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Geographische Escalation

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Die Escalation in der Intensität des Vietnamkrieges ist an sich schon besorgniserregend genug. Aber neben dieser „vertikalen“ Escalation gibt es auch noch eine „horizontale“, oder besser: eine geographische. Obgleich das Pentagon die beteiligten amerikanischen Mannschaften zur Geheimhaltung verpflichtete, ließ es sich auf die Dauer doch nicht verheimlichen, daß die USA seit geraumer Zeit außer in Vietnam auch noch in Laos Krieg führen und daß sie in Thailand Militärstützpunkte aufbauen, die für eine intensive Kriegführung geeignet sind.

Aber diese horizontale, geographische Escalation ist ebenfalls von einer vertikalen begleitet, die sowohl in Laos wie in Thailand in diesem Jahre erhebliche Fortschritte gemacht hat. In Laos unternehmen heute amerikanische Bomber täglich hundert Bombardierungsflüge. Vor einem halben Jahr waren es bloß knappe fünfzig. Um diese Verdoppelung der Einsätze zu erreichen, mußte auch der Mannschaftsbestand verdoppelt werden: vor acht Monaten betrug der Bestand der amerikanischen Luftwaffe in ganz Südostasien 20.000 Mann, heute beträgt er 40.000. Die Flugzeuge für die Laosaktionen starten von Flugzeugträgern sowie von Flugplätzen in Südvietnam und Thailand. Allein dies ist wohl ein Unikum in der Kriegsgeschichte: in einem unerklärten Krieg starten amerikanische Bomber vom Boden eines souveränen Staates, um diese Bomben auf das Territorium eines anderen souveränen Staates abzuwerfen, der mit dem ersten keineswegs im Kriege steht. Das Ziel dieses geheimen Krieges in Laos ist, die kommunistische Infiltration im Norden zu stoppen oder zumindest zu bremsen.

Daß im Norden von Laos, der ohnehin zum Teil von Kommunisten kontrolliert wird, eine „kommunistische Infiltration" existiert, weiß man seit langem. Aber einmal mehr muß man sich fragen, ob eine amerikanische Politik nicht grundsätzlich verfehlt und auf lange Sicht zum Scheitern verurteilt ist, die allzu sehr nur die Folgen bekämpft, anstatt zu versuchen, die Ursachen zu beseitigen. Der Kommunismus ist nicht die Ursache der labilen politischen Situation und der Bürgerkriegsherde in Südostasien, sondern die Folge einer allgemeinen Rückständigkeit und sozialen Misere, die zum Teil auf das Konto des seinerzeitigen europäischen Kolonialismus geht. So lange diese sozio-ökonomische Ursache nicht beseitigt ist, bleibt der Kommunismus in diesen Gegenden der Welt wohl eine Macht, gegen die alle Bomben der USA letztlich nichts auszurichten vermögen.

Aber auch in Thailand haben die USA südvietnamesische Wege eingeschlagen. Heute befinden sich bereits etwa 25.000 amerikanische Militärs in Thailand, doppelt so viel wie vor einem halben Jahr. Ein Großteil davon gehört der Luftwaffe an, die, wie bereits erwähnt, zum Teil von Thailand aus in Laos eingreift. Auch die amerikanische Präsenz und die Escalation in Thailand sind „geheim“, da zwischen der thailändischen Regierung und den USA kein Abkommen über die Stationierung amerikanischer Truppen besteht. Über den amerikanischen Stützpunkten weht die thailändische Flagge. (Man versuche einmal, in diesem Artikel überall dort, wo „USA“ steht, „Sowjetunion“ oder „China“ hinzusetzen, und stelle sich dann die berechtigt heftige Reaktion bei uns im Westen vor.)

Der Ausbau Thailands zu einem amerikanischen „Flugzeugträger“ ist in vollem Gang. Um es B-52-Bombern zu ermöglichen, zu starten und zu landen, ist bei Satti- hip am Golf von Siam eine besondere Piste gebaut worden. Bei Khonkaen ist mit dem Bau eines neuen großen Flugplatzes begonnen worden. Eine amerikanische Spezialeinheit von 130 Mann ist eingesetzt worden, um thailändische Spezialeinheiten auszubilden. In Korat befindet sich ein amerikanisches Waffen- und Munitionslager, dessen Bestände genügen, um eine ganze Division auszurüsten. Es wird weiter ausgebaut. In Sattihip wird ein zweiter Hafen gebaut, mit einem besonderen Munitionsverladepier...

Das alles bedeutet: Die Regierung Johnson scheint entschlossen zu sein,

• in Südostasien auf unbestimmte Zeit die Rolle des „Weltpolizisten“ spielen zu wollen,

• den Kommunismus in Südostasien primär als ein militärisches Problem zu behandeln,

• immer mehr ganz Südostasien als eine politische Einheit zu betrachten, in der Vietnam nur die Rolle des im Augenblick entscheidenden Schlachtfeldes spielt und

• eher einen allgemeinen Krieg in ganz Südostasien zu riskieren als einer neutralistischen Lösung zuzustimmen.

Aber man geht wohl kaum fehl in der Annahme, daß es den USA dabei primär wohl gar nicht um Südostasien geht. Manches spricht dafür — und es ist auch schon offen ausgesprochen worden —, daß die ganze Asienpolitik der USA letztlich diktiert ist von der berechtigten Furcht vor der Entwicklung in — Lateinamerika. Gelingt es nicht, koste es was es wolle, Südostasien gegen den Kommunismus zu immunisieren, dann — so lautet diese Überlegung — bedeutet das für die kommunistische Weltbewegung einen derartigen Erfolg, daß katastrophale Rückwirkungen vor allem auf die explosive Situation in Lateinamerika zu befürchten sind. Daran mag etwas Wahres sein. Bloß wäre zu fragen, ob die bisherige amerikanische Lateinamerikapolitik nicht ganz entscheidend mitgeholfen hat, dort eine solche explosive Situation zu schaffen, und ob es denn eine klügere Politik ist, durch die Wiederholung der gleichen Fehler in Südostasien die lateinamerikanische Revolution zu ersticken. Denn hier wie dort gilt, daß die soziale Frage nicht mit Militärstützpunkten und Bomben zu lösen ist.

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