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Zeugenaussage in Nürnberg

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„Wir hatten niemanden, der uns gegen die Feindseligkeiten des Reichs zu Hilfe geeilt wäre!“ Wird man den tiefen Inhalt dieser Worte, die vor dem internationalen Auditorium des Nürnberger Prozesses in den Saal gerufen wurden, in aller Welt ermessen? In ihnen preßt sich die ganze Qual jahrelangen Ringens und Bangens um die Freiheit Österreichs zusammen, eine politische und seelische Not, der an jenem 12. März 1938 der gewaltsame Absturz in die Hitler - Diktatur folgte. Wenn noch Zweifel über die Rolle Österreichs bestehen können und die tragische Hilflosigkeit, in die unser Land durch die damalige internationale Situation von Jahr zu Jahr tiefer hinabgedrängt wurde, so müßte die Darstellung, die Guido Schmidt als letzter Außenminister der ersten österreichischen Republik in seiner Zeugenaussage zu Nürnberg gab, zu einer Revision noch wirkender Beirrungen des geschichtlichen Urtsils führen.

Freilich: Die westlichen Großmächte hatten um die Mitte der dreißiger Jahre andere Sorgen als die um das nationalsozialistische Gebaren gegen Österreich. Der sich drohend ankündigende Konflikt mit Japan beschäftigte England und die Vereinigten Staaten, Frankreich erbebte unter dem schweren Wellenschlag des spanischen Bürgerkrieges. Der Völkerbund war eine Enttäuschung. Er hatte im chinesisch-japanischen Zusammenstoß, ebenso wie in dem bewaffneten Konflikt zwischen Bolivien und Paraguay versagt. Alle diese Staaten waren Mitglieder des Völkerbundes und hatten sich durch Artikel 16 des Bundesstatuts nicht abhalten lassen, sich mit den Waffen anzufallen, und ebensowenig war der Völkerbund selbst seinen statutarischen Aufgaben, die ihm für solche Fälle strenge Ordnungsmaßregeln vorschrieben, nachgekommen. Das System, das der Welt den Frieden sichern sollte, erwies sich als brüchig. Daß es da noch ein mitteleuropäisches Problem gab, dessen blutiger Ernst die Ermordung des Bundeskanzlers Dollfuß angedeutet hatte, wurde in den Staatskanzleien der Großen als unbequem empfunden. Zwar raffte sich im Herbst 1935 der Völkerbund noch einmal aus seiner Versunkenheit auf und setzte seine umständliche Maschinerie gegen das Italien Mussolinis und sein kriegerische;: Abessin;en-unternehmen in Bewegung, handelspolitische Sanktionen, die nur von Seiten England Gewicht hatten. Aber gerade dieses nun der Acht des Völkerbundes verfallene Italien war bisher die einzige Macht gewesen, die den durchsichtigen Berliner Plänen Widerpart geboten hatte, und gerade diese Macht isolierte sich durch ihren Austritt aus dem Genfer internationalen Friedenstribunal, dadurch an die Seite Hitler-Deutschlands gedrängt, das schon zuvor den Völkerbund verlassen hatte. Deutlich zeichneten sich fortan die Umrisse der gegenseitigen Lager ab. Zwischen den Fronten lag Österreich, durch seine Verträge mit dem römischen Achsenpartner in den toten Winkel der italienischen Politik gezogen. Die Deckung, die es bisher durch diese Verträge für seine Unabhängigkeit gefunden hatte, wurde in dem Maße schwächer, als sich Italien von einer Verständigung mit England entfernte.

Wer damals nicht aus der Nähe der Wiener Staatskanzlei das schwankende Auf und Ab der Situationen, die beklemmend wachsende Verdunkelung des europäischen Horizonts mitgemacht hat, wie da für Österreich ein Licht nach dem anderen verlöschte, der kann die Probe nicht ermessen, der damals die Tapferkeit der Verteidiger der österreichischen Selbständigkeit ausgesetzt war. Das Abkommen vom 11. Juli,1936, in dem Hitler die Unabhängigkeit Österreichs zu garantieren versprach, konnte nicht täuschen. Längst war man am Ballhausplatz darüber im klaren, wohin die auf das Schaugepränge nationalsozialistischer Plötzlichkeitserfolge eingestellte Berliner Politik auch gegenüber Österreich hinaus wollte. Es gab nur eines: Zusammenstößen auszuweichen, denen Österreich ohne starke Hilfe von außen nicht gewachsen war, Zeit zu gewinnen und abzuwarten, bis etwa eine Änderung der europäischen Gesamtlagc auch den auf Österreich lastenden Druck löse. Der Beifall, mit dem damals das Juliabkommen aus den diplomatischen Quartieren der Westmächte begrüßt wurde, verriet, daß man dort gerne eigene Bedenken beschwichtigen ließ. Wie wenig ernst als Friedensakt das Juliabkommen von Seiten der Berliner Machthaber gemeint und wie es vielmehr als Mittel zur Durchsetzung Österreichs gedacht war, erwies sich bald genug. Und dennoch war die Politik des Ballhausplatzes, die auf Zeitgewinn gerichtet war, nicht ein Hoffen gegen alle Hoffnung. In die internationale Lage war durch Roose-velt — wohl den größten Staatsmann, den Amerika der Welt geschenkt hat — Amerika als aktivistischer Faktor der großen Weltpolitik getreten. Eine vielbeachtete Information, welche die „Times“ im März 1937 veröffentlichte, sprach es klar srejj, eine Intervention der Vereinigten Staaten werde in Betracht kommen, wenn sie als die einzige Möglichkeit erschiene, eine „unschuldige Mehrheit von Staaten zu retten, die sich in einem Kampf auf Leben und Tod gegen die Aggression einer oder mehrerer Diktaturen befänden“. Die Formel war auch für Mitteleuropa anwendbar. In der Tat ist die Intervention Amerikas später durch die hier einsetzenden Ereignisse ausgelöst worden. Die europäischen Westmächte sind damals diesem Beispiel entschlossener Abwehr von Friedensbrechern nicht gefolgt. Als der Völkerbund zum Schutze Österreichs, seines Mitgliedes, nach Artikel 17 seines Statuts, hätte handeln sollen, rührte sich keine Hand.

Es näherten sich die Tage, da es darauf ankam, ob es noch gelingen würde, Österreich bis zu seiner Volksabstimmung für seine Unabhängigkeit zu führen, wenn dies nicht möglich war, dann war das Schlimmste sicher. Waffengewalt hinderte das österreichische Volk an seinem Spruche. Über das Los, das jedem der damals in vorderster Linie stehenden Österreicher erwartete, bestand für die Beteiligten längst volle Klarheit. Sie haben ihre Posten in Wien und in den Bundesländern bis zur letzten Stimd- gehalten. Die sittliche Kraft und Würde, mit der sie, verlassen von allen, in die Katastrophe gingen — im Gegensatz zu ihren Angreifern, die sechs Jahre später ihr Schicksal ereilte — verklärt eine der größten tragischen Szenen österreichischer Geschichte. Sie verdient zu Ehren eines freien Österreich gebucht zu werden.

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