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Der Präsident hat nun das Wort...

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Als am 20. Jänner 1953 der neugewählte Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Dwight D. Eisenhower, die rechte Hand zum Schwur erhob und die linke auf die Freimaurerbibel legte, auf die seit George Washington alle Präsidenten der USA den Eid auf die Verfassung schwören, da richteten sich auf ihn nicht nur die Augen der Republikaner, die seit zwanzig Jahren diesen Tag ihrer Machtübernahme ersehnt hatten, die Augen des ganzen amerikanischen Volkes, das entschlossen ist, mit seinen Gewerkschaften dem neuen Präsidenten die Kraft der Nation zur Verfügung zu stellen, sondern die Geister und Herzen der ganzen Welt. Alle wußten in diesem Moment: hier tritt ein neuer, ein starker Mann eine Rolle an, in der ihm die direkteste Mitverantwortung für Gedeih und Verderb von uns allen gegeben ist. Die verhaltene Spannung, der prüfende Blick der großen, gigantischen Gegner gibt nicht preis, was sie wirklich denken von diesem Tag, von dieser Stunde, von diesem Mann. Es gibt aber gute Gründe, anzunehmen, daß sie die Bedeutung dieses Regierungswechsels sehr ernst nehmen. Diese Zu-tückhaltung und dieser Ernst allein verpflichten bereits uns, die wir mit aufrichtiger Sympathie dem amerikanischen Volke gegenüberstehen, dem Oesterreich soviel verdankt — was vielleicht gerade in dieser Stunde offen einbekannt werden sollte —, daß uns die Antrittsrede des neuen Präsidenten kritisch aufhorchen macht. Das ist ja nicht eine von den aber tausend Ansprachen, Interviews, Slogans und Aeußerungen eines amerikanischen Präsidenten, dessen Leben sich in einem uns Europäern ungewohnten Ausmaße vor den Augen und Ohren der Oeffentlichkeit abspielt. Das ist doch mehr: ein Regicrungs-programm, eine Art „Glaubensbekenntnis“, wie es ein ' österreichisches publizistisches Organ genannt hat. Eisenhower hat seine Regierung, die vielleicht eine neue Epoche weltgeschichtlicher Beziehungen einleitet, mit einer Stellungnahme begonnen, die ihn als Theologen, als General und als Präsidenten zeigt.

„Meine Mitbürger! Die . Welt und wir haben den Wendepunkt eines Jahrhunderts der Herausforderung überschritten. Wir spüren mit allen unseren Sinnen, daß die Heerscharen Gottes und des Teufels wie selten zuvor in der Geschichte sich formiert und bewaffnet haben. Diese Tatsache drückt der Bedeutung des Tages den Stempel auf.“ So der erste Absatz, als Credo.

Wir Europäer kennen diesen Gedanken: er entstammt der erleuchteten Geschichtstheologie des Berbers Augustin, den der Spaniere Orosius vulgarisiert hat, und ohne die unser Europa als Abendland undenkbar ist. Wenn wir seiner in dieser Ortung nicht froh werden können, dann auf Grund einer eineinhalbtausendjährigen europäischen Erfahrung: wenn Politiker und Heerführer diese hohen Gedanken in die Hand nehmen, dann bedeutet es fast zwangsweise Kreuzzug, Krieg. Tausend Jahre inncreuropäischer Kreuzzüge haben aber Europa zu dem gemacht, was es heute ist: ein Trümmerhaufen, auf dem sich Gegner gegenüberstehen, die nicht vergeben und nicht vergessen können, was sich ihre Väter gestern angetan haben. Kein guter Europäer wird den guten Glauben Eisenhowers bezweifeln — aber gerade dann wird er Sorge haben, daß aus diesem nicht eine handfeste und gefährliche Ideologie wächst, deren Mechanik von der Ideenabfolge zur Tat drängt, wenn sich ein auslösendes Element zeigt. Wer aber will bezweifeln, daß die Welt heute übervoll ist von Zündstoffen dieser Art?

