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Was heißt schon: objektiv sein?

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Das Problem der unterschwelligen Wertung, des ideologisch gefärbten Unterlaufens in Auswahl, Stil und Darstellung erfährt gerade in der Geschichtsschreibung eine besondere Akzentuierung und Zuspitzung. Die Betrachtung vergangener Ereignisse und ihre Schilderung geschieht ja immer von einem bestimmten Standpunkt aus, sie kann also gar nicht „objektiv” im strengen Sinn sein. Die daraus resultierenden unterschiedlichen Geschichtsbilder, deren Aufgabe es weder sein kann zu verurteilen, noch zu rechtfertigen, sollten aber, wie es der Soziologe Walter B. Simon fordert, miteinander vereinbar sein.

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Das Problem der unterschwelligen Wertung, des ideologisch gefärbten Unterlaufens in Auswahl, Stil und Darstellung erfährt gerade in der Geschichtsschreibung eine besondere Akzentuierung und Zuspitzung. Die Betrachtung vergangener Ereignisse und ihre Schilderung geschieht ja immer von einem bestimmten Standpunkt aus, sie kann also gar nicht „objektiv” im strengen Sinn sein. Die daraus resultierenden unterschiedlichen Geschichtsbilder, deren Aufgabe es weder sein kann zu verurteilen, noch zu rechtfertigen, sollten aber, wie es der Soziologe Walter B. Simon fordert, miteinander vereinbar sein.

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Für ein zum Unterricht bestimmtes Schulbuch der Geschichte stellt sich daher als vordringlichste Forderung, neben der faktenmäßig stichhaltigen Information Ausgewogenheit der (ideologischen) Standpunkte gegen einseitige Präferenzen zu präsentieren.

Diesen Kriterien nur zum Teil entspricht die vierbändige Darstellung der „Geschichte für die Oberstufe” von Anton Ebner, Harald Majdan und Kurt Soukop. Graphisch nicht besonders ansprechend gestaltet, ist es zwar einigermaßen übersichtlich gegliedert, jedoch in der Breite der Darstellung recht unausgewogen.

Etwa wenn das Kapitel über Ägyptens Geschichte samt Religion, Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft (Band I, S. 41ff) auf acht Seiten, die Schilderung der „Kulturen zwischen Mittelmeer und Persischem Golf” (Band I, S. 51ff: Mesopotamien, Hethiter, Phöniker, Israeliten, Perser) auf 16 Seiten Platz finden muß, während das Griechen-Kapitel (Band I, S. 71ff) bis zur hellenistischen Zeit über 60 Seiten umfaßt.

Auch die römische Kaiserzeit von Tiberius an ist im Vergleich zur republikanischen Zeit (Band Ii S. 190ff bzw. S. 145ff) sehr summarisch behandelt. Ähnliches gilt für die Darstellung der Entwicklung in England, Frankreich, Rußland und in den USA (Band III, S. 182ff).

Ärgerlich in einem Schulbuch sind Grammatik-, Beistrichfehler und falsch geschriebene Eigennamen, wie in Band I, S. 192 (Antonius Pius), S. 202 (Ptolomaeus), S. 180 (Statuten statt Statuen), oder in Band III, S. 171 (Schoppenhauer) und S. 173 (Withman).

Wichtige Begriffe und oft auf der Hand liegende Verweise fehlen erstaunlicherweise, so in Band I, S. 30 (relativ eingehende Darstellung der Religionsentwicklung, Begriff des Fetischismus aber fehlt), Band II, S. 27 (Bedeutung der Klöster-Handschriftensammlungen), S. 95f (Kinder-kreuzzug nicht erwähnt), S. 109 (Löwenherz in Dürnstein), im Renaissancekapitel S. 201ff (die Renaissancefürsten und -päpste in Italien), in Band III, S. 173 (Schnitzler nicht erwähnt).

Gewisse Einseitigkeiten sind der Darstellung etwa des Islam (Band I, S. 31f) vorzuwerfen (der Koran „geschickt angepaßt”), oder etwa dem Kapitel über die Kolonialherrschaft in Band III, S. 40ff (Ausbeutung, Sklaverei nur am Rande erwähnt). Präferenzen der Autoren machen sich auch in der Zitatauswahl bemerkbar (so in Band III, S. 88: Zitate von Ju-

Nach den Schulbüchern für Philosophie und Psychologie, Literatur sowie Religion (siehe Nr. 45 und 50/1981 und 8/1982) befaßt sich die Autorin in diesem abschließenden Beitrag mit den einseitigen Tendenzen der Schulbücher für den Geschichtsunterricht. stus von Liebig — Herstellung von Fleischextrakt, und besonders die Bismarck-Verehrung mit einer wahren Flut von Zitaten, S. 113, 114, 121ff).

