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Kein Volk, kein Reich, kein Führer

19451960198020002020

EIN VOLK, EIN REICH, EIN FÜHRER. Dar Anschluß Österreichs 1938. Von Dieter Wagner— Gerhard Tomkowitz. Verlag Piper & Co., München, 1968. DM 25.—.

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EIN VOLK, EIN REICH, EIN FÜHRER. Dar Anschluß Österreichs 1938. Von Dieter Wagner— Gerhard Tomkowitz. Verlag Piper & Co., München, 1968. DM 25.—.

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Als Nachlese zu den diversen publizistischen „Jubiläums“äußerun- gen des heurigen Frühjahrs anläßlich der Auslöschung der österreichischen Unabhängigkeit durch Hitler liegt nun ein Buch über die Ereignisse der Märztage 1938 vor. Die beiden Autoren versuchen darin in einer tageweisen Chronik vom 9. bis zum 15. März (nach dem Motto: Sieben Tage, die die Welt nicht erschütterten) eine bunte Schilderung der Ereignisse auf den verschiedenen europäischen Schauplätzen, um die Vielschichtigkeit eines historischen Vorgangs aufzuzeigen, was in der flüssigen, leicht lesbaren Darstellung auch gut zum Ausdruck kommt. Der Standpunkt der Autoren, die nicht die Form eines historischen Romans, sondern die der .historischen Reportage“ wählten, ruft aber zwangsläufig die Kritik des Historikers hervor. Zu einem derartigen Unternehmen muß man wohl auf eindeutig gesicherte Fakten zurückgreifen, um sie ln einem unkom- mentierten Bericht darzulegen. Gerade hier liegt aber auch eine wesentliche Schwäche des Werks; da die Autoren eine große Anzahl persönlicher und schriftlicher Befragungen durchführten und diese weitgehend kritiklos übernahmen, nahmen sie die bekannten Fehlerquellen der Zeugenaussagen (mangelnde Erinnerung nach 30 Jahren, Verwechslung von zeitlichen Abfolgen, Überbetonung nebensächlicher Einzelheiten usw.) In Kauf. Die darüber hinaus verwendeten schriftlichen Unterlagen sind weitgehend konventioneller Natur. Die von einer Wiener Tageszeitung als angebliche Sensation berichtete Tatsache, daß Seyß- Inquart das Telegramm mit der Bitte um Entsendung deutscher Truppen an Hitler gar nicht abgesandt hatte, ist bereits seit dem Jahre 1946 bekannt (siehe Akten des Nürnberger Prozesses, Band XVI, Seite 136 f.).

Weiter kommen eine Reihe falscher Urteile und effektive Fehler dazu. So ist etwa die Rolle Zernat- tos bei den Märzereignissen entschieden überbewertet, er war übrigens auch nicht per Du mit Seyß- Inquart, so daß alle Spekulationen diesbezüglich ins Leere gehen. Der Anschluß Österreichs war auch sicherlich nicht der erste Schritt Hitlers in den zweiten Weltkrieg (S. 9), man wird die Aufrüstung, die Rheinlandfrage und die Saar vorher ansetzen müssen. Die Theorie, daß Dollfuß von Planetta und Hoizweber erschossen wurde (S. 13). ist neu aber falsch, die Verwundung Seyß- Inquarts stammt nicht aus dem Weltkrieg, sondern von einem Bergunfall, lange nach Kriegsende, die Soziale Arbeitsgemeinschaft war nicht die legale Gewerkschaftsorganisation, sondern ein Teil der Vaterländischen Front und weiteres mehr. Dazu kommen Schnoddrigkeiten wie die Bezeichnung eines ungarischen Botschafters als „alten k. u. k. Mann“ (S. 314) und eine mitunter abenteuerliche Schreibung mancher Namen (Globocznigg, Czeijer, Kraus, Kotzich usw.).

Da also weder die Erkenntnisse noch der Stil und die Darstellung neu sind (der britische Reporter Gedye verwendete sie in seinem bereits 1947 erschienenen Buch), kann man das vorliegende Werk nur als journalistische Zusammenfassung altbekannter Tatsachen einstufen.

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