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Amerikas „Goldwaterloo”

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Goldwaterloo!

So nennen die gemäßigten Republikaner die vernichtende Niederlage, die ihnen auf dem Parteitag in San Franzisko zuteil geworden ist. Von Dwight D. Eisenhower bis zu Rockefeller und Nixon sind sie politisch nach Sankt Helena verbannt. Alle die Namen, die bisher der Partei Glanz verliehen, sind zu Schall und Rauch geworden. An ihre Stelle sind Hinterwäldler aus Wüstenstaaten getreten, von denen bisher niemand gehört hatte. Kitchel, Kleindienst, Burch, Miller, Tower und der wegen seiner reaktionären Ansichten schon einmal geschlagene frühere Senator Knowland sind die neuen Götter. Der letztere wird sich wahrscheinlich aber nicht lange halten, denn er steht — links von Goldwater.

Jedoch die größte Überraschung des Parteitages war, daß Senator Goldwater das Zeug dazu hat, ein Führer ä la americaine zu werden. Aus der Raupe des unwissenden, vorurteilsvollen, impulsiven Durchschnittspolitikers schlüpfte der Nachtfalter des Volkstribuns. Er reiht sich den großen Verführern von Kleon bis zu Hitler ein. Seit dem Tode John F. Kennedys ist er der einzige amerikanische Politiker mit einem starken persönlichen Anhang. Kennedys Anhang verlangte allerdings mehr. In mühevoller zäher Kleinarbeit hatte er sich eine Armee organisiert, die in straffer Disziplin hinter ihm marschiert bis die Welt untergeht. Letzteres mag allerdings nicht zu lange auf sich warten lassen, falls ihm seine Armee die Tore des Weißen Hauses freikämpft. Beißend schrieb einer der tonangebenden Leitartikler der „New York Times”, Goldwater verehre de Gaulle, der manchmal „der Mann von vorgestern und von übermorgen” genannt werde. Auf Goldwater träfe nur die erste Hälfte dieser Phrase zu, aber, wenn er zum Präsidenten gewählt würde, gäbe es möglicherweise sowieso kein übermorgen.

Es wird gesagt, daß neue oder aufgewärmte politische und gesellschaftliche Ideen aus Europa immer eine Generation später nach Amerika kommen. Heute schreit ein Teil des amerikanischen Mittelstandes ebenso heftig nach einem starken Mann, wie Jahrzehnte früher der deutsche, italienische und französische. Hierzulande ist der Begriff des Mittelstandes allerdings viel umfassender. Er nimmt im gesellschaftlichen Leben den größten Raum ein und läßt für die beiden anderen Klassen nicht viel übrig.

Wie schon früher gesagt, ist vor allem die untere Mittelklasse für Goldwater, aus Angst, schwarze Fäuste könnten eie von der Leiter, die nach oben führt, herunterstoßen. Dazu kommen kleine Geschäftsleute, die sich durch die Zusammenballung des Kapitals bedroht fühlen. Tatsächlich war Goldwater früher ein Kritiker des Großkapitals und wollte sich der kleinen Geschäftsleute annehmen. Das hat er sich abgewöhnt, vielleicht, weil die Wahlkämpfe zu viel Geld kosten; aber dies ist noch nicht in das wenig poröse Bewußtsein der Kleinen gedrungen. Auch einige große Geschäftsleute fehlen nicht, die mit typisch kapitalistischer Kurzsichtigkeit in Goldwater den Mann sehen, der Steuersenkung durch verringerte Regierungsausgaben, Abbau der Kontrollen über die Geschäftswelt und Zurückdrängung der Gewerkschaften verspricht.

In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß die „Republikanische Plattform” — das Parteiprogramm — ausdrücklich den Abbau der bisher scharfen und auch von den Republikanern unterstützten Kontrollen über Nahrungsmittel, Drogen usw. in Aussicht stellt. „Der Konsument soll unbeeinflußt von der Regierung seine Entscheidung auf dem Marktplatz treffen können”, heißt es da mit jener wohlklingenden Heuchelei, auf die sich mitunter Angelsachsen so gut verstehen.

