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In alter Treue

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Unwegsame Zeiten. Lebensbericht. Von Hans Friedrich Blunck. Zweiter Band. Keßler-Verlag, Mannheim. 602 Seiten. — Novellen. Leykam-Verlag, Graz. 479 Seiten. — Der Jahreskranz. Leykam- Verlag, Graz. 452 Seiten

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Unwegsame Zeiten. Lebensbericht. Von Hans Friedrich Blunck. Zweiter Band. Keßler-Verlag, Mannheim. 602 Seiten. — Novellen. Leykam-Verlag, Graz. 479 Seiten. — Der Jahreskranz. Leykam- Verlag, Graz. 452 Seiten

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Schriftsteller sind geistige Führer, falls sie sich nicht bloß mit der Fabrikation mehr oder minder unterhaltsamer Storys befassen. Sie sind aber dann — wenn sie es einmal sind — stets geistige Führer, ob sie sich nun in einem Novellenband aussprechen, in Naturbeschreibungen oder direkt in Lebensbetrachtungen. Der zweite Band eines Lebensberichtes von Blunck erscheint einem aber als eine solche Sensation (eine traurige freilich, meiner Meinung nach), daß bloße - Kritik ihr nicht gerecht werden könnte, ohne ungerecht vor denen zu erscheinen, die das Buch nicht gelesen haben. Es genügt auch nicht, zwei bis drei Zitate sprechen zu lassen, man könnte sie für ausgesucht halten. Aber eine durchgehende Auslese aus allen Teilen des Buches vermag hoffentlich eine Vorstellung zu geben, was da in aller Biederkeit ausgesagt wird:

… jene plötzlich aufflammende Feindschaft gegen das jüdische Völk. Gewiß, es gab die unheilvolle Masseneinwanderung aus dem Osten, vor der unsere altjüdischen Kreise so leidenschaftlich gewarnt hatten, es hatte sich ein jüdischer Nationalismus entwickelt…

Da war endlich ein jüdischer Intellektualismus, eine unzuverlässige, zerfedernde, sprunghafte Eitelkeit der Gedankenführung, die sogar im persönlichen Verkehr abschreckte.

Insbesondere: Die Nationalsozialisten predigen das Festhalten am Christentum und seiner Ethik…

Niemals haben die verschiedenen Schichten in unserem Volk einander so nahegestanden wie in den ersten Jahren des Dritten Reiches. Von den Ausschreitungen der SA wurde so gut wie nichts bekannt, der 30. Juni wurde als eine Auseinandersetzung zwischen SA und Wehrmacht angesehen …

… welche Revolution hat nicht auch ihre Schattenseiten? … Groß war der erste Aufbruch und groß der Glaube … Und die Dichtung auch…

Die Spaltung zwischen den großen Parteien drang bis in die Familie. Ehepaare gingen auseinander, Primaner liefen von der Schule … war solche Hingabe nicht das, was die Urchristen gefordert hatten?

… man folgte Hitler und hatte auch keine andere Wahl.

Ach, die meisten laufen wie selige Knaben über schwankenden Wiesengrund.

Aber daß der 1. Mai zum Staatsfeiertag bestimmt wird, ist wieder eine rechte Freude … Alle Menschen sind übermütig oder etwas verrückt.

Predigt der Nationalsozialismus nicht die Erfüllung der Demokratie? … Maßvoll und besonnen sprach Rust und gab die Fehler bisheriger Kulturpolitik lächelnd zu.

Es war Hitlers Geburtstag. Menschen verbrüderten sich auf der Straße; Unbekannte luden einander zu Gast, keiner sollte hungern.

Es sei das Schicksal, das der Ueberheblich- keit des jüdischen Volkes folge. Ich wollte es nicht wahrhaben, aber ich dachte an einige unserer jüdischen Emigranten, die, statt zu schweigen, die Stimmung in Deutschland wie im Ausland verdarben …

Es ist alles wie früher, nur die Fahnen haben gewechselt.

Man hörte aber auch, daß SA-Leute eine

Haussuchung bei Friedrich Eberts Witwe vorgenommen und daß Hitler und Goebbels sich deswegen bei ihr entschuldigt hätten.

