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Verlassenes Osterreich

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Das Drama der Märztage 1938 und sein Vorspiel hat Akteure und Zuschauer gehabt, Interesse an Osterreich stand neben Interesselosigkeit gegenüber diesem Land.

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Das Drama der Märztage 1938 und sein Vorspiel hat Akteure und Zuschauer gehabt, Interesse an Osterreich stand neben Interesselosigkeit gegenüber diesem Land.

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Verlief der Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich genau nach dem in Berlin entwickelten Konzept — oder lag der Anstoß in Wien, bei den österreichischen Nationalsozialisten?

War Österreich der erste Gegner des Nationalsozialismus, Engelbert Dollfuß sein erstes prominentes Opfer — oder muß Österreich als Mittäter auch Mitverantwortung an den Untaten dieser Jahre tragen?

Ist Österreich von allen andern Mächten Europas in Stich gelassen worden — oder hat seine Regierung das Land selbst in die Isolierung geführt?

Nur drei von zahllosen Fragen über „jene Tage“ und ihre Vorgeschichte - und schon daß sie heute noch gestellt werden müssen, beweist doch wohl, wie oberflächlich Jahre hindurch das Problem der sieben Jahre der Auslöschung des Namens Österreich behandelt worden ist. Oder auch, daß man den ja seit Jahren vorliegenden Arbeiten der Historiker viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat.

Nun bemühten sich mehr als zwei Dutzend ausgewiesene Geschichtsforscher aus Österreich und dem Ausland auf Einladung der österreichischen Akademie der Wissenschaften drei Tage lang, die internationalen wie internen Aspekte des Anschlusses vom März 1938 zu analysieren und Antworten auf alle die gestellten Fragen zu finden.

Eine Fülle bisher auch dem Fachmann unbekannter Details kam zum Vorschein. Daß bisher vielfach abschließende Interpretationen zu so vielen Streitfragen dekretiert worden waren, hat ja wohl zum allgemeinen Unbehagen beigetragen.

Adolf Hitler hatte die Eingliederung Österreichs schon in seinem Buch „Mein Kampf“ 1925 angekündigt. Er hatte angenommen, daß — wie in Danzig — schon 1933 nach seiner Machtergreifung im Reich auch in Österreich die innere Entwicklung zur Vorherrschaft der Nationalsozialisten führen würde, schilderte Gerhard Weinberg (Chapel Hill, USA).

Als Dollfuß gegensteuerte, wurde er zum Feind. Ist seine Ermordung — nach Weinberg - in Berün beschlossen worden? Unmittelbare Spätfolge der Mordserie vom 30. Juni 1934, bei der mehr als 500 SA-Führer und andere unliebsame Personen ums Leben kamen? Gerhard Jagschitz (Wien) konterte: Österreichs Nazi wollten selbs^ zeigen, was sie konnten, schlugen auch ohne Billigung los.

Was ist dann aber mit jener Aussendung des Deutschen Nachrichtenbüros, die schon mit Datum vom 24. Juli den (am 25. erst Tatsache gewordenen) Tod des Kanzlers gemeldet haben soll (Weinberg)? Jagschitz vermutet einen Druckfehler — eine Frage, die erst noch geklärt werden muß.

Nach dem Dollfuß-Mord, nach Benito Mussolinis Drohgebärden schlug Hitler eine neue Politik ein, fuhr Weinberg fort. Außenpolitisch freispielen, aufrüsten, das Rheinland besetzen—schrittweise sollte der Krieg vorbereitet werden, für den Österreich eine notwendige Ergänzung des nicht ausreichenden Potentials des Reichs bringen mußte (Norbert Schaus-berger, Klagenfurt).

In Österreich hatte Hitler seine „Trojanischen Pferde“ sitzen — Feldmarschalleutnant Carl Bar-dolff und General Edmund Glai-se-Horstenau unter ihnen, meinte Weinberg. Daß er auch Heinrich von Srbik zu ihnen zählte, trug ihm die scharfe Kritik nicht nur von Adam Wandruszka (Wien) ein.