Zu diesen Goldwater-Anhängern gehören auch bestimmte Katholiken, die, in den Vereinigten Staaten mehr als anderswo, in den Kommunisten Gottlose erblicken, die, ad majoram gloriam Dei, auf einen atomaren Scheiterhaufen gehören. Soweit gleichen diese Gruppen jenen europäischen, die den Faschismus an die Macht gebracht haben. Hierzulande gehören jedoch noch Heerhaufen von Ärzten dazu. In Europa sahen die Ärzte es nioht so sehr als ihre Aufgabe an, jenen beizuspringen, die neue Wunden schlagen möchten. Die amerikanischen Ärzte aber sind von ihrem eigenen Schlagwort der „sozialisierten Medizin” so hypnotisiert, daß sie nachts nicht mehr schlafen können, aus Angst, ein System einer staatlichen Krankenversicherung könne den Sturzbach ihrer Einnahmen eindämmen.

Alle diese Gruppen schweißt jener hysterische Nationalismus zusammen, den schon Alexis de Tocqueville als besonderes Merkmal der Volksherrschaft gekennzeichnet hat. Diese Leute bilden sich ein, die Welt müsse dem Sternenbanner gehören. Ebensowenig wie die Dinosaurier können sie sich auf die geänderten Lebensbedingungen umstellen.

Wie stark ist diese Goldwater- Kerntruppe? Der letzte Gallup-Poll gab an, 27 Prozent der Wähler würden für den Senator stimmen. Man muß diese Ziffer höher ansetzen, denn manche Leute wagten es nicht, sich zu dem Senator zu bekennen, aus Furcht, dies könnte als nicht respektabel angesehen werden. 27 Prozent sind daher das Minimum. Nachdem nichts so erfolgreich ist wie der Erfolg, hat man allen Grund zur Annahme, daß es Mister Goldwater gelingen wird, seinen Anteil im Laufe des Wahlkampfes beträchtlich zu erhöhen.

Der große Spötter H. L. Menken hat einmal gesagt, man könne die Intelligenz des amerikanischen Wählers nie genügend unterschätzen. Ein gutaussehender Mann, der einen, wie immer trügerischen, Eindruck der Stärke ausstrahlt und als Präsident repräsentativ wäre, gefällt vielen Wählern, egal wie seine Ansichten beschaffen sind. Es hilft, daß der Senator eine festgefügte Philosophie hat, die in ihrer Primitivität an die Intelligenz keine großen Anforderungen stellt, aber an des Wählers Sinn für das Moralische rührt. Letzteren darf man im Gegensatz zu seiner Intelligenz nicht unterschätzen.

Vom Puritanismus her hat der Amerikaner, wie er sich auch benehmen mag, einen Hang zur MoraL Er praktiziert sie vielleicht nicht, obwohl mehr als der Europäer, aber er verehrt sie um so mehr. Ein erfolgreicher Präsident stellt immer eine Verbindung mit der Moral her. Eisenhower machte den Eindruck schlichter Tugend, Kennedy verkörperte die Opferbereitschaft, Goldwater beklagt den Zeitgeist wie Jeremias. Er wird den erschreckenden Niedergang der Moral zum Hauptpunkt seines Wahlkampfes neben der Außenpolitik machen, von der Korruption in Washington bis zur Unsicherheit auf den Straßen. Das ist Johnsons Achillesferse. Der Schutzherr des früheren Senatspagen Bobby Baker, der es im Verlauf von wenigen Jahren aus ungeklärten Gründen zu einem Millionenvermögen brachte, überzeugt als Hüter der öffentlichen Moral nicht.

Dazu kommt, daß der Wähler in den Vereinigten Staaten wie anderswo mit der zunehmenden Ausbreitung und Unübersichtlichkeit der Regierung seine Verantwortung auf einen starken Mann abwälzen möchte. Goldwater hat zwar von der Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Volk und Präsident gesprochen, aber seine autoritäre Philosophie zeigt, daß er bereit ist, zum großen Bruder zu werden.

Goldwater hat sich eine Philosophie von jener Simplizität zurechtgelegt, die im allgemeinen das Wahrzeichen der Fanatiker ist. Diejenigen, die wie er denken, sind die Kinder des Lichtes. Die anderen sind Nachtschattengewächse, die ausgerottet werden müssen, von den gemäßigten Republikanern bis zu den Russen.

