6553907-1948_11_01.jpg
Digital In Arbeit

Die Iden des März

Werbung
Werbung
Werbung

März tage vor zehn Jahren. Noch einmal durchleben wir sie in der Erinnerung, diese spannunggeladcnen, schicksalsschweren Tage, da es für unser Land um das Letzte ging, diesen sonnigen Vorfrühling, über dem die nahenden politischen Entscheidungen wie finstere Wolkenbänke lagen. Und dann gegenüber der übermächtigen Bedrohung ausbrechend in heißer Lohe das begeisterte Bekenntnis der Volksmassen zum österreichischen Vaterland, erste Antwort auf den Aufruf des Bundeskanzlers zu der für 13. März ausgeschriebenen allgemeinen Volksbefragung mit der wörtlichen Parole: „Für ein freies und deutsches, unabhängiges und soziales, für ein christliches und einiges Österreich! Für Frieden und Arbeit und die Gleichberechtigung aller, die sich zu Volk ųnd Vaterland bekennen." Wie das Votum des Volkes lauten würde, war nicht zweifelhaft. Die damals die Hand an den Pulsadern Österreichs hatten, waren völlig sicher: nicht in einem einzigen Bundesland hätte auch nur eine geringe Mehrheit die Parole abgelehnt. Das wußte auch Hitler. Vierundzwanzig Stunden vor dem Tage, der die Abstimmung hätte bringen sollen, donnerten über die Dädier Wiens die bombenbeladenen Kampfgeschwader seiner Invasionsarmee, der erste brüderliche Gruß an die „befreite Ostmark", das stilgerechte Vorwort zu der großen Parödie eines nationalen Epos, die alsbald das österreichische Volk erleben sollte. Noch war die Sonne des ersten Tages der neuen Herrschaft nicht untergegangen, da hatten sich alle Gefängnisse und Kerker, und da sie nicht reichten, zahllose Zivilgebäude in ganz Österreich mit politischen Gefangenen überfüllt. Was dann kam und sich von der alsbald beginnenden wirtschaftlichen und sozialen Beraubung, der Ausplünderung der Nationalbank, der Vereinsvermögen und Unternehmungen bis zu Zerstörungen von Kreuzen, Schändungen von Tempeln und Friedhöfen, Terrorakten und unmenschlichen Gestapogreueln steigerte, das zwang früh und dennoch zu spät die Illusionisten zu entgeisterten Erkenntnissen. Das Hitlerregime war in Österreich längst moraliscHerledigt, bevor es durch Waffengewalt gestürzt wurde. Genug davon. Noch einmal diesen Totentanz zu beschwören, alle seine grauenvollen Bilder vor die Gegenwart zü zitieren, ist nicht der Zweck dieser Zeilen.

Doch die Menschen vergessen schnelL Man kann heute zuweilen dem halbverstohlenen Gedankengang begegnen: Hätten wir Österreicher es nicht in der Hand gehabt, die große Katastrophe zu verhindern, würden wir Hitler nach dem Abkommen von Berchtesgaden nicht Anlaß gegeben haben, Gewalt gegen Österreich zu üben? Wir hätten durch unser Geschehenlassen zwar unser Land geopfert, aber vielleicht geholfen, den Weltfrieden zu bewahren, Von uns und der ganzen Menschheit ein Unglück ohnegleichen fernzuhalten. — In der Tat: Hitler hat in seiner Reichstägsrede vom 18. März den Versuch gemacht, die Verantwortung abzuwälzen und den Überfall auf Österreich so darzustellen, als ob es der österreichischen Regierung nicht erlaubt gewesen sei, das österreichische Volk über seine Stellung zum eigenen Lande zu befragen, als ob getroffene Vereinbarungen, die ln Wahrheit nie bestanden haben, dadurch gebrochen worden wären und er dadurch gezwungen gewesen sei, „die Macht des deutschen Volkes“ anzuwenden. Die geschichtlichen Tatsachen liegen heute vor aller Welt ausgebreitet. Ein lückenloser Beweis. Die Machtergreifung in Österreich war nur der Anfang in den langen politischstrategischen Kettenschlüssen, einer Planung, die darauf himgerichet war, eine von Berlin aus gelenkte imperialistische Herrschaft aufzurichten. Wenn etwas dean

