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Abrechnung mit Mussolini?

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Dieses Buch des greisen Historikers sollte viel gelesen werden, besonders von jenen Unentwegten in und außerhalb Italiens, die immer noch den „Mann der Vorsehung, der immer recht hatte“, bewundern. An Hand von zahlreichen Pressezitaten gelingt es Professor Salvemini meisterhaft, die inkonsequente, schwankende, von cäsarischen Posen bestimmte Außenpolitik Mussolinis darzustellen. (Die Darstellung schließt mit dem Jahr 1932.)

Leider übersieht aber Professor Salvemini, der Doyen der italienischen Antiklerikalen, daß sehr scharfe Polemik ebenso scharfe Genauigkeit erfordert. Im Vorwort wird dem Leser die Geschichtsauffassung des Verfassers erklärt. Salvemini haßt abstrakte Termini: Es gibt für ihn keine Krankheit, sondern nur Kranke; keinen Tod, sondern nur Menschen, die tot sind. Daher folgert der Autor, daß man niemals „Italien“, „Frankreich“ usw. für irgendwelche Schandtaten verantwortlich machen darf, sondern höchstens die Regierungen dieser Länder. Ein Schuldiger muß aber immer gefunden werden, und diesem möchte Salvemini immer seine Meinung sagen. Er erhebe nicht den Anspruch auf sogenannte Unparteilichkeit, besonders nicht gegenüber Mussolini. Er versichert aber, daß er sich beim Schreiben des Buches immer mit den Argumenten eines imaginären, intelligenten Verteidigers des faschistischen Regimes auseinandergesetzt habe. „Nichtfaschi-sten“, die mit seinen Ansichten nicht übereinstimmen, scheinen für Salvemini nicht zu existieren.

Unverständlich ist es, daß Salvemini einen ganzen Anhang mit von ihm selbst nicht als restlos stichhaltig bezeichneten Argumenten füllt, die beweisen sollen, daß Mussolini 1914 von der französischen Regierung Geld angenommen habe, um den „Avanti“ verlassen und den „Popolo d'Italia“ gründen zu können. Ohne Geld kann niemand eine Zeitung gründen, von irgend jemandem muß es Mussolini daher bekommen haben; es ist höchstwahrscheinlich, daß ihm Geldmittel aus den Propagandafonds der Entente-Botschaften zugeflossen sind, aber es ist doch keineswegs ausgeschlossen, daß Mussolini auch italienische Geldgeber gehabt hat. Professor Salvemini war selbst fanatischer Interventionist und hat auch noch 1918 gemeinsam mit Mussolini der italienischen Delegation am römischen Kongreß der „unterdrückten Völker“ Oesterreich-Ungarns angehört. Unter den Kongreßteilnehmern findet man berühmte Namen: Die spätere Tschechoslowakei war von niemand geringerem als Eduard Benes vertreten, die Südslawen durch Toncic und last not least Wickham Steed und Scotus Viator, alias Seton Watson, repräsentierten die im Geiste mitmarschierenden Engländer. Unter diesen illustren Reformatoren fehlte wirklich nur der damals tatsächlich unbekannte Gefreite von der Westfront. Der Kongreß wird im Buch nicht erwähnt, aber der mit diesen Einzelheiten vertraute Leser kann sich nicht des Gefühls erwehren, daß Professor Salvemini das Kapitel Interventionspropaganda und französisches Gold besser nicht ausgegraben hätte.

Oesterreich, das heißt die österreichischen Faschisten (avis au lecteur: alle Oesterreicher, die nicht mit der sozialistischen oder kommunistischen Partei sympathisieren) werden vom Autor recht stiefmütterlich behandelt. Sein Quellenapparat besteht nur aus C. A. Gulick, „Austria from Habsburg to Hitler“, und Gedye, „Betrayal in Central Europe“. Jedermann weiß, daß Starhembergs Heimwehren von Mussolini mit Waffen beliefert wurden; nur Salvemini gelingt es auch hier, dem Leser Zweifel aufzudrängen: Er läßt österreichische Zollbeamte einen von Bozen nach Rosenheim spedierten Waggon Konservenfleisch als Waffensendung entlarven. Scheinbar liegt Rosenheim für ihn in Oesterreich! (214.) Die christlichsoziale Partei wäre weder christlich noch sozial gewesen, sondern klerikal, faschistisch, habsburgisch und .mit antisemitischen Traditionen behaftet. Alle politisch tätigen Priester Mitteleuropas hätten dem Faschismus Flankendeckung gewährt: Korosec in Slowenien, Tiso in der Slowakei, S eipe 1 (!) in Oesterreich und Goos (? soll sicher heißen Kaas) in Deutschland.

