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Literaturwissenschaft

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Zur Spruchdichtung und Heimatfrage Walthers von der Vogelweide. Beiträge zur Walther-Forschung. Von Karl Kurt Klein. Schlern-Schriften, Band 90, herausgegeben von R. v. Kle-belsberg. 136 Seiten, Großoktav, mit zwei Bildbeilagen. Preis 58 S.

Das vorliegende Heft stellt eine Musterleistung echten Gelehrtenfleißes und ernster Forscherarbeit dar. Sie zeigt anschaulich, wie schwer sich heute die deutsche bzw. österreichische Forschung tut. Lange dauerte es, bis das Buch erscheinen konnte. Das Vorwort ist datiert Dezember 1949, das endgültige Schlußwort dazu ist geschrieben Juni 1952. Die Drucklegung wurde ermöglicht durch eine Reihe hochsinniger Bürger der Walther-Stadt Bozen und durch den „Verband für Heimatpflege“ in Bozen.

Das Werk erklärt zunächst drei bisher noch nicht völlig klargestellte Sprüche Walthers, den sogenannten Tegernsee-Spruch und die zwei Atze-Sprüche, und behandelt dann nach dem neuesten Stand der Forschung die noch immer ungeklärte Frage nach dem Geburtsorte des Dichters. — Seine demütigende Behandlung in Tegernsee wird erklärt aus den damaligen Standesverhältnissen und Ehranschauungen und nicht zuletzt aus den politischen Gegensätzen zwischen dem Abt und dem Dichter. Auch die beiden Atze-Sprüche werden neu gedeutet: Atze soll damit ernstlich verhöhnt und dem Spotte der Zuhörerschaft preisgegeben werden. — Die Ausführungen gestatten uns einen Blick in die Werkstätte eines Gelehrten, man sieht, wie seine Forschungen gleichsam Schritt für Schritt vorwärtsschreiten, bei genauester Berücksichtigung der bisherigen Leistungen und aller erreichbaren Literatur, auch aus den einschlägigen Fachgebieten der Kulturgeschichte, Volkskunde, dem damaligen Stand der Rechtswissenschaften u. dgl. Dabei gelingt es ihm, über die Resultate der letzten Forscher, wie von Kraus, hinauszukommen, wie diese die Anschauungen ihrer Vorgänger hatten verbessern können.

Dieselbe Umsicht, Vorsicht ■ und Akribie zeigt sich auch in der letzten Abhandlung: Zur Heimatfrage Walthers. Die ganze Geschichte der Walther-Forschung und der Bestimmung seines. Geburtsortes wird da aufgerollt und nach dem neuesten Stande der Forschung dargestellt, jedes Für und Wider genau abgewogen. Aus den weni-

gen Zeugnissen der Zeitgenossen läßt sich kaum etwas Sicheres entnehmen. Ebensowenig bietet eine eindringende Untersuchung seiner Sprache einen sicheren Anhaltspunkt, woher der Dichter stamme. Auch eine Betrachtung des Gesamtbildes Wälthers läßt keinen sicheren Schluß auf seine Abstammung zu. Nadler behandelt Walther in dem Abschnitt Wien bzw. Donauland, während Thurnher den „Mut des Vermutens“ aufbringt und ihn bei den Südtiroler Dichtern einreiht. Der Autor geht dann noch einigen anderen Hypothesen nach, zum Beispiel Walther — ein Schweizer (von Alban Stöckli) und weist sie zurück. Dahn aber geht er ziemlich ausführlich auf eine bisher vielleicht zuwenig beachtete Stelle von Wolfram von Eschenbach aus dem „Willehalm“ ein, wo dieser Dichter auf die Nachtigall von Bozen und auch auf den guten Tropfen daselbst hinweist. Das Schluß-ergebnis bietet eigentlich nichts Neues, aber manche Erkenntnis wird vertieft und mit neuen Gründen gestützt: „Prüft man die Gegebenheiten und Umstände nüchtern durch, so bleibt das wahrscheinlichste Ergebnis die um die Jahrhundertwende durch die Beseitigung ausschließender Gründe als möglich erwiesene Vermutung, Tirol könnte Walthers Geburtsland sein.“

Dr. Adolf B u d e r SJ.