Auch für den vierten Band von Ebner-Majdan-Soukop, der die Zeit vom Ersten Weltkrieg bis zur jüngsten Vergangenheit behandelt und zu Vergleichszwecken gründlicher durchforstet wurde, haben die angeführten Kritikpunkte weitgehend Geltung. Grammatikfehler (S. 19), falsche Bildunterschriften (S. 11), uneinheitlich und falsch geschriebene Namen und Begriffe (S. 55,57: Ke-renski und Kerenskij; S. 207: Re-fuges, Commissionar, Organisation und Organization) sind nicht gerade beispielhaft.

Wenig förderlich für das Verständnis des Schülers sind Feststellungen und Wertungen ohne weitere Erklärung oder Begründung, so S. 24 (Manifest Kaiser Karls „kam um Jahre zu spät”), S. 134, 193 u.a. Bei der Aufzählung der Widerstandsgruppen gegen die Nazis sind beispielsweise die Gruppen um Rosl Hofmann, Ra-bowsky und der Fall Jägerstätter nicht angeführt. Die systematischen Vernichtungsaktionen der Nazis gegen die Juden als „Terrorwelle” (S. 101) oder die SS als Gegenstück zur „Volksarmee” der Deutschen Wehrmacht zu bezeichnen, dürfte doch an der Sache vorbeigehen.

Äußerst problematisch in ihrer Wertung sind auch die Ausführungen zu sozialen, wirtschaftlichen und technischen Veränderungen S. 277ff, wo Probleme der Automation, der Atomkraft, der Umweltverschmutzung überhaupt nicht angeschnitten werden.

Jeweils Spezialisten einer Epoche zeichnen als Verfasser der vierbändigen Reihe „Zeiten, Völker und Kulturen” verantwortlich. Demgemäß wechseln Stil und Darstellung von Band zu Band. Der erste Teil von Edith Fi-jala und Josef Mentschl, der die Zeit „von den Anfängen bis zur Völkerwanderung” behandelt, ist teils recht summarisch, wissenschaftlich-trocken und stellenweise ohne Erklärung der Zusammenhänge geschrieben, so daß sich der Text eher wie erläuternde Erklärungen zu einer Dia-Serie liest.

Dieser Eindruck wird noch durch entsprechende Abbildungen und Skizzen verstärkt. Einerseits werden zu viele Fachbegriffe eingeführt (so S. 10: Wildbeuter-tum, Faustkeil- und Abschlagkulturen, S. 93: oral composition u.a.), zum anderen stehen termini technici ohne weitere Erklärung unvermittelt da (S. 79: Megaron, S. 119: Symmachie).

Störend sind falsch geschriebene Eigennamen wie S. 265 (Favia-nae); wohl unbeabsichtigte Heiterkeit dürften stilistische „Schmankerln” wie S. 8 („schnauzenhaften Gesichtsaudruck”) auslösen.

Besser lesbar ist der zweite Band „Vom Frühmittelalter bis 1700” von Wilhelm Morawietz und Wilhelm Nemecek. Die Zeittafeln zu den jeweiligen Epochen geben einen guten Uberblick, die weißen Jahreszahlen auf hellblauem Grund sind allerdings schlecht lesbar. Störend an der Darstellung ist der häufige Zeitenwechsel von Imperfekt und Präsens (S. 8, 43, 48 und öfter).

Der dritte Band „Vom Zeitalter des Absolutismus bis zum Ersten Weltkrieg” von Josef Achleitner und Nana Hainlen ist mehr erzählend geschrieben und bietet recht informative geistesgeschichtliche Einführungen und Resümees, die den einzelnen Epochen vorangestellt sind, sowie knappe, aber einprägsame Darstellungen philosophischer Strömungen.

Ziemlich tendenziös stellt sich der vierte Band zur „Geschichte des 20. Jahrhunderts” von Franz Berger und Norbert Schausber-ger dar. Vor allem in der Darstellung des Kommunismus als „mächtige Idee... und für viele Millionen Menschen eine neue Heilsbotschaft” (S. 29) werden die Präferenzen der Autoren überdeutlich (dazu auch Kapitelüberschrift „Das russische Sen-

Eigenartig ist der Widerspruch in der Bewertung der Pfundabwertung, die S. 57 als „Belebung”, S. 61 als Symptom der Wirtschaftskrise dargestellt wird. Die Angabe von Zehntausenden Opfern beim Angriff auf Dresden (S. 117) steht im Gegensatz zu den sonstigen Schätzungen von rund 300.000 Toten.

Die Darstellung der Entwicklungshilfe (S. 186/187) vernachlässigt Formen der Beratung, des Know-how-Transfers sowie Leibücher der Schulzeit geprägt dungsbewußtsein”, auch S. 32, S. 39 u. a.).