Ueber die Hitler-Jugend erfuhr man nur Gutes.

Das Gesetz schließe nirgendwo jüdische Mitglieder aus.

Ich war ein Enfant terrible.

Goebbels hielt wieder eine seiner sehr klugen, kurzen Ansprachen …

Auch Goebbels schmökerte eine Stunde in unserem großen Laden; er hatte Geschmack und gutes Urteil… als er in einem Buch zufällig eine Verhimmlung des Führers aufschlug … er es sogleich zu entfernen bat, Byzantinismus dulde er nicht … War es die Schelmerei eines großen Jungen?

Die ersten Jahre des Nationalsozialismus haben, das vergißt man heute, ein starkes Rückströmen zur Kirche gebracht.

Darrė mit seinem Gelehrtenkopf, fast überzart …

Man hat es heute leicht, diesen Männern Vorwürfe zu machen.

Göring, immer von Theater und Künstlern besessen … der Arme hatte eine fiebrige Kieferentzündung … Der persönliche Eindruck von ihm war reizend… Er schien selbst ein verschwendender Künstler mit allen Launen seines Standes, die körperliche Ueberfülle fiel nicht auf…

In jene Tage fiel, wie ein jäher Schatten, die Röhm-Revolte der SA… Das Dritte Reich hatte jedenfalls eine ernste und erste Krankheit hinter sich …

Noch war keine Revolution ohne Verbote ausgekommen. Auch die Weimarer Republik hatte ihr Schmutz- und Schundgesetz …

Goebbels und Funk hatten es schwer …

Wir haben die Feiern im Saargebiet ohne unnötigen Lärm gehalten …

Also im Haus der SS-Studenten … Es waren erlesene junge Menschen, an Leib und Willen.

… und Himmler hat das Wort vom Naturschutzpark der Poeten ausgegeben.

… wenn Danzig und Oesterreich frei über sich bestimmen dürften — was wollen wir mehr?

Der Führer im Smoking, drängelt sich, Bauch an Bauch, an mir vorbei und nickt mir zu.. s

Friedrich Stieve und Richard Suchenwirth haben zwei vorzügliche Bücher geschrieben.., der andere vom österreichischen Standpunkt aus.

Präsidenten Tiso, einen prächtigen Bauernpastor …

Ich hatte dem Führer meinen Dank für die Verleihung der Goethemedaille zu sagen, ich schrieb nur, wie sehr er die Dichtung versäume. Wir alle waren damals hingerissen vom Zusammenschluß Deutschlands mit Oesterreich, den Hitler vollbracht hatte. Aber die Dichtung blieb ihm fremd.

… ach, das Dritte Reich wußte Feste zu feiern, es lag nun einmal im Guten und Schlimmen der Atem der Renaissance über Zeit und Menschen.

Ja, einmal, im Jahre 1938, waren wir wirklich alle beieinander, auch die Männer aus Oesterreich und dem Sudetenland. Wer wollte da Eingänger bleiben, wer nicht den Gruß des Herzens bieten? immer wird die Stimmung jener Tage unvergeßlich sein! Im alten Schloß speisten und tranken wir in einem Glücksrausch, der jeden ergrilf. War's nicht die Erfüllung des Traums von Jahrhunderten? Durften die Dichter schweigen?

Zur Reichskanzlei hatte der Führer Männer aus der deutschen Künstlerschaft geladen … kam der Führer mit einer Schleppe von Gästen vorüber und rief uns. Er war in der Nacht ein großer Junge und nichts als Lust. .. nahm er mich plötzlich beim Arm …

•.. der Mann, der seine Zeit in ihrem Glück und in ihrer Schwäche wohl am klarsten durchschaute: Seyß-Inquart.

Ich reiste also nach Wien… sie (meine Frau) war der bestimmten Meinung, der wilde Schuschnigg würde mich ohne sie verhaften … Zu viele der Besten der österreichischen Künste und Wissenschaften saßen in den „Anhaltelagern" ,… Leiten Sie die Versöhnung ein, mahnte ich … Beginnen Sie, geben Sie die Gefangenen frei!

Jahr um Jahr hatte Schuschnigg seine Gegner in jenen Konzentrationslagern gehalten, in denen der Haß aufwächst … gerade die Intellektuellen, zähe, leidenschaftliche Nationalsozialisten.

Wir haben den Antisemitismus des einfachen Volkes geradezu beschworen durch falsche Libertät.

Freilich sei viel gesündigt worden, am meisten durch Bürckel, einem trinkfesten Rheinländer…

Ein böses Wort war die Bezeichnung „Protektorat" … Schutzbündnis hätte man sagen können …

Aber das Memelland war damals nicht dabei!

… und dann die jedermann überraschende Besetzung der Tschechoslowakei, die mit den bisher verkündeten Zielen deutscher Politik nicht übereinstimmte, die aber doch glücklich überwunden wurde und immerhin ihre historische Begründung hatte.

Vergessen wir nicht, daß inzwischen ein wilder Chauvinismus den Osten ergriffen hatte … Ich … freute mich über die Friedenszuversicht unseres Volkes.

…. des deutschen Vorschlages an Polen, die sehr maßvollen 18 Punkte, veröffentlicht. Wer dachte darnach noch an Krieg?

Aber dann packte einen doch in jähem Wechsel der Ingrimm: Was wollte England? Was hatte es uns den Krieg zu erklären?

Hatten wir schlechte Politik gemacht, die drüben war schlechter, sie war grausam, maßlos und wild …

Ehrfurcht vor dem Alter, Achtung vor dem Ruhm, Wohlwollen für eine Naivität ohnegleichen, Vorsicht auch gegen vereinzelte hiesige Wer wölfe, im Kulturleben, die einen anfallen, weil man einen Wolf einen Wolf nannte, der sich sowieso bescheiden im Schafspelz tarnt — „aber dann packte einen doch in jähem Wechsel der Ingrimm". Was wollte Blunck? Was hatte ausgerechnet er uns den Nationalsozialismus und den Krieg zu erklären? Hatten wir (in Oesterreich) schlechte Politik gemacht? Die drüben war schlechter, sie war grausam, maßlos und wild … Und was hat man sich eigentlich bei Leykam (Graz) gedacht, als man ein „enfant terrible"verlegte, das nicht nur in unwegsamen Zeiten einen Faux pas nach dem anderen machte, sondern nicht einmal 1953 aus dem globalen Schaden, den der „Atem der Renaissance" verursacht hat, wenigstens so klug geworden ist, den „Glücksrausch, der jeden ergriff", für sich zu behalten, der noch heute glaubt, daß Hitler „in der Nacht ein großer Junge" war und „nichts als Lust”, während unsdreiner meint, daß niemand hierzulande auf „Novellen" und einen „Jahreskranz" neugierig zu sein braucht, den der Glücksrausch jener wahrhaft „Unwegsamen Zeiten" ernüchtert hat.

Edwin Hartl

Adalbert-Stifter-Almanach für 1953. Herausgegeben von der Adalbert-Stifter-Geseljschaft in Wien. Mit 29 Abbildungen. Oesterreichische Verlagsanstalt Innsbruck, 1953. 128 Saiten.

Der Almanach, dem Andenken des Stifter- Forschers Gustav Wilhelm gewidmet, ist nunmehr, nach längerer Pause, dank der Unterstützung des Bundesministeriums für Unterricht und des Amtes für Kultur und Volksbildung der Stadt Wien wieder erschienen und bringt gleich eine Reihe sehr beachtlicher Veröffentlichungen, darunter bisher Ungedrucktes von Stifter („Besitz und Eigentum" — erst vor wenigen Jahren entdeckt; „Die Pechbrenner" — eine stark autobiographische Einleitung zu „Granit") und einen neuaufgefundenen Brief des Malers Fischbach an Stifter, datiert Salzburg 19. 7. 1853. Von den Aufsätzen seien die letzte Arbeit Wilhelms (über Kaiser), der Beitrag Latzkes „Stifter—Heckenast—Rosegger" und die gründliche Untersuchung Enzingere („Witiko- Geographie") vorweg genannt.

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