Geschichte der deutschen Literatur. Von Helmut de B o o r und Richard N e w a 1 d. Verlag C. H. Beck, München. Bd. I, 268 Seiten, und Bd. V, 556 Seiten.

Eine neue Geschichte der deutschen Literatur. Der erste Band umfaßt die Zeit von Karl dem Großen bis zum Beginn der höfischen Dichtung, also die Epoche von 770 bis 1170, der derzeit neben dem ersten allein vorliegende fünfte Band beschreibt die Zeit vom Späthumanismus bis zur Empfindsamkeit, also die Jahre 1570 bis 1750: beide Bände geben also nicht die großen Blütezeiten, sondern schildern vorbereitende Zeitalter. Das auf acht bis neun Bände berechnete Gesamtwerk, aufgenommen in die Buchreihe „Handbücher für das germanistische Studium“ des Beck-Verlages, will in erster Linie „aus den heute gül-

tigen Forschungsergebnissen das Wesentliche so übersichtlich geordnet darstellen, daß der Studierende ein geschlossenes Bild erhält und zugleich Ausgangspunkt und Anstoß für die eigene Arbeit findet“. Damit stellen sich die beiden Verfasser eine Aufgabe, die heute im akademischen Studium einer dringenden Lösung bedarf. Noch immer fehlt das richtunggebende, moderne Lehrbuch, das den heutigen Forschungsstand zusammenfaßt und gleichzeitig zur eigenen Leistung anregt. Zweck der vorliegenden, gediegen gearbeiteten Bände war es nicht so sehr, neue Forschungsergebnisse vorzulegen, als vielmehr den heutigen Stand der Forschung dem Studenten der Germanistik übersichtlich zugänglich zu machen. Vollständigkeit des Stoffes, wie zum Beispiel bei Ehrismann, ist nicht erstrebt. Es geht also hier in erster Linie um „Wissen“, nicht um „Deutung“. Grundsätzlich wurde nur die deutsche Literatur berücksichtigt, daher entfällt die Berücksichtigung der germanischen wie auch der lateinischen Literatur. Die Durchgliederung und Periodisierung erscheint gegenüber früheren Kompendien ähnlicher Art plastischer und mehr aus dem Stoffe selbst herausgeholt. Klare Sprache wie gute Literaturangaben erleichtern,das Verständnis.

Newald beginnt seine Darstellung mit den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts, in denen sich der Literaturbetrieb endgültig von der Handschrift

auf das gedruckte Buch umgestellt hat. Das Interessante an diesem Bande ist das Abrücken von dem Sammelnamen „Barock“. Eine sehr gesunde Zurückhaltung Newalds gegenüber der Stil-phänomenologie gibt ihm den Blick für die Vielfalt des sogenannten Barockzeitalters frei, die er denn auch in ihren weitverzweigten Wurzeln meiner Meinung nach besser in den Griff bekommt, als dies der Barockemphatik früherer Jahre gelang. Im Gegensatz zu allzu verfrühten Synthesen ist es Newald um eine Strukturierung dieses Zeitraumes zu tun, der ihm gut gelungen ist. Soziologische Momente, Gattungsgeschichte, Motivgeschichte, Poetik und vieles andere wird hier zu einem Gesamtbild zusammengesetzt, das dem Leser, vor allem dem Studenten, den eigenen Blick für die Fülle des noch zu Leistenden frei hält. Besonders verdienstvoll erscheint mir die Einbeziehung des pansophischen Schrifttums in das Gesamtbild der Epoche. Zusammenfassend muß die hier vorliegende neue Literaturgeschichte mit ihren pädagogischen Prinzipien auf das lebhafteste begrüßt werden, zumal sie endlich dem Studenten ein Lehrbuch in die Hand gibt, das den Stoff nicht vereinfacht, ihn aber so übersichtlich wie nur möglich durchgliedert und von zwei Verfassern geschrieben wurde, denen gründliche Sachforschung oberster Grundsatz ist.

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