabsichtigt: Präsident Nguyen Van Thieu proklamierte eine Generalmobilmachung und versicherte öffentlich, Südvietnam werde notfalls auch dann allein weiterkämpfen, „wenn unsere Verbündeten nicht länger bereit sein sollten, uns beizustehen”. Es ist durchaus anzunehmen, daß ein Impuls zu vermehrter Übernahme der Lasten durch den unmittelbar betroffenen Partner, vor allem auf dem personellen Sektor, von Washington gegeben werden sollte.

Die Kommentare aus der französischen Hauptstadt ähnelten verblüffend der Moskauer Beurteilung der Situation; „das aus schmerzlicher innerer Prüfung hervorgegangene Eingeständnis der Niederlage seiner harten Vietnampolitik” wurde als Ursache der Resignation Johnsons angesehen. Sie unterschieden sich im wesentlichen nur dadurch von den sowjetischen, daß sie den Umfang der De-Eskalation nicht als ungenügend bezeichneten und am guten Willen des US-Präsidenten keinen Zweifel hegten.

Im eigenen Lande jedoch gab es gewichtige Stimmen, wie die des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Richard Nixon, welche die Geste des Friedens als nicht ausreichend bezeichnen. Positiver sind die Äußerungen der maßgeblichen Demokraten, van denen Robert Kennedy den Bombenstop als „Hoffnung zu positiven Schritten” sowie die Rüdetrittsankündigung als „Opfer im Dienste des Vaterlandes” apostrophierte.

Die wohl wichtigste Stellungnahme ließ einige Tage auf sich warten; daß sie überhaupt edntraf und nicht ablehnend ausflel, ist wohl ein erfreulicher Aspekt, der allerdings nicht überschätzt werden sollte. Offizielle Stellen in Hanoi erklärten zwar die Verhandlungsbereitschaft ihrer Regierung, wiesen aber gleichzeitig darauf hin, daß das Beratungsthema nicht unmittelbar der Friede in ganz Vietnam, sondern nur die vollständige Einstellung der Angriffe auf Nordvietnam sei.

Ein Opfer für den Frieden

Die Betonung Hanois, nicht direkt über den Frieden verhandeln zu wollen, drängt den Vergleich mit einem synallagmatischen Vertrag auf, in dem die Amerikaner mühsam und widerwillig die Vorleistungspflicht auf sich genommen haben, der nordvietnamesische Kontrahent jedoch in dem Bewußtsein, nicht den vollen Wert als Pränumeration erhalten zu haben, seinen Teil der Leistung Zug um Zug verzögert; als erfreuliche Interpretationsmöglichkeit bietet sich der logische Gedanke an, daß bei Verhandlungen über ein Thema, dessen enger Konnex mit dem anderen unübersehbar ist, ein Waffenstillstandsabkommen bei beiderseitigem guten Willen in den Bereich des Möglichen rückt. Anderseits ist die gute Absicht Nordvietnams mit der Verhandlungsbereitschaft allein noch nicht genügend dokumentiert: ebenso naheliegend ist die Annahme, daß eine generelle vorübergehende Einschränkung der Kampftätigkeit dem Vietkong wohl größeren Vorteil verschafft als den Amerikanern; die andauernde psychische, wirtschaftliche und militärische Unterstützung von seiten Moskaus und Pekings, die Erfolge in der Neujahrsoffensive, das Abgehen der USA von der San- Antonio-Formel sind Fakten, die über die bessere Ausgangsbasis, den höheren Stuhl am langersehnten Verhandlungstisch, keinen Zweifel auf kommen lassen. Wegen des dornenvollen Weges, den Präsident Johnson zurückzulegen bereit scheint (und der eine gewisse Ähnlichkeit mit Heinrichs IV. Canossagang aufweist), ist dem Texaner zu bescheinigen, daß er unter großen persönlichen Opfern und ohne Rücksicht auf einen Prestigeverlust seines Landes im Dienste der höheren Idee des Friedens handelt; es ist der ganzen Welt ebenso wie dem gebrochen wirkenden Mann zu wünschen, daß seinen Bemühungen Erfolg beschießen sein wird.

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