Angriff Hitlers auf den Weltfrieden Aussicht versprach, so war es nicht nur die jahrelang geschickt maskierte Aufrüstung, deren Vollendung er kurz vor dem Einmarsch in Österreich, am 20. Februar, aus dem Reichstag den andern in die Fenster hineinschrie, es war ebenso die aus langer Hand in allen Details aufgebaute Angriffsdisposition, deren Ausführung dann lange, erschreckend lange mit der Genauigkeit eines Uhrwerkes funktionierte. Es waren Ruhmredereien, aber keine Lügen, als Goebbels zum Jahresbeginn 1941 verkündigte, nun nach der militärischen Zerschmetterung Frankreichs und Polens reiche die siegreiche deutsche Front vom Polarkreis bis zum Golf von Biskaya. In diesem ungeheuren Planen und Durchführen, in dem alles und jedes auf seinem wohl- ausgezirkelten Fleck zu stehen schien, bis endlich der babylonische Bau ins Wanken geriet, war Österreich die erste Stufe gewesen.

Zweifellos: eine Volksbefragung in Österreich hatte nicht in Hitlers Konzept gepaßt. Er erstrebte erkennbar einen Anschluß Österreichs auf kaltem Wege nach den Methoden, mit denen er in Deutschland, ohne die Volksmehrheit für sich zu haben, in kurzen Etappen die Macht erlangt hatte. Das Berchtesgadener Abkommen, schon unter militärischer Drohung abgerungen, für alle Wissenden die Anzeige' der nicht mehr abzuweisenden Gefahr für die österreichische Unabhängigkeit, bereitete dem Angriff einen genügend breiten Weg. Nach dem Aufruf an das österreichische Volk in allgemeiner Abstimmung die Unabhängigkeit des Staates gegen alle Anschlußlockungen feierlich zu besiegeln, hatte der Berliner Diktator aber nur die Wahl, das unzweifelhafte Votum des österreichischen Volkes anzuerkennen und schon beim Start sein allgemeines politisches Konzept stören zu lassen oder aber trotz der offenen Ablehnung durch das österreichische Volk, den Anschluß gewaltsam zu vollziehen.

Vor diese Wahl gestellt, entschied er sich für eine zomvolle pathetische Anklage gegen Schuschnigg und für die Gewalt. Die Volksbefragung fand nicht statt, aber ihre Ausschreibung wurde zu dem amtlichen historischen Dokument, das den Widerstandswillen der berufenen Repräsentanz des Staates gegen den Anschluß bezeugt und dessen Wirkung bekundet, daß Hitler sich über diesen Widerstandswillen und das zu erwartende österreichische Volksvotum gegen den Anschluß keiner Täuschung hingab.

Wäre die Ausschreibung der Volksbefragung nicht erfolgt, also der Anschluß Österreichs — wahrscheinlich in kurzer Frist — nach Hitlers Absicht auf kaltem Wege erfolgt, würde Österreich völkerrechtlich einwandfrei ein Teil des Deutschen Reiches geworden sein und würde heute als voller Teilnehmer an der Kriegsschuld Deutschlands das überaus schwere Los, ein Gliedstaat Deutschlands zu sein, zu tragen haben. Trotz der Härte und Unsicherheiten seiner jetzigen Lage, ein noch viel schwereres Los, als ihm heute auferlegt ist. Das ist die geschichtliche B e- deutong der Ausschreibung der Volksbefragung für den 13. März 1938, die, so paradox es klingt, ihr staats- und völkerrechtliches Gewicht dadurch erhielt, daß sie nicht stattfand.

In ernstester Erprobung hatte damals das österreichische Volk durch seinen auch ohne Abstimmung erkennbaren Willen den Berliner Diktator genötigt, seine Karten aufzudecken und zur Gewalt zu schreiten. Es ist ungerecht und frivol, dieses Volk dafür verantwortlich zu machen, daß viele dann hoffnungslos einem Geschehen wichen, das sie schon für unabänderlich halten konnten, da die Mächtigen dieser Erde, zufrieden mit einigen papierenen Protesten, dem Unheil seinen Lauf ließen.

In dieser Zeit der Versuchung, der

Heimsuchung, der Erkenntnisse und beispielhaften Bekennertums hat der Österreicher viel dazugelemt, vor allem Gemeinschaftsbewußtsein, das keine Parteipolitik sprengen darf, und eine noch tiefere Liebe zu diesem Lande und zu seiner Freiheit und den Abscheu vor jeder Diktatur.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung