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Typischer Rechtskatholik?

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Jetzt, da Osterreich seiner wiedergewonnenen Freiheit vor 25 Jahren gedenkt, ist es auch gut jener Tage nicht zu vergessen, in welchen Osterreich seine Freiheit verlor. Bei dieser Tragödie spielte Dr. Seyß-Inquart, von Beruf Rechtsanwalt in Wien, eine nicht geringe Rolle. Er war Innenminister in einem der letzten Kabinette Schuschniggs, dann der letzte österreichische Bundeskanzler, der den Anschluß durchführte, schließlich der erste Reichsstatthalter Österreichs. Er wurde dann Reichsminister ohne Portefeuille, nach der Eroberung Polens stellvertretender Generalgouverneur der besetzten polnischen Gebiete und nach der Eroberung Hollands Reichskommissar der Niederlande.

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Jetzt, da Osterreich seiner wiedergewonnenen Freiheit vor 25 Jahren gedenkt, ist es auch gut jener Tage nicht zu vergessen, in welchen Osterreich seine Freiheit verlor. Bei dieser Tragödie spielte Dr. Seyß-Inquart, von Beruf Rechtsanwalt in Wien, eine nicht geringe Rolle. Er war Innenminister in einem der letzten Kabinette Schuschniggs, dann der letzte österreichische Bundeskanzler, der den Anschluß durchführte, schließlich der erste Reichsstatthalter Österreichs. Er wurde dann Reichsminister ohne Portefeuille, nach der Eroberung Polens stellvertretender Generalgouverneur der besetzten polnischen Gebiete und nach der Eroberung Hollands Reichskommissar der Niederlande.

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Bundeskanzler Dr. Schuschnigg hatte Seyß-Inquart, der als nationaler Katholik galt, in sein Kabinett aufgenommen, in der Hoffnung, die Nationalsozialisten in Österreich dadurch zu beruhigen. Die Hoffnung erwies sich sehr bald als völlig trügerisch. Seyß-Inquart war zwar am Anfang nicht für den Anschluß Österreichs an Deutschland, sondern er wollte nur ein nationalsozialistisches, allerdings selbständiges Österreich. Aber er war ein viel zu schwacher Charakter, um den massiven Wünschen Deutschlands ernstlich Widerstand leisten zu können. Nicht einmal die Sendung deutscher Truppen nach Österreich am 13. Märzl938 konnte er verhindern, er war in diesen Stunden, wie er selbst sagte, nur ein Telephonfräulein.

Seine übelste Rolle aber spielte er als Reichskommissar in den Niederlanden. Alles was während der deutschen Besatzung in den Niederlanden geschah, geht zwar nicht direkt auf sein Konto, aber ebensowenig versuchte er, die Schrecken zu mildern oder gar zu verhindern. Einmal nur, als ihm scheinbar dämmerte, wozu er sich und seinen Namen hergab, versuchte er sich seiner Rolle zu entziehen, indem er sich an die Front meldete. Sein Gesuch wurde nicht angenommen. Im Testament Hitlers wurde er noch zum Reichsaußenminister der Regierung Dönitz ernannt. Sein Ende war die Verurteilung zum Tod durch den internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg und die darauf vollzogene Hinrichtung.

Vielen wird der Weg dieses Mannes vielleicht als der typische Weg eines Rechtskatholiken erscheinen und die Darstellung seines Lebens somit als Warnung, die aufzeigen soll, wohin der Weg der Rechtskatholiken führen kann.

Die Frage lautet nur: War Seyß-Inquart wirklich das, als was man ihn bezeichnet? Seyß-Inquart war in erster Linie ein Sudetendeutscher (er stammte aus der Iglauer Sprachinsel). Er besaß den immensen Fleiß und die Intelligenz dieses Volkes. Aber er war wie fast alle Angehörigen des sudetendeutschen Volkes, ja wie fast alle Bewohner der böhmischen Länder in erster Linie von einem starken nationalen Denken beherrscht. Sudetendeutsche und Tschechen machten einander in den böhmischen Ländern das Leben nicht leicht Jeder hatte Angst, das andere Volk könne ihn überflügeln und suchte deshalb die erste Geige zu spielen. Das gab reichlich Gelegenheit zu Schikanen, wirkliche nationale Unterdrückung aber gab es weder für die Tschechen im alten Österreich, noch für die Sudetendeutschen in der ersten tschechoslowakischen Republik.

