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Königgrätz - ein Anfang

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Königgrätz — ist diese Schlacht auch heute noch, hundert Jahre, nachdem sie stattgefunden hat, für uns Österreicher nur ein Anlaß für wehmütige historische Reminiszenzen: Was wäre gewesen, wenn ? Soll die Tatsache, daß Österreich durch die Niederlage des Jahres 1866 aus dem Deutschen Bund — wie es so schön heißt — „hinausgedrängt“ wurde, uns wirklich für alle Zeit in nur negativem Licht erscheinen? Auch wenn wir uns nicht auf eine wertfreie Geschichtsbetrachtung beschränken, ja gerade dann, wenn wir über die nackten, unmittelbar greifbaren Tatsachen der Ereignisse von 1866 hinaus dieser Niederlage Österreichs einen sinnvollen Platz in der österreichischen Geschichte einräumen wollen, gerade dann wäre ein bloßes Klagen über den Sieg der „kleindeutschen Lösung“ fehl aim Platz. Königgrätz — das war der Sieg des nationalstaatlichen Denkens des 19. Jahrhunderts. Doch das vor hundert Jahren siegreiche Preußen existiert nicht mehr, wohl aber ein" neues Österreich. König- grätz war in einer doppelten Hinsicht ein Anfang: Anfang vom Ende des alten Österreich. Und dieser Anw fang war eine Tragödie. Königgrätz war aber auch der Anfang einer Entwicklung, an deren Ende unser heutiges Österreich steht, zu dem sich die große Mehrheit unseres Volkes in überzeugender, freilich unpathetischer Weise bekennt. Und dieses unser Vaterland wäre nicht in seiner heutigen Form denkbar, wäre nicht dem Gedanken einer „großdeutschen Lösung“, der Ordnung des „deutschen Raumes“ unter der Führung des Doppeladlers, 1866 die reale Grundlage genommen worden.

Das Jahr 1866 entzog aber nicht nur den konkreten Plänen einer Wiederherstellung des Sacrum Imperium unter der Krone der Habsburger die reale Basis, sondern auch jenem romantisch gefärbten Großdeutschtum spezifisch österreichischer Prägung. Jedoch, wie das bei romantischen Ideen zu sein pflegt, man versuchte, der Wirklichkeit zu entfliehen. Der Traum vom Reich wurde weitergeträumt. Der Traum vom Reich? Es waren eigentlich verschiedene Träume und verschiedene Reiche. Da war zunächst der Traum vom katholisch-universalistischen Reich. So mancher katholische Politiker der Ersten Republik träumte ihn. Es gab auch den Traum von der großen und fortschrittlichen deutschen Republik. Otto Bauer war diesem Traum ebenso verfallen wie andere Sozialisten der Zwischenkriegszeit. Und schließlich existierte auch noch der uns heute wohl am wenigsten sympathische Traum vom alldeutsch-völkischen Nationalstaat;

eine klare Linie führt hier von Schönerer zum Nationalsozialismus.

„Jetzt sind wir nur mehr Österreicher und haben nicht länger auf zwei Stühlen zu sitzen.“ Mit diesen Worten kommentierte der junge Karl Lueger den Ausgang der Schlacht von Königgrätz. Doch man hatte da und dort weiterhin versucht, auf den beiden Stühlen — Österreich und Deutschland — zu sitzen. 1938 war auf solchen Wegen kaum zu vermeiden. Das Jahr 1945 schien der deutsch-österreichischen Bewußtseinsspaltung endgültig das Ende gebracht zu haben. Tatsächlich nahmen viele, sehr viele Abschied von der „deutschen Sendung“ Österreichs. In welche Richtung wäre auch die politische Entwicklung verlaufen, hätten die entscheidenden politischen Strömungen des Landes nicht zu einem österreichischem Selbstverständnis und einem österreichischen Selbstbewußtsein gefunden?

Aber nicht alle Hypotheken wurden abgetragen. Oft genug wurde ängstlich vermieden, mit der Verdammung des Nationalsozialismus auch eine seiner wichtigsten Wurzeln, den Deutschnationalismus, endgültig abzuschneiden. Wie ist es zu erklären, daß es noch (oder wieder?) politische Gruppierungen -gibt, die ein programmatisches Bekenntnis zum „Deutschtum“ für notwendig erachten? Wozu dienen solche Phrasen? Wie kommt es, daß Außenseiter manches außenpolitische Problem, wie das Südtirolproblem, mit deutsch-völkischen Schlagworten zu radikalisieren trachten? Wieso verspricht man Sich etwas von einer solchen Vorgangswedse? Wie konnte ein Mann Professor an einer österreichischen Hochschule werden, von dem man genau wußte, daß er zwar dem Nationalsozialismus (wieweit dies ehrlich geschah, entzieht sich unserer Beurteilung), nicht aber einem radikal deutschnationalen Denken abgeschworen hatte? Wie er reagierte, als die Probe aufs Exempel gestellt wurde, ist bekannt.

Man hatte nach 1945 in Österreich häufig den bequemeren Weg gewählt. Anstatt jenen Österreichern, die nicht von selbst endgültig und ganz zu Österreich gefunden hatten, immer wieder zuzurufen, „hört auf, in das Wölkenkuckucksheim zu blicken, das ihr Deutschland nennt, hört auf, von den Realitäten in den Nebel zu fliehen, begnügt euch mit der Wirklichkeit und seid froh, daß ihr keine imperialen Sendungen mehr zu erfüllen habt, freut euch, daß ihr endlich aufgewacht seid“, wurde registriert und entnazifiziert. Aber bloße Administration mit einem nur ungenügenden pädagogischen Konzept war ganz einfach nicht das geeignete Mittel, um die Belastungen eines Jahrhunderts deutschnationaler Beeinflussung abzutragen. Und nach vollzogener Administration wurde das Problem als erledigt betrachtet. So einfach war das.

1866: Zusammenbruch der Ideenwelt Alteuropas, aber auch der Beginn einer endgültigen Selbstftn- dung Österreichs. Die Geschichte hat diesen Prozeß bestätigt: 1918 noch „Staat wider Willen“, hat Österreich 1955 durch die Erklärung der immerwährenden Neutralität sich aus eigenen Stücken eine wirklich nationale Aufgabe gesetzt. Die Welt braucht ein österreichisches Österreich. Der hundertste Jahrestag der Schlacht von Königgrätz ist ein guter Anlaß, sich auch daran zu erinnern.

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