Es war vielleicht die erschreckendste Überraschung des Parteitages, daß der Senator ein Sammelsurium reaktionärer und nationalistischer Phrasen zu einer Philosophie verklärt hatte. Sie ist mehr von alttestamentarischen als von modernen totalitären Begriffen geprägt. Wer hätte hinter den Bekenntnissen eines Konservativen eine messianische Dimension vermutet?

Drei Leitsätze umreißen diese Philosophie.

• Die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus ist „ein Kampf zwischen den Kindern Gottes und den Gottlosen”. Daß dieser beinahe blas- phemische Satz kein „Wahlkampfgeschwätz” ist, um die Rechtsextremisten bei der Stange zu halten, geht aus dem auf Goldwater zugeschnittenen Parteiprogramm hervor. Im allgemeinen haben diese Parteizielsetzungen keine große Bedeutung. Diesmal muß man sich aber fragen, ob die außenpolitische Aggressivität des vorliegenden Programmes nur eine Verbeugung vor der John- Birch-Gesellschaft darstellt oder mit der Offenheit von „Mein Kampf” das Volk darauf vorbereiten soll, was es zu erwarten hat. Auch Mr. Gold- waters angebliche Kontakte mit deutschen Rechtsextremisten wie dem früheren Minister Seebohmund dem Kreis um die „Deutsche National- und Soldatenzeitung” geben zu denken. Das Parteiprogramm fordert die „Befreiung der Ukraine” ebenso wie die Zerlegung Jugoslawiens in seine ethnischen Bestandteile. Verträge mit den Russen sollen nur dann geschlossen werden, wenn sie dem Westen Vorteile bringen. Nachdem Verträge im allgemeinen beiden Kontrahenten Vorteile bringen, muß man wohl annehmen, daß die Republikaner die Vorteile auf den Westen beschränken wollen. Vergrößerung der militärischen Überlegenheit der Vereinigten Staaten sei wichtiger als Abrüstung. Das von Eisenhower begonnene und von Kennedy fortgesetzte Gespräch der Feinde muß aufhören.

• „Es ist keine Sünde, in der Verteidigung der Freiheit extrem zu sein.”

• „Es ist keine Tugend, in der Verfolgung der Gerechtigkeit gemäßigt zu sein.”

Die Bedeutung dieser Leitsätze ist zu offensichtlich, als daß man auf sie näher eingehen muß.

Solche programmatische Erklärungen brachten einige gemäßigte Republikaner, besonders die aus New York, dazu, das Goldwater-Joch abzuwerfen. Nachdem den Gemäßigten auf dem Parteitag keinerlei Zugeständnisse gemacht wurden — ganz im Gegensatz zu der normalen Praxis konzilianter amerikanischer Politiker —, wird der Abfall der Gemäßigten den Senator kaum kümmern. Er vertraut darauf, daß eine kleine, eng verbundene, fanatisierte Armee eine große, aber nur lose verbundene schlagen kann.

Die innenpolitischen Punkte des Parteiprogrammes stellen einen Rückschritt gegenüber früheren Programmen dar. Die Befreiung des Konsumenten vom Schutz des Gesetzes wurde bereits erwähnt. Zum erstenmal wird dem Kampf der Neger um Gleichberechtigung nicht einmal Lippendienst bezeugt. 1960 noch wurde die Förderung der Einwanderung verlangt. Heute soll sie auf die Zusammenführung auseinandergerissener Familien beschränkt werden. Ebenso wurde 1960 eine Bundesbeihilfe für den Bau von Schulen gefordert. Dieses Jahr soll dies den Staaten überlassen werden.

Die Möglichkeit, daß Senator Goldwater ins Weiße Haus gelangt, mag in diesem Moment nicht sehr groß sein, aber sie ist da. Wenn die Demokraten sie unterschätzen, wird sie größer. Für diesen Fall kann man eine Voraussage wagen. Als Präsident wird Goldwater, der bisherige Feind einer zentralisierten Regierung, die Macht der Zentralregierung erweitern. Die Anhänger der Staatenrechte können sich nicht beklagen, daß sie nicht gewarnt wurden. Er bezeichnet sich nämlich immer als Anhänger Jeffersons, aber nicht Madisons. Beide „Väter der Verfassung” hielten die Staatenrechte gegen die Bundesregierung hoch, solange sie in der Opposition waren. Als Präsident mehrte Jefferson eifrig die Bundesgewalt.

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