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Eine neue Hexenjagd?

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Die amerikanische Reaktion ist vor allem mit zwei Namen verknüpft: Barry Goldwater, dem erwähnten Senator von Arizona, und John B i r c h, dem ersten amerikanischen Opfer der chinesischen Kommunisten. Eine Organisation, die einen eigenständigen amerikanischen Faschismus vertritt, hat sich nach dem letzteren benannt.

Reaktionäre Senatoren sind nichts Neues. Einer der berühmtesten war der verstorbene Theodore Bilbo von Mississippi. Die Südstaaten haben immer einen unverhältnismäßig hohen Anteil an Reaktionären gestellt. Sie haben , auch heute Vertreter im Senat, die Goldwater. an reaktionärer Gesinnung nicht nachstehen. Der große Unterschied zwischen dem Senator von Arizona und den anderen Reaktionären ist, daß diese wenig Gewicht außerhalb ihrer eigenen Staaten haben und hatten, während jener zu einer nationalen Figur geworden ist. Dabei ist Arizona einer der kleinsten und politisch bedeutungslosesten Staaten. Besonders bemerkenswert ist Gold- waters Anhang unter den Studenten, die früher als Vorkämpfer freiheitlicher Gedanken galten. Woche für Woche erhält der Senator so viele Aufforderungen, sein Programm zu verkünden, daß er den größten Teil ablehnen muß, obwohl sein wöchentliches Pensum fünf Reden umfaßt.

Woraus besteht das Programm dieses neuen Volkshelden? Außenpolitik aus Provozierung der Sowjetunion, mit der er die diplomatischen Beziehungen abbrechen will, innenpolitisch aus Wiederherstellung aller Privilegien der Besitzenden. Die Satelliten sollen zu einem aktiven Widerstand gegen die Sowjets ermutigt werden. Eine sowjetische Intervention soll durch ein amerikanisches Ultimatum verhindert werden. Zwar soll der Krieg, der auf eine Ablehnung des Ultimatums folgen würde, zuerst nur mit Bodentruppen ohne Atomwaffen geführt werden, aber der Senator erklärt nicht, woher ausreichende Bodentruppen kommen sollen. Er lehnt jegliche Abrüstung ab, weil sie die Vereinigten Staaten dem größeren Bevölkerungspotential der Chinesen und Russen ausliefere. Atomversuche sollen natürlich sofort wieder aufgenommen werden. Nur militärische Auslandshilfe soll gegeben werden. Kuba soll durch eine Blockade auf die Knie gezwungen werden.

Der Senator möchte alle Einkommen mit dem gleichen Steuersatz belegen. Die Bundesregierung soll mit allen Programmen sozialer Fürsorge aufhören.

Taft kann sich nicht mehr wehren

Der schon erwähnte Robert Taft würde sich ob eines solchen Programmes im Grabe umdrehen. Auch außenpolitisch war der Senator von Ohio ein bedachtsamer Mann, der Goldwaters Husarenstücke nicht gebilligt hätte. Da er tot ist, kann er sich nicht dagegen wehren, daß die Konservativen von heute ihn neben Senator McCarthy als ihren Schutzheiligen feiern.

Wes Geistes Kind ist Barry Goldwater, der einer der reichsten Männer Arizonas ist, nun eigentlich? Ist er ein verbohrter, wirklichkeitsfremder Phantast, der sich einbildet, für seine Klasse das tun zu können, was Polignac für Karl X. nicht gelang? Oder ist er ein verschreckter Mensch, der seinen wankenden Glauben an die Überlegenheit des politischen Systems, in dem er eine führende Rolle spielt, und an die Festigkeit des wirtschaftlichen Systems, aus dem er Nutzen zieht, mit spröder Härte zu übertönen versucht? Und damit anderen Wankelmütigen ein Korsett einzieht? Ein amerikanischer Alexander gewissermaßen?

In seinen Reden und Zeitungsspalten — eine Reihe der ohnedies überwiegend „konservativ“ eingestellten Zeitungen bringt jeden zweiten Tag einen Artikel von ihm — macht er den Eindruck der Beschränktheit und Verbohrtheit. Damit verträgt es sich, daß ihm selbst von seinen Gegnern das Zeugnis ausgestellt wird, er sei aufrichtig und anständig. Sein Großvater war ein jüdischer Einwanderer aus Rußland. In seiner Abstammung liegt wahrscheinlich der Schlüssel zu seiner Persönlichkeit. Er muß sich und anderen immerzu beweisen, daß er ein ebenso guter Amerikaner ist, wie die Abkömmlinge der auf der „Mayflower“ Eingewanderten. Im Kriegsfall wird er, der Flieger- general der Reserve, bestimmt seinen Mann stellen.