Ab Herbst 1937 war die Annexion Österreichs beschlossen — sie sollte durch viele Schritte vorbereitet werden. Die „Säuberung“ der Obersten Wehrmachtsführung, die Ablösung des Außenministers Konstantin von Neurath durch Joachim von Ribbentrop sollte die letzten Bremser beseitigen.

Hitler dachte an einen längeren Ubergangsprozeß, der auch Mussolini an den Gedanken eines deutschen Nachbarn an der Brennergrenze gewöhnen sollte. Weinberg berichtete von abenteuerlichen Plänen, wie durch einen Mordanschlag auf einen deutsehen Diplomaten in Wien ein Putsch der NS-Verbände ausgelöst werden sollte.

In Berchtesgaden drohte Hitler Kurt Schuschnigg zum ersten Mal mit einer militärischen Aktion. Als aber dann der Kanzler seine Volksabstimmung ankündigte, wurde rasch der Druck der Straße so stark, daß sich sogar die Parteiführung in Österreich überrollt fühlte. Die Entwicklung nahm einen rascheren Lauf, als Hitler gedacht hatte. Das Anschluß-Gesetz wurde erst beschlossen, als er in Linz frenetisch umjubelt worden war.

Also nicht „erstes Opfer“? Österreich war Opfer und Täter zugleich, formulierte Jagschitz. Wehrdienstverweigerer standen neben Wehrmachtsangehörigen, österreichische Patrioten neben Opportunisten (daß bei der Vielfalt an Wurzeln des Anschlußtraums doch wohl auch eine gute Anzahl Idealisten dabei sein mußte, ging bei Jagschitz verloren).

1938 gab es 105.000 (illegale) Parteimitglieder, aus denen bis 1943 600.000 wurden. Auf etwa 30 Prozent schätzte auch Schuschnigg den Anteil der harten Gegner. Er dachte, mit seiner Volksabstimmung Hitler zum Wettbewerb herauszufordern (Gerald Stourzh, Wien). Das mußte wohl danebengehen.

Und das Ausland sah zu. England hatte Hitler schon lange vorher angedeutet, daß seine Interessen in Holland und Belgien, nicht in Österreich lagen (Francis L. Carsten, London). In Italien schwankte Mussolini zwischen Revisionismus und der Wahrung des Status quo. Als, Unter Staatssekretär Fulvio Suvich durch Ga-leazzo Ciano abgelöst wurde, vor allem aber als sich Italien mit Abessinien und Spanien von den Alliierten löste, wurde auch der Duce geneigter, seine Hand von Österreich abzuziehen (Angelo Ära, Pavia).

Für Österreich hatte Prags Außenminister Eduard Benes schon 1934 fünf mögliche Entwicklungen aufgezählt, von denen die Donauföderation wie die Habsburger-Restauration von vorneherein auf größten Widerstand gestoßen wären. Eine Neutralität mit internationaler Garantie hätte die Aussöhnung mit der Linken zur Voraussetzung gehabt, dazu war — damals — auch diese nicht bereit. So wählten Dollfuß, dann Schuschnigg die Anlehnung an Italien, das die Ausschaltung der Linken forderte. Schließlich blieb doch nur der Anschluß, die fünfte Version, übrig (Stourzh).

Hierbei aber entwickelten Österreichs Nationalsozialisten durchaus „Eigenständigkeit“: Pogrome wie in den ersten Tagen hatte es im „Altreich“ noch nicht gegeben. Der von oben verordneten „Säuberung von. Juden“ kam die Straße von sich aus zuvor (Herbert Rosenkranz, Jerusalem, und Gerhard Botz, Salzburg).

Vor dem Völkerbund protestierten nicht Frankreich oder England, sondern Mexiko und Chile sowie die Spanische Republik. Beneä ließ in Berlin melden, daß die Tschechoslowakei nicht mobilisiere und nur bitte, Grenzzwischenfälle zu vermeiden. Unmittelbar sei sie nicht betroffen -das war sie ein halbes Jahr später umso mehr (Stourzh).

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