Vielfach finden sich Behauptungen und Feststellungen ohne Erklärungen (S. 7: Balkanpolitik, S. 19: Truppen in italienische Gefangenschaft, S. 58: Dominions, Kolonien, S. 230: über Regierung Figl-Schärf — ein Ressort den Kommunisten), einseitige und verwirrende Aussagen (S. 8: Gefahr einer Einmischung, vgl. auch Zitatauswahl S. llf., S. 40: westlicher Staat-östliche Großmacht, damals gab es aber noch kein Blockdenken; banale Klischees auf S. 45,46, S. 102: ungenaue Formulierung, S. 178: euphemistische Formulierung über „Intervention” der Warschauer Pakt-Staaten, S. 213/214: über Japan, S. 215: über Kennedy).

In der Fußnote S. 33 zum Tod Trotzkis etwa bleibt unerwähnt, daß seine Ermordung auf Befehl Stalins erfolgte, in den Ausführungen zu Hitlers Zielen und „Philosophie” S. 103 wird das Programmbuch „Mein Kampf” nicht ein einziges Mal erwähnt. Ebenso bleiben der Reichstagsbrand und die SS ungenannt.

(Foto Kern) stungen der UN und internationaler Organisationen. Die bombastischen Feststellungen zur Atomtechnik, die „zur Alltäglichkeit” geworden ist, sowie zur Biologie, die „den Code des Lebens entschlüsselt hat” sind schlicht Übertreibungen.

Originaldokumente sind kaum abgedruckt, ebenso fehlt eine Liste der österreichischen Bundeskanzler.

Schon von der äußeren Aufmachung her bemüht sich die Buchreihe des Verlags Hirt um gute Lesbarkeit, wozu die im Druck hervorgehobenen Schlüsselbegriffe und Namen beitragen, sowie um eine lebhaftere, prägnantinformative Darstellung.

Der erste Band „Altertum” von Herbert Hasenmayer und Walter Göhring unter Beratung von Gerhard Dobesch sowie der zweite Band „Mittelalter” von Hasen-mayer-Göhring unter Beratung von Heinrich Appelt sind übersichtlich gestaltet, bringen viele Details und recht genaue Ubersichten. Die Arbeitsblätter sind eine gute Ergänzung zum Unterricht, soweit sie sich nicht in

Kreuzworträtselmanier auf das Erklären von Begriffen beschränken. Der Altertum-Band bringt etwas viel Begriffe, bei den Abbildungen der Kunstwerke wären Hinweise auf die entsprechenden Museen interessant (etwa S. 21,24, 27, 28).

Der dritte Band „Neuzeit”, vom” gleichen Autorenteam unter Beratung von Adam Wandruszka verfaßt, geht auch mehr auf soziale, humane Aspekte ein (etwa der Abschnitt über das Kinderelend) und behandelt den Sozialismus und die Sozialdemokratie besonders ausführlich.

Der vierte Band „Zeitgeschichte”, ebenfalls von Hasenmayer-Göhring unter Mitarbeit des verstorbenen Ludwig Jedlicka zusammengestellt, ist in der Textgestaltung wie in der Darstellungsweise weniger einheitlich. Stellenweise werden Personen und Begriffe ohne nähere Erklärung eingeführt, die Erläuterung findet sich erst etliche Seiten später.

Während beispielsweise die Entwicklung des Marxismus in Rußland (S. llf), die Umwandlung des British Empire zun Commonwealth klar und informativ dargestellt sind, kommen andere wichtige Ereignisse recht dürftig weg, so die Ereignisse in Österreich im Februar 1934 (S. 76), der „Anschluß” Österreichs (S. 80, das Wort „Anschluß” findet sich nur in der Bildlegende S. 83), der Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki (S. 91: ein lapidarer Satz), die Beendigung des Vietnamkriegs (S. 118).

Auch stilistisch verbleibt ein etwas zwiespältiger Eindruck nach der Lektüre (etwa S. 39: das Gesetz des Handelns, falsch geschriebene Namen und Begriffe, S. 90: Republica Sociale Italiana, S. 150: KPÖ-Parteiobmann Muri).

Das Problem, wie schnell die Gegenwarts„geschichte” ihre eigene Darstellung überholt, dokumentieren besonders die Ausführungen zur Problematik der Entwicklungsländer, die Behandlung der Palästina-Frage und die Darstellung der lateinamerikanischen Länder.

Verzerrungen und Fälschungen findet Walter B. Simon, Ordinarius für Soziologie an der Universität Wien, im eben besprochenen Band. Vor allem in den Beiträgen zur österreichischen Geschichte kritisiert er, daß der Begriff „Diktatur des Proletariats” nicht erwähnt wird. Die Ausführungen zur KPÖ (S. 53) sieht er als Fälschung der Geschichte, ebenso vermißt er die Erwähnung des Koalitionsangebotes von Seipel im Juni 1931.

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