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Philosophie in der Schule

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Mit Kritik an Schulbüchern für Philosophie und Psychologie beginnt die neue FURCHE-Serie, die sich in lockerer Form mit unseren Schulbüchern auseinandersetzt.

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Mit Kritik an Schulbüchern für Philosophie und Psychologie beginnt die neue FURCHE-Serie, die sich in lockerer Form mit unseren Schulbüchern auseinandersetzt.

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Ein Schulbuch zu verfassen ist kein leichtes Unterfangen. Ein ganzes Bündel von Anforderungen muß erfüllt werden: Die Darstellung soll sachgemäß und altersgerecht sein, die Aufteilung des im Buch enthaltenen Lehrstoffes übersichtlich und logisch aufgebaut und die Schreibweise leicht faßlich und anregend sein. Darüberhinaus sollte das Buch dem Lehrer genügend Freiraum für die Präsentation des Unterrichtsstoffes lassen und auf der anderen Seite den Schülern ein eigenständiges (Nach)Lemen ermöglichen.

Neben den pädagogisch ausgerichteten Kriterien ist wesentlich, welches - kurz gesägt - „Bild“ der Welt, des Menschen etc. vermittelt wird. Es stellt sich also die Frage, wie Faktenwissen interpretiert, bewertet, ausgewählt oder auch ausgesondert wird und welche Standpunkte, Meinungen Ansichten und Auffassungen eingepackt in die Vermittlung vox „objektivem“ Wissen, weitergegeben werden.

Die „Schulbuchflut“ — derzei stehen für die Volksschule etwr 500 Bücher, für die Hauptschuli rund 450, für den Polytechnischer Lehrgang 70 und für die Allgemeinbildenden höheren Schüler in der Unterstufe etwa 350, in dei Oberstufe an die 340 Bücher zu: Verfügung — machte es notwendig, sich aufs erste auf die Lehrbücher für die Oberstufe der AH£ zu beschränken.

Schon zu den „Klassikern“ unter den Schulbüchern kann mar das „Lehrbuch der Philosoph III. Teil, Einführung in die Philosophie“ von Schöndorfer, Latzke und Kantner (3. Auflage 1977] zählen. Übersichtlich gegliedert im Aufbau der Kapitel und in der Darlegung philosophischer Fragestellungen hinterläßt es insgesamt allerdings einen gewisser Eindruck von Antiquiertheit (besonders im Kapitel, Mensch und Gemeinschaft“).

Zu wenig scharf konturiert werden die Probleme der technologischen Entwicklung (S. 91 ff) dargestellt. Stilistische „Schnitzer“

(die wohl teilweise ungewollte Effekte erzielen wie beispielsweise S. 1 „Geordnetheit durchdrang das Leben“) unterbrechen stellenweise den zu ruhigen unc^ zu wenig akzentuierten Lauf der Darstellung.

Als Literaturquelle für ein Philosophielehrbuch wohl unzulässig dürften Leserbriefe an Zeitungen sein, auch wenn sie von Universitätsprofessoren stammen (S. 76). Nicht Vorkommen sollte in einem Philosophiebuch, daß einer der Dialoge Platons falsch zitiert wird („Gorgias“ S. 153).

Weitgehend dem im Vorwort zitierten Anliegen, zu orientieren, geistig anzuregen und Einseitigkeit durch einen Standpunkt ganzheitlichen Philosophierens zu vermeiden, wird das Buch von Wieser-Rauter „Philosophie, Denken und Verantwortung“ (1. Auflage 1979) gerecht. Fraglich erscheint aber, ob eine derart ausführliche Behandlung der Logistik, wobei der Aussagen- und Prädikatenlogik breitester Raum gewährt wird, nicht über das im Rahmen des philosophischen Einführungsunterrichts Vermittelbare hinausgeht

Die Darstellungsweise ist im großen und ganzen anregend, nur verfällt der Autor teilweise in do- zierend-banale Feststellungen, die in manchen Fällen des Beweises oder der Erklärung entbehren.

Seltsam erscheinen Zusammenstellungen wie S. 236 f (psychische Funktionen-Tugenden- sntgegenstehende Eigenschaften), die recht willkürlich anmuten. Die zahlreichen Textproben, die Zusammenfassungen und Begriff serklärungen am Ende jedes Kapitels sind informativ, die Fragen ein guter Anreiz zu Diskussio

nen. Auffällig ist, daß beispielsweise Platons Höhlengleichnis oder der englische Philosoph Hobbes im Buch keine Erwähnung finden.

Von der graphischen Gestaltung her sehr ansprechend präsentiert sich der neueste Beitrag zu den Philosophielehrbüchern, die „Einführung in die Philosophie“ von Arno Anzenbacher (1981). Die logisch aufbauende Gliederung der Problemstellungen bezieht durch Zitierung und chronologische Entwicklung auch den philosophiegeschichtlichen Aspekt mit ein und ermöglicht durch Zuordnungen auch eine historische Gesamtschau phüoso- phischer Fragestellungen.

Die Darstellung ist leicht faßlich und lebendig; positiv fällt auf, daß der Autor in seinen Aussagen eine gewisse Offenheit bewahrt und apodiktische Feststellungen weitgehend vermeidet. Eine Hilfe für den Schüler wäre ein Begriffsverzeichnis am Schluß gewesen.

