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Der Abstieg eines Staatsmannes

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Weihnachten 1941. Die römischen Kirchen sind zum Bersten voll von Gläubigen, die in den Leiden eines verabscheuten und in seinem Ausgange bereits zweife'haften Krieges Trost erflehen. Und das italienische Volk liebt das Weihnachtsfest. Anders der Duce: „Dieses Fest hält nur die Erinnerung an die Geburt eines Juden wach, der der Welt verweichlichende und entmutigende Theorien gepredigt hat, der vor allem Italien durch die Vermittlung der zerstörenden Arbeit der Päpste getroffen hat“ — und er verbietet den Zeitungen, das Hochfest der Christenheit zu erwähnen. Ist das noch der weitblickende und entschlossene Staatsmann, der die Kluft zwischen Vatikan und Quirinal, welche durch sechzig Jahre Italien gespalten hatte, geschlossen hat? Oder sind das wieder die Worte des wilden Agitators seiner Jugendtage, von dem der faschistische Minister und Botschafter Grandi gesagt hatte, er sei ihm fremd wie kein anderer Mensch? Was war vorgefallen? Schon seit einiger Zeit war beim Duce der alte Kirchenhaß seltsam wieder sichtbar geworden. Der Papst, der die Wandlung gespürt, hatte den Herrschern der von Deutschland im Frühjahr 1940 Überfallenen drei Staaten mitfühlende Botschaften gesandt und dem faschistischen Botschafter Alfieri auf seinen Vorhalt erwidert: „er s e i bereit, auch in ein Konzentrationslager überführt zu werden, aber er werde nichts gegen sein Gewissen tu n.“ Welche dunklen Mächte hatten Mussolini von seinem Weg fortgeführt, ihn auf die Bahn uferloser Abenteuer gedrängt?

Eine seltsame Mischung von Eitelkeit, Eifersucht auf Hitler, massiver Unkenntnis der geistigen und weltpolitischen Machtfaktoren, dazu eine primitive Kriegspsychose haben Mussolini Zug um Zug gegen den Willen des Königshauses, der Armee, der katholischen Kirche, ja fast des ganzen italienischen Volkes in den zweiten Weltkrieg und damit in den Untergang geführt.

„Der Entscheid über das Bündnis mit Hitler wurde von Mussolini unversehens gefaßt, während ich mich mit Ribbentrop in Mailand befand“, schreibt Graf Öalegzzo Ciäno in seinen, in der „Furche“ (Nummer 14 von 1946) bereits ausführlich gewürdigten „Tagebüchern“ (1939 bis 1943). „Einige amerikanische Zeitungen hatten geschrieben, die lombardische Hauptstadt habe den deutschen Minister feindselig empfangen und dies sei ein Beweis für die verminderte persönliche Machtstellung Mussolinis. Daher sein Zorn. Telephonisch erhielt ich den unumstößlichen Befehl, den deutschen Bündniswünschen zu entsprechen. So entstand der Stahlpakt.“

Seine heftigen und unimotivierten Reaktionen bei Berührung bestimmter Gefühlskorn plexe bestürzten seine Mitarbeiter, die sie auf ihre Weise zu erklären versuchen. Der Senator und Polizeichef Bocchini führt diese Erscheinungen auf das Wiederaufflackern eines alten syphilitischen Leidens zurück, von dem auch Balbo spricht — vermutlich sind sie aber durch die physischen Beschwerden eines Magenleidens mitbedingt gewesen. Aus allen Berichten geht hervor, daß Mussolini zur Zeit des zweiten Weltkrieges nicht mehr in der geistigen und seelischen Form war, um die Politik einer Großmacht zu steuern, die sich tzum Zünglein an der Waage gemacht hatte.

Der Schlüssel zu manchem Rätsel wird in einer Erhellung der Wechselwirkungen zwischen den Persönlichkeiten Hitlers und Mussolinis gefunden werden. Gewiß,Mussolini fühlt sich als Doyen der Diktatoren — erst zehn Jahre nach seinem Marsch auf Rom ist Hitler zur Macht gekommen. Aber Hitler hat ein unvergleichlich leistungsfähigeres Instrument erlangt und Erfolg auf Erfolg gehäuft — fast immer ohne Mussolini zu fragen, meist ohne ihn auch nur zu verständigen. Im Grunde verachtete Mussolini seinen Partner, ja die ganze germanische Rasse: „Hitler und Roosevelt sind beide Idioten, Söhne der gleichen Rasse“, sagte er zu Ciano. Wiewohl der Duce nah dem Überfall auf die von ihm und Hitler in München garantierte Rest - Tschechoslowakei sagte, daß sich bei Veröffentlichung