Er kann kaum blind gegenüber der Tatsache sein, daß der von ihm protegierte amerikanische Faschismus antisemitische Untertöne hat, die kaum die nur halbjüdische Abstammung des Senators verschonen werden. Schon wird selbst er als „Sozialist“ bezeichnet, weil er Richard Nixon im letzten Wahlkampf unterstützte. So stempelt ihn der Zwiespalt in der eigenen Brust zu einer tragischen Gestalt. Deswegen jst er aber nicht weniger gefährlich. In ihm hat die amerikanische Reaktion ihren Hugen- berg.

Die von Goldwater geförderte John Birch Society wurde 1958 von einem anderen Millionär begründet, dem Schokoladefabrikanten Robert Welch. Bisher blühte die Gesellschaft im Verborgenen, aber 1961 scheint das Jahr des Auftriebs für sie zü werden. Herr Welch bereist die Vereinigten Staaten von Küste zu Küste und spricht überall vor überfüllten Häusern, so erst vor kurzem- in Los Angeles. Man konnte zwar keine Eintrittskarte in die Versammlungshalle, die 6700 Plätze hat, mehr bekommen, aber ein Mitglied der Gesellschaft, das Hundefutter produziert, finanzierte eine Fernsehübertragung, so daß man in der Geborgenheit des eigenen Heimes Herrn Welch auspfeifen oder bejubeln konnte.

Die Verschwörung der „Comsymps"

Herr Welch zeigte sich als hervorragender Exponent einer beschränkten Geistesart. Wie die Nationalsozialisten die Massen durch die „Protokolle der Weisen von Zion" in Furcht und Schrecken setzten, macht Welch seine Anhänger durch die Verschwörung der „Comsymps“ zittern. Comsymps ist sein schrecklicher Ausdruck für die Dunkelmänner, die den Kommunisten die Weltherrschaft zuschanzen wollen. An diabolischer Verschlagenheit sind sie den „Weisen“ weit überlegen.

„Comsymp“ Franklin Roosevelt hetzte das amerikanische Volk in den zweiten Weltkrieg, den die Sowjets geplant hatten, um der Weltherrschaft näherzukommen. „Comsymp“ Truman legte während des Koreakrieges die Siebente Flotte zwischen das chinesische Festland und Formosa, nicht zum Schutz des letzteren, sondern um Tschiangkaischeks Eroberung Rotchinas zu verhindern.

Trumans Nachfolger, Eisenhower, wurde von den „Comsymps“ aufgestellt, um die Wahl Tafts zu verhindern, der die kommunistischen Eroberungspläne um mindestens eine Generation ziirückgeworfen hätte. Welch hat vor Jahren in einem Brief nicht nur Eisenhower, sondern auch John Foster Dulles als eingeschriebene Mitglieder der Kommunistischen Partei bezeichnet. Heute gibt er großzügiger- weise zu, sie wären vielleicht nur „Opportunisten" gewesen.

„Comsymps“ stürzten die Wohltätige Kolonialherrschaft der Weißen, um Afrika den Kommunisten auszuliefern. „Comsymps" dachte sich die Auslandshilfe aüs, um den Kommunist zu helfen, siehe’ Soekarno, Tito und Gomulka. Herr Welch räumt ein. daß nur drei Prozent aller Bundesbeamten „Comsymps“ seien, aber diese seien strategisch placiert, und schließlich gäbe es selbst in der Sowjetunion nur fünf Prozent Kommunisten.

In diesem Ton ging es eineinhalb langweilige’ Stunden weiter, denn Welch hat nicht die rednerische Begabung Hitlers. Auch sonst macht er höchstens in seiner offensichtlichen Halbbildung den Eindruck eines Hitler. Man glaubt ihm auch die Versicherung, daß er keinen politischen Ehrgeiz hat. Unzweifelhaft aber ackert er das Feld ‘ für einen amerikanischen Hitler. Furcht hat die Denkfähigkeit seiner beifallklatschenden Zuhörer untergraben und sie damit zu potentiellen Anhängern eines amerikanischen Führers gemacht.

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