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Österreichs Idee

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In den fünfziger Jahren grassierte in Österreich folgender Witz: Was ist der Unterschied zwischen dem deutschen und dem österreichischen Wirtschaftswunder? Antwort: Das österreichische ist wirklich ein Wunder.

Wir pflegen hierzulande die Selbstironie, und die ist dem Deutschen eher fremd. Der amerikanische Historiker William Johnston hat in einer Studie versucht, die Skurrilität als Ausdruck des österreichischen Selbstverständnisses herauszu-

arbeiten, und Hans Weigel meint, daß der Österreicher von Natur aus dagegen sei: „Aber nur, solange der Bestand dessen, wogegen er ist, gesichert scheint.“

Es gibt viele Versuche, uns zu ergründen, und manche sind recht geistvoll. Es stimmt auch nicht, daß wir erst durch die Causa Waldheim angeregt worden wären, über unsere Identität nachzudenken.

Friedrich Heer hat diesem Thema ein dickes Buch gewidmet, Felix Kreissler ein noch dickeres mit dem Titel „Der Österreicher und seine Nation — Ein Lernprozeß mit Hindernissen“, und über die sozialhistorischen Aspekte der „Nation Österreich“ hat Ernst Bruckmüller nachgedacht.

Immer wieder flammt die Debatte auf, ob wir denn eine Nation seien, und manchmal mischen sich auch ueutsche ein, wobei zwischen lockerer Präpotenz und verzeihlicher Ignoranz manchmal auch Gehässigkeit aufzüngelt. Fallweise kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß uns die deutschen Vettern zürnen, weil wir mit dem Staatsvertrag eine Chance genützt haben.

Herbert Kremp hat uns in der „Welt“ einmal das „lächelnde Unbeteiligtsein“ als Kern unserer Neutralitätsphilosophie vorgeworfen. Das stimmt erstens nicht und ist zweitens ein Wunschtraum vieler Deutscher (siehe obigen Beitrag), die ja ahnen, daß sie bei einer möglichen Auseinandersetzung zwischen den Großmächten zu den ersten Opfern gehören könnten.

Immer wieder taucht in solchen Diskussionen auch der Tadel auf, wir Österreicher hätten uns aus dem Haus der deutschen Geschichte fortgestohlen, dabei sei, wie Herbert Kremp schrieb, die deutsche Historie doch eine „unkündbare Vereinigung“.

Der Historiker Heinrich Lutz haf in seinem Buch „Zwischen Habsburg und Preußen“ darauf hingewiesen, daß mit dem von Bismarck herbeigeführten Ende des Deutschen Bundes auch das traditionelle Rechts- und Friedenssystem in der Mitte Europas zerstört wurde. Lutz charakterisiert die Entwicklung bis König-grätz und die Folgen dieser Schlacht so: „Es handelte sich um die erfolgreiche Durchsetzung des Führungsanspruches eines dynastischen Einzelstaates, der zur Behauptung seines Machtmonopols die Ausschließung der österreichischen Deutschen aus dem angestrebten neuen Staatsverband wollte und durch militärische Gewalt erreichte.“

Und voll Ingrimm schrieb Grill-parzer angesichts der preußischdeutschen Reichsgründung: „Ihr meint, ihr habt ein Reich gegründet, und habt doch nur ein Volk zerstört.“

Die Massen, die Hitler 1938 zujubelten, sind nur ein Teil der jüngeren österreichischen Geschichte. Manche Deutsche, die uns heute ziemlich hoffärtig belehren wollen, muß man daran erinnern, daß Hitler in Deutschland per Wahl an die Macht kam. In Österreich ist er einmarschiert. Und zwar auch, um ein Referendum zu verhindern, in dem Bundeskanzler Kurt Schuschnigg aufgefordert hatte, sich zu einem unabhängigen Österreich zu bekennen.

Auch die im Untergrund wirkenden revolutionären Sozialisten und die österreichischen Kommunisten hatten ihre Anhänger aufgerufen, am 13. März 1938 mit „Ja“ zu stimmen…

Der prominente Sozialist und spätere Bundespräsident Adolf Schärf berichtet in den „Erinnerungen aus meinem Leben“, wie im Frühsommer des Jahres 1943 ein Abgesandter des Goerdeler-Kreises, der das Attentat auf Hitler plante, bei ihm aufgetaucht sei. Es ging in diesem dreistündigen Gespräch darum, daß der Anschluß Österreichs an Deutschland nach dem Tod Hitlers aufrechtbleiben sollte.

Da kam es Schärf, so schreibt er, „wie eine Erleuchtung“; er unterbrach seinen Besucher unvermittelt und sagte: „Der Anschluß ist tot, die Liebe zum Deutschen Reich ist den Österreichern ausgetrieben worden…“

Es gibt langdauernde historische Entwicklungen, denen man mit postnationalen Schlagworten nicht gerecht wird. Mit welcher verzweifelten Hilflosigkeit haben sich Österreicher noch in der Ersten Republik bemüht nachzuweisen, daß sie die besseren Deutschen seien.

Die „österreichische Idee“ bedeutete „Dienst am Gesamtdeutschtum“- gegen das „germanische Neuheidentum“ der Nationalsozialisten wurde das christliche Abendland verteidigt - und ein österreichischer Bundeskanzler, Engelbert Dollfuß, starb für diese Idee.

Nach allen diesen Erfahrungen ist dieses Kapitel abgeschlossen. Im Vergleich zu den Identitätsproblemen der getrennten Deutschen dürften unsere fast harmlos sein. Zur Selbstzufriedenheit oder gar zur Selbstgerechtigkeit besteht allerdings kein Grund.

Vor dieser Gefahr möge uns die Selbstironie bewahren.

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