Als positiv muß die mitleidlose Kritik an der chauvinistischen Behandlung der sprachliche Minderheiten durch den Faschismus hervorgehoben, werden. Der vom Nationalismus nicht immun gebliebene italienische Klerus wird natürlich mit schärfsten Worten getadelt, und an allen Missetaten ist Salveminis Hauptfeind Nr. 2, Papst Pius XI., schuld. Das Kapitel über den Lateranvertrag ist natürlich ein Tummelplatz für die antiklerikalen Leidenschaften des Verfassers: Pius XI. und Kardinal Gasparri werden der Simonie beschuldigt (S. 275).

Salveminis größter und berechtigter Vorwurf gegen den Faschismus trifft die durch dessen Schuld im Ausland verbreitete Ueberzeugung von der politischen Unreife des italienischen Volkes, für das eben so ein Regime notwendig gewesen Wäre. Von dort ab kann es noch gestrichen werden!

Um die Erklärung der Menschenrechte. Eine Symposion, herausgegeben unter dem Patronat der UNESCO. Europa-Verlag, Zürich-Wien-Konstanz. 388 Seiten.

Am 10. Dezember 1952 jährte sich zum dritten Mal der Tag, an dem die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ erfolgt ist. Ihrer Formulierung war eine Rundfrage der UNESCO verausgegangen, gerichtet an eine große Zahl prominenter Köpfe in allen Teilen der Welt. Soziologen, Philosophen, Juristen, Publizisten, auch Geistliche verschiedener Konfessionen wurden eingeladen, sich über die ihrer Auffassung nach allen Menschen, als Menschen, gemeinsamen Fündämentalrechte zu äußern. Aus der langen Reihe der eingelangten Antworten wurden dreißig ausgewählt und im vorliegenden Band veröffentlicht. Jacques Maritain schrieb die Einleitung hierzu, was freilich nicht bedeutet, daß wir es hier mit einer Synthese divergierender Anschauungen auf der Grundlage der christlichen Naturrechtslehre zu tun hatten. Das Buch dokumentiert vielmehr die heillose geistige Verwirrung, die der Loslösung des Postulates der Menschenrechte von seiner christlichen Basis gefolgt ist und notwendig folgen mußte. Ihres natürlichen und einzig stabilen Fundamentes beraubt, Stellen sich diese Rechte nicht allein für die Anhänger des Marxismus, sondern auch für eine erschreckend hohe Zahl jener, die es lieben, das Wort von der Verteidigung der abendländischen Kultur im Munde zu führen, als nichts anderes dar denn eine variable Summe staatlich dekretierter Verhaltungsmaßregeln, die, entsprechend den jeweiligen Bedürfnissen des Staates, abgeändert, ergänzt, beschränkt oder auch gänzlich außer Kraft gesetzt werden können. Daß aus einer solchen Verwirrung keine „Erklärung der Menschenrechte“ hervorgehen konnte, die eine praktische Bedeutung besäße, liegt wohl auf der

Der 20. Juli. Von Eugen Budde und Peter Lütsches. Verlag H. Raven, Düsseldorf, 1953. 148 Seiten.

In der umfangreichen Publizistik über den 20. Juli 1944 nimmt das vorliegende Buch eine Sonderstellung ein. Es wird versucht, auf Grund der tatsächlichen Quellen, vor allem mit Hilfe der aufgefundenen Prozeßaufzeichnungen des Verfahrens gegen Generalfeldmarschall von Witzleben, den Verlauf der Ereignisse zu zeichnen. Roland Freißler, der Hauptankläger des Schauprozesses, kommt ebenso zu Wort wie die Angeklagten. Dazu bilden die Geheimansprachen von Goebbels und Himmler auf der Gauleitertagung in Posen 1944 ein interessantes Gegenstück, weil daraus klar hervorgeht, daß nach der Meinung von Goebbels die Männer des 20. Juli als „überzeugte Patrioten“ einen Verzweiflungsschritt in letzter Stunde getan hätten. Entscheidend ist, daß in diesem Werk auch die hochbedeutsamen Gutachten der Historiker Prof. Percy Ernst Schramm — einstmals Kriegstagebuchführer im Wehrmachts-führungsstab — und Prof. Seraphim vollinhaltlich zitiert werden. Beide Gutachten wurden anläßlich des sogenannten Remer-Prozesses in Braunschweig im Vorjahr als Grundlage der historischen Wahrheitsfindung vor Gericht dargelegt und beweisen, daß bereits am 20. Juli 1944 die militätischen Niederlagen unabwendbar waren. Schon daraus ergibt sich, daß dieses Werk für den Historiker, der die Zeitgeschichte mit den Mitteln der exakten Geschichtsforschung untersuchen will, schlechtweg unentbehrlich ist.

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