Wohl das Gegenteil von den im Lehrplan aufgestellten Forderungen, die Schüler zu selbständigem und kritischem Denken zu führen und „zur Achtung vor der geistigen Leistung und den Ansichten Andersdenkender“ zu erziehen, wird mit dem Lehrbuch „Philosophie“ von Alois Reutterer (1. Auflage 1977) erreicht werden. Bereits im Vorwort deklariert der Autor sein Werk als „Anweisung“ (wenn er es auch selbst unter Anführungszeichen setzt), „wie wissenschaftlichen Ansprüchen entsprechend philosophiert werden sollte.“

Damit ist auch schon das Zauberwort gefallen, dem der Verfasser bedingungslos huldigt: nur eine „fortschrittsfähige wissenschaftliche Philosophie“ und was darunter subsumierbar ist, hat eine Existenzberechtigung (S. 11 ff). Die ebenfalls im Vorwort angekündigte „tolerante Haltung“ entpuppt sich als völlig vereinseitigter Standpunkt neopositivistischer, wissenschaftstheoretischer und kritisch-rationalistischer Anschauungen, die „in popularisierender, zuweilen auch merkwürdig ressentimenthafter Weise“ vorgebracht werden, wie Peter Kampits in seiner Rezension schreibt (Philos. Literaturanzeiger XXXI.3, S. 217 ff).

Von dieser Warte der „Wissenschaftlichkeit“ aus werden andere philosophische Richtungen und „spekulative“ Gedankengänge diskreditiert oder lächerlich gemacht, aus dem Zusammenhang gerissene Zitate oder falsch (oder nicht verstandene) Textstellen polemisch mißbraucht, wie zum Beispiel die Heidegger- und Hegel-Zitate auf Seite 9.

Entsprechend abwertend behandelt der Verfasser die Metaphysik (S. 9, S. 273 ff), das Leib- Seele-Problem (S. 246 ff), das Gottesproblem (besonders S. 278 ff).

Gemäß der Auffassung des Autors von der Philosophie als geistiger „Klebstoff“ für die Teile des fachwissenschaftlichen Puzzlespieles der verschiedenen Weltbilder sind die Kapitel nach philosophischen Problemen der Physik, Biologie usf. gegliedert.

Im Ausblick auf die Zukunft 4er Menschheit (das Kapitel trägt die Überschrift „Was ist zu tun?“) begegnet im Zusammenhang mit der steigenden Bevölkerungszahl wiederholt die merkwürdig apodiktische Feststellung „Die Zahl der Menschen auf der Erde muß sich einpendeln“ (S. 311) „vermutlich unter katastrophalen Begleit

umständen“ (S. 312). Im Anschluß daran wird zur Diskussion über Geburtenkontrolle, Abtreibung, Kindestötung, Sterbehilfe und Todesstrafe aufgefordert.

Weniger krasse Unterschiede bei der Aufbereitung und Akzentuierung des Inhalts lassen sich bei den Lehrbüchern zur Psychologie feststellen. Inhaltliche Überschneidungen und Entsprechungen bei Aufbau und Gliederung des Stoffes weisen die Bücher von Edith Konecny „Lehrbuch der Philosophie I. Teil Psychologie“ (4. Auflage 1978) und von Ernst Nowotny „Psychologie. Einführung, Übersicht, Arbeitsvorschläge“ (1. Auflage 1979) auf.

Konecny kennzeichnet bereits im Vorwort deutlich den engen Anschluß der Ausführungen an den Psychologen aus der Wiener Schule, Hubert Rohracher. Insgesamt ist das Buch güt gegliedert und leicht faßlich geschrieben. Vielleicht aufgrund der relativen Kürze des Buches (208 Seiten) kommt es stellenweise zu verkürzenden, einengenden Erklärungen, die sich zum Teil als nicht ganz stichhaltig erweisen. Etwa für das Versagen in einem Unterrichtsfach gegenüber guten Leistungen in anderen Fächern nur „ein geringeres Gedächtnis oder aber eine geringere intellektuelle Leistungsfähigkeit“ verantwortlich zu machen, ist wohl zu kurz gegriffen (S. 63).

Durch große Komplexität und Informationsreichtum zeichnet sich das Buch von Nowotny aus. Sehr klar gegliedert beschreibt es ausführlich auch die Methoden der Psychologie, die organischen Grundlagen des Psychischen und referiert psychologische Experimente.

Wiewohl der Verfasser in der Einleitung selbst darauf hinweist, daß der im Buch enthaltene Lehrstoff nicht in einer Klasse durchgenommen werden kann, sondern sich zur Auswahl und Schwerpunktbildung stellt, bleibt doch die Frage, ob insgesamt nicht eine überbürdete Fülle von Informa

tionen geboten wird, die den Überblick und die Orientierung erschwert. Zumal die graphische Gestaltung des Textes mit vielen enggeschriebenen Passagen nicht vorteilhaft erscheint.

Starke Vereinfachungen und Raffungen, die allzu „summarisch“ (vgl. Rezension von Franz Forster) sind, enthält das 30 Seiten umfassende Buch von Bayer- Schöndorfer. Fremdwörter werden nicht erklärt (S. 10 z.B.), dafür im Grunde überflüssige Fach- sprachen-Schöpfungen präsentiert (etwa „Tragling“ S. 10). Das wichtige Kapitel der Erziehungsakte muß auf einer Seite Platz finden (S. 29/30), die Rolle des Vaters findet keine größere Erwähnung. Ausgesparte Fragen und Probleme sind teils im Anhang als „Diskussionsanstoß“ angeführt.

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