Wie sehr das nationale Denken Tschechen und Deutsche „belastete“, zeigt die Tatsache, daß Masaryk es nicht wagen konnte, öffentlich zu erklären, seine Mutter sei eine Deutsche und daß Konrad Henlein ebenso seine tschechische Mutter verschwieg. National dachten bei den Sudetendeutschen auch Menschen, die eigentlich zu einem anderen Denken berufen gewesen wären. Internationalen Sozialisten war der Nationalismus nicht fremd, katholische CVer begeisterten sich für Hitler und viele Juden der böhmischen Länder, die sich in überwiegender Mehrzahl zum Deutschtum bekannten, huldigten einer deutschnationalen Gesinnung, die recht merkwürdig war. Viele studierende Juden waren Mitglieder schlagender deutschnationaler Verbindungen und manchmal drückten sie sich über ihre tschechischen Mitbewohner in ähnlicher Weise aus wie die Südstaatler über die Neger.

So überwog bei fast allen Sudetendeutschen das nationale Denken und drängte andere Ideen immer wieder in den Hintergrund. Seyß-Inquart, der zwar aus Mähren stammte, wo die nationalen Gegensätze noch relativ gering waren, machte keine Ausnahme unter seinen Landsleuten. Er war in erster Linie Nationalist. Sein Katholizismus, den er noch von zu Hause mitbekommen hatte, und den er eine Weile seines Lebens mittrug, hinderte ihn nicht, sich voll und ganz zum Nationalsozialismus zu bekennen. Er suchte eben nicht in erster Linie das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, sondern das Reich Hitlers und dessen Ungerechtigkeit.

Seyß-Inquart ist einfach das Beispiel eines Katholiken, der zwar getauft ist, sich aber einer ganz anderen Botschaft verschrieben hat, ein Phänomen, das sich aus der Verknüpfung von Religion und Ideologie ergibt und sowohl bei rechts- als auch linksradikalen Gruppierungen zu finden ist.

Auf einige kleine Fehler sei hoch hingewiesen, die bei einer Neuauflage ausgemerzt werden könnten: Kaiser Karl dankte nicht ab, sondern verzichtete nur auf die Anteilnahme an den Regierungsgeschäften. Körner besaß kein Doktorat (Seite 27). Julius Meinl war kein jüdischer Großkaufmann (Seite 29). Josef Leopold wurde nicht im Ersten Weltkrieg zum Hauptmann befördert, sondern erst im Bundesheer Offizier (Seite 53). Erheiternd ist die Bemerkung auf Seite 50: „Bisohof Hudal stammte aus Deutschböhmen.“ Erheiternd deshalb, weil das besprochene Buch doch in einem Verlag erscheint, der in Graz seinen Hauptsitz hat, wo doch jedermann weiß, daß Bischof Hudal aus der Untersteiermark kam. Er war teilweise slowenischer Abstammung, was ihn recht bekümmerte, weshalb er öfters deutschnationale Anwandlungen hatte. Dadurch aber verscherzte er sich die Gunst Pius XL, der ihn einmal zum Kardinal kreieren wollte, dies aber dann unterließ . Zum Unterschied von Seyß-Inquart aber war die katholische Komponente im Leben Hudals doch stärker als die nationale und seine österreichische stärker als seine deutsche: Im zweiten Weltkrieg versteckte er Juden und Deserteure und hißte sofort nach der Besetzung Roms die österreichische Fahne in der Via Pergolesi, der österreichischen Vatikanbotschaft.

H. J. NEUMANN: „ARTHUR SEYSS-INQUART“, Verlag Styria, Graz, 396 Seiten, S 158.—.

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