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Vom Heldeimlatz auf das Schafott

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Der Begriff „Vergangenheitsbewältigung" geistert durch die gegenwärtige öffentliche Diskussion. Dabei werden historische Tatsachen oft nicht einnnal berücksichtigt.

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Der Begriff „Vergangenheitsbewältigung" geistert durch die gegenwärtige öffentliche Diskussion. Dabei werden historische Tatsachen oft nicht einnnal berücksichtigt.

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Die Republik Österreich hat nicht am 2. Weltkrieg teilgenommen, weil es sie in der Zeit vom 11. März 1938 bis zum 27. Aprü 1945 gar nicht gegeben hat. Ein Staat, den es nicht gibt, kann auch an einem Krieg nicht teilnehmen.

Aber, so wird man einwenden, es haben doch die Österreicher als Soldaten an diesem Krieg teilgenommen. Das ist richtig. Die Alternative dazu, nämlich den Wehrdienst in tier deutschen Wehrmacht zu verweigern, wäre für jeden einzelnen ein sicheres

Todesurteil gewesen, wie es ja im Fall Franz Jägerstätter weltbekannt geworden ist.

Es hat „prominente" Österreicher gegeben, die der NS-Mord-maschine höchst aktiv gedient haben. Ebenso geschichtliche Tatsa-che’ist: Nebf n den 65.000 österreichischen Opfern des Holokaust mußten in der NS-Zeit 2.700 Österreicher aus politischen Gründen ihr Leben unter dem Schafott lassen. 30.000 Österreicher haben den Weg durch Konzentrationslager und Gefängnisse genommen, und zahlreiche nichtjüdische Österreicher haben ebenfalls aus politischen Gründen ihr Vermögen verloren. Unzählig sind auch die aus den öffentlichen Ämtern entlassenen patriotischen österreichischen Staatsbeamten.

Seit 1943 gab es eine organisatorische Erfassung des österreichischen Widerstandes, der zum Beispiel auch dazu führte, daß der deutsche Aufstandsversuch vom 20. Juli 1944 in Wien bis in die Abendstunden dieses Tages funktionierte. In Wien waren an diesem Tag alle prominenten SS-Funktionäre von der Widerstandsbewegung inhaftiert.

Man mache endlich Schluß mit dem Vorwurf einer österreichischen Teilnahme am Kriege, Daß zehntausende Österreicher dem deutschen Diktator beim Einmarsch der -deutsch«! Wehrmacht zugejubelt haben, ist eine historische Tatsache. Nur wird dabei vergessen, wie Alt-Bundespräsident Rudolf Kirchschläger einmal ausgeführt hat. daß diese Kundgebungen gefilmt und fotografiert wurden, während es keine Fotografen in den weinenden Familien und den Gefängnissen gegeben hat, in denen schon rund 6.000 Österreicher in den ersten 72 Stunden inhaftiert waren.

Noch etwas darf nicht vergessen werden. Warum fand der deutsche Uberfall gerade am 11. März 1938 statt? Nim, wir erinnern uns, daß der österreichische Bundeskanzler Kurt Schusch-nigg für den 13. März eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit eines freien Österreichs angesetzt hat, die mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln für Österreich ausgegangen wäre. Weil man das auch in Berlin gewußt hat, ordnete man den Uberfall auf Österreich an.

Was aber hat die wiedererstandene Zweite Republik nach 1945 getan? In nach österreichischem Strafrecht abgeführten Prozessen wurden 39 Todesurteile verhängt und exekutiert. Tausende NS-Funktionäre wurden zu schweren Kerkerstrafen verurteilt. Ehemals zur NSDAP gehörige öffentlich Bedienstete wurden aus dem öffentlichen Dienst entfernt, und alle NS-Mitglieder mußten einen zehnprozenti-gen Zuschlag zur Einkommen- und Lohnsteuer bezahlen.

Österreich hat wahrhaft mit dem Nationalsozialismus aufgeräumt. Wenn man den dubiosen Begriff einer Vergangenheitsbewältigung definieren will, so ist das die österreichische Definition dazu.

Was aber erleben wir gegenwärtig? Man behauptet, daß Österreich mit seiner Vergangenheit nicht fertig geworden wäre. Wo mögen nun die Gründe dafür liegen? So unberechtigt alle Anschuldigungen sind, die man gegenwärtig gegen Österreich erhebt, so müssen wir uns natürlich mit dieser Frage auseinandersetzen.

Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, daß es gar nicht die Person des gegenwärtigen österreichischen Staatsoberhauptes ist, die die tiefere Ursache für die gegenwärtige Hetze gegen Österreich bildet, sondern daß man Kurt Waldheim unter Außerachtlassung gültiger

Rechtsbegriffe, wie sie überall in zivilisierten Staaten gelten, aus uns nicht bekannten Gründen nur zum Anlaß der anti-österreichischen Politik nimmt.

Die Demokratie erlaubt natürlich auch eine Kritik an der Person des Staatsoberhauptes. Aber mehr noch als in allen anderen denkbaren Fällen müßte eine solche Kritik sachlich begründet sein. Daß es an jedem sachlichen Beweis im Falle Waldheim mangelt, ist eine Tatsache.

So befinden wir Österreicher uns also in einer, sagen wir, sonderbaren Situation. Die seinerzeitigen Alliierten haben Österreich mit dem Blut ihrer Soldaten befreit. Unsere Dankbarkeit dafür darf keine Grenze finden und muß erhalten bleiben.

Österreich ist dieser Dankesschuld auch dadurch nachgekommen, daß seine politisch Verantwortlichen nach 1945 ihre ganze Kraft für den Wiederaufbau dieses Landes eingesetzt haben. Auch in diesem Zusammenhang dürfen die von den ehemaligen Alliierten gegebenen Hilfen niemals vergessen werden.

Die Zweite Republik hat sich nach dem Inferno des 2. Weltkrieges wieder als ein respektabler Staat in die Völkergemeinschaft eingefügt und nicht zuletzt wegen seiner geographischen Lage manchen Hilfsdienst für die Wiederherstellung friedlicher Verhältnisse in Europa geleistet.

Warum beschimpft man unser Land jetzt auf einmal? Es ist wichtig, nicht auf ein historisches Faktum zu vergessen. Der ehemalige österreichische Bundespräsident Wilhelm Miklas hat in einer Rede in den dreißiger Jahren warnend seine Stimme erhoben, indem er feststellte, daß die Unabhängigkeit Österreichs ein Bestandteil des Friedens dieser Welt sei. Er nannte Österreich das Herz Europas, das nicht verletzt werden dürfe, wenn man den Frieden erhalten wolle.

Man hat Wilhelm Miklas wegen Großmannssucht damals in der Welt verlacht. Wie bitter wahr sein Ausspruch gewesen ist, erwies sich, als Österreich am 11. März 1938 von der Landkarte gelöscht wurde. Der Uberfall auf Österreich, dem im übrigen die Welt, von einigen papierenen Protesten abgesehen, zugeschaut hat, war in Wirklichkeit der Beginn des 2. Weltkrieges.

Der Autor, Vizekanzler a. D., ist Auf sichts-raUpräsident der Creditanttait-Bankverein.

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