des italienischen Bündnisvertrages mit Deutschland ,?sogar die Steine in Italien empören würden“ — der König hatte ihm gegenüber die Deutschen als „Lumpen und Schurken“ bezeichnet —, vermag ihn nichts und niemand von der Gefolgschaft zu Hitler abzubringen. Noch 1933 hat er über Hitler „er erwarte ihn mit einer Art ängstlichen Freude“ gespottet, jetzt ist er ganz in seinem Bann. Um seine .Minderwertigkeitsgefühle zu übertäuben, redete er sich ein: „In der Politik bin ich ohne Zweifel intelligenter als Hitler.“ Dabei weiß Mussolini sehr gut, daß „jeder Vertrag mit Deutschland ein Papierfetzen ist“. Er träumt von Heldentaten gegen Jugoslawien, von Erreichung der rumänischen Petroleumfelder, von Vorherrschaft auf dem Balkan und vergißt die Wirklichkeit. Schließlich wurde er kindischeitel wie Nero. Mussolini wohnte, wie Ciano erzählt, der Aufführung des Stückes „Cesare“ von Forzano bei, an dem er selbst mitgearbeitet hatte. Es war ein Machwerk zu seiner Verherrlichung, „ohne Geist und ohne Technik und das Ergebnis war das Gegenteil von dem, was er erzielen wollte“.

Seine Gegner hatten freilich zu seinem Größenwahn beigetragen. Der britische Botschafter übersandte ihm am 27. Jänner 1939 den Text der Rede, die Chamberlain im Unterhaus halten wollte, damit Italien allenfalls noch Wünsche dazu äußern könne. Der Duce „billigte“ sie und bemerkte: „Ich glaube, es ist das erstemal, daß der Chef der britischen Regierung einer ausländischen Regierung den Entwurf einer Rede unterbreitet.“ Noch am 5. April 1940 erhält Mussolini eine Nachricht Chamberlains, voll ..unruhiger Suche nach einem Kompromiß“. Die Denkschrift der britischer! Regierung “nach der Annexion Albaniens könnte, wie Ciano sagt, „von unseren eigenen Ämtern verfaßt sein“. Wieviel Unglück wäre Europa erspart worden, wenn die beiden Diktatoren die Hand eines entschlossenen Gegenspielers gefühlt hätten!

Alle seine vermessenen Schritte werden durch seine stupende Unkenntnis der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse ge-

fördert. Er glaubt nicht, daß England ach dem Fall Polens weiterfechten werde, er glaubt nicht an den oft und gerade Italien in freundschaftlich-eindringlicher Weise als zwangsläufig dargelegten Kriegseintritt Amerikas. Uber den Gedanken, daß der Pakt mit Japan den Achsenmächten die Intervention Amerikas auf den Hals ziehen könnte, „ist Mussolini glücklich“! Roosevelt ist für ihn ein Mann mit ^progressiver Paralyse“. Erst viel zu spät sieht der Verblendete ein, daß Churchill, der ihm Schach bieten wollte, „sein wahrer Freund war“. In wirtschaftlichen Dingen fehlt Mussolini das bescheidenste Urteil. Er will die Millionenimporte an englischer Steinkohle durch den spärlichen und schlechten inländischen Lignit ersetzen und macht sich von den Folgen für Industrie und Verkehr keinerlei Vorstellungen. Italien hat seine ganzen ausländischen Aktiven, den größten Teil des Goldschatzes der spanischen und abes-sinischen Politik geopfert, und Mussolini spricht von den „Vorteilen einer gigantischen Inflation“. Bei Kriegseintritt hat Italien einen mikroskopischen Vorrat von 100 Tonnen Nickel und es fehlen fast alle Legierungsmetalle für die Stahlindustrie. Im Herbst 1939 wird der von Deutschland zu deckende Rüstungsbedarf Italiens mit 17 Millionen Tonnen, also 17.000 Eisenbahnzügen beziffert — worauf Hitler damals noch gerne auf die Kriegsteilnahme Italiens verzichtete. Im Jänner 1940 fehlt bis zu 92 Prozent des vorgesehenen Standes die Artillerie bei den einzelnen Divisionen. Mussolini will aber um diese Zeit siebzig Divisionen neu aufstellen, das Rohmaterial reicht gerade mir für zehn. ,

Es fügt sich gut in dieses Bild, daß Mussolini im Gespräch den ..Soldatenköng“ Friedrich Wilhelm von Preußen lobt, „der Frauen, welche spazierengingen, mit den Füßen trat, und die Priester, die Soldaten zusahen, mit Stöcken schlug“. „Das italienische Volk ist eine Rasse von Schafen“, sagt der Duce an anderer Stelle. ..schlagt sie, schlagt sie!“ und: „um ein Volk groß 7ju machen, muß man es in die Schlacht schicken, selbst wenn man ihm dazu einen Fußtritt geben muß und das werde ich tun.“

Es ist die Denkungsart eines moralisch Entgleisten. Schrecklicher Gedanke, daß solche Menschen — er und der ihm artverwandte Hitler — Weltgeschichte machen und ganze Völker ins Unglück stürzen konnten.

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