Der neue Präsident kam dann, in der schönen und starken Mitte seiner Rede, auf die Verbundenheit Amerikas mit allen freien Menschen zu sprechen: „Es ist unser Glaube an die unsterbliche Würde des Menschen, aa die Prinzipien der Freiheit und der Gleichheit unter den Gesetzen der ewigen

Moral und den Rechtssätzen der Natur.“ Das ist die Stimme Amerikas! Die Stimme seiner großen und - ehrenwerten Tradition, als einer „neuen Welt“, der seit Jahrhunderten aus allen Kontinenten, Rassen und Religionen Menschen zustreben, die in der alten Heimat ihr Brot nicht mehr in Freiheit und Würde essen können. Dieser Glaube, ein echter politischer, ein echter gesellschaftlicher Glaube, wurde nicht getäuscht: Verfolgte und flüchtige Puritaner, Quäker, Katholiken, deutsche Demokraten, französische Aristokraten, polnische Juden, haben ihre Zuflucht gefunden in dem Lande, das die Pilgerväter und die hohe staatsmännische Kunst und sittliche Reife eines Washington und Jeffcr-son gebaut, eines Lincoln gerettet haben.

Das alles schwebte Dwight D. Eisenhower sichtlich vor, als er von der Verantwortung Amerikas und von seinem Bunde mit allen freien Menschen und dem freien Europa sprach. Der Präsident bekannte sich zu den Vereinten Nationen und zum Frieden. „Wir verabscheuen den Krieg als Mittel, in das

Schicksal derer einzugreifen, die uns bedrohen.“ — „Wir respektieren die Eigenheit und die Vergangenheit jeder Nation und werden niemals Gewalt anwenden, um einem anderen Volk unsere politischen und wirtschaftlichen Einrichtungen, so wert sie uns auch sein mögen, aufzuzwingen.“ Alle Europäer werden sich in diesem Bekenntnis mit Eisenhower verbunden wissen, und werden es ihm glauben. Dieser Mann ist nicht von der Art Mussolinis, der zuerst seinem Volk versprach, daß der Faschismus kein Exportartikel sei, und dann hinging, um ihn in Europa und Afrika mit sehr bedenklichen Mitteln zu propagieren. Wir Europäer müssen uns das Wort Eisenhowers zu Herzen nehmen, und es wäre wünschenswert, wenn unsere Politiker, Wirtschaftsführer und Gewerkschafter es in ihrem Arbeitszimmer (nicht im Schlafzimmer) plakatierten: „Nur soweit sich Europa eint und seine Kräfte organisiert, kann es mit unserer Hilfe seine geistigen und moralischen Werte wirksam schützen.“ (Ein in Schwäche und Zerwürfnis zerkeiltes

Europa ist für sich selbst eine tödliche Bedrohung, ist für Amerika eine ungute Last — und eine Versuchung.

Mitten in diesen sehr beherzigenswerten Ausführungen des Weltpolitikers stehen jedoch einige Sätze, die wieder aufhorchen lassen: „Wir werden niemals versuchen, einen Angreifer durch einen Kuhhandel zu beschwichtigen, bei dem wir unsere Sicherheit mit dem Preis unserer Ehre erkaufen. Denn letzten Endes ist der Tornister eines Soldaten weniger schwer als die Ketten eines Gefangenen.“ Wir wollen es ganz offen sagen: wir wären sehr froh, wenn diese Worte als Abschiedsworte des Generals gedeutet werden dürften. Der Politiker und Präsident der, Vereinigten Staaten Eisenhower weiß zu gut, daß in der Innenpolitik und in der Außenpolitik alle guten Dinge nur durch zähe langwierige Verhandlungen diplomatischer, sehr diplomatischer geduldigster Art reifen, die nur ganz Fernstehende —die allerdings gerne — als „Kuhhandel“ zu diffamieren lieben. Was dann das Gewicht des Tornisters betrifft, so wollen wir alte Soldaten es dem großen Heerführer nicht verübeln, wenn er es als leicht anspricht; wir selbst wollen es gerne dort liegen lassen, wo es hinfiel, als wir Europäer, allerorts geschlagen, aus den letzten Kriegen heimfanden. Möge also auch dieses Wort in den Schlagwortschatz des abschiednehmenden Generals einbegriffen sein.

Und damit geben wir unserer zuversichtlichen Hoffnung Ausdruck: daß, nach dem Theologen und nach dem General, nun tndgültigderPräsidentdergrö fiten Weltmacht das Wort ergreift: so daß seine Amtsperiode eine Wende zum Heilen, Guten, Friedlichen bringen möge. Für alle Welt, die auf echten Frieden, auf echte Stärke wartet, die aus der Kraft eines zielbewußten Handelns und Verhandeins wächst. Die hat Eisenhower bereits in vielen zähen Auseinandersetzungen mit Gegnern und mit Freunden bewiesen. Mehr als seine Worte erscheint uns diese seine Leistung das beste Vorzeichen einer großen weltgeschichtlichen Arbeitsoeriode zu sein.

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