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Genosse Mussolini

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Der alte Vater kann stolz sein, hat er doch allem Anschein nach dem Sozialismus einen Kämpfer erzogen. Und wirklich: in unruhigen Wanderjahren durch die Kantone der Schweiz, die einer kurzen Tätigkeit als Hilfslehrer folgen, erwirbt sich der Sohn in revolutionären Konventikeln das theoretische Rüstzeug. Der. Hunger läßt ihn alle Arbeit annehmen. So geht Mussolini auch als Maurer auf den Bau: eine Episode, die von der späteren Propaganda und Gegenpropaganda gründlich ausgewertet wurde. Aber selbst Betteln verschmäht er nicht in jenen Hungerjahren... In die Heimat zurückgekehrt — nicht ganz freiwillig, die Schweizer Fremdenpolizei sprach ein Wort mit —, geht es zunächst auf den Kasernenhof, 1907, dann auf den Katheder der Elementarschule in Tolmezzo. Hier fällt der junge Lehrer bald unangenehm auf. Erschreckte Frauen erzählen von dem seltsamen Menschen, der in der Nacht von der Friedhofsmauer herab wilde Reden hält. Gerne - wird man ihn los. Einige die kleine Stadt in Aufruhr bringende Affären des jungen hitzigen Romagnolen schaffen einen willkomme nen Anlaß. Das ist die Stunde der Entscheidung. Mit dem bürgerlichen Leben ist es nichts. Kopfüber stürzt sich nun Mussolini in die Politik, bedingungslos stellt er sich unter die rote Fahne. Die sozialistischen Führer werden auf den neuen Agitator aufmerksam. Allein, er ist kein williger Gefolgsmann. Deshalb schickt man ihn auf „Frontbewährung". In das „unerlöste" Trient. Dort, jenseits der Grenze des Regno, soll Mussolini seinen Radikalismus abkühlen. Battisti ist hier sein Lehrer. Mussolini wird Mitarbeiter im Parteiorgan „Popolo". Als die Auflagenziffer dieses kleinen sozialistischen Kampfblattes ständig sinkt, muß etwas geschehen. Der junge Journalist bekommt den Auftrag, einen Roman zu schreiben. Mussolini setzt sich hin und schreibt: „Claudia Particella — oder die Geliebte des Kardinals". Fortsetzung um Fortsetzung, Tag für Tag. Trient aber hat auch ein katholisches Blatt, die „Voce Cattolica“; Battisti will die Verbindung zwischen Mussolini und deren Redakteur hersteilen. Doch dieser — es ist nieipand anderer als Italiens Ministerpräsident der Gegenwart, Alcide D e G a s p e r i —, lehnt ab. „Der Mann ist mir zu laut." Mussolinis Tage in Österreich sind gezählt. Als, von ihm geschrieben, einmal im „Popolo“ zu lesen ist: „Italien endet .nicht in Ala“, ist es auch den langmütigen österreichischen Behörden zu bunt. Landesverweisung!

Der Ritt des neuen Condottiere geht weiter. Zunächst reitet er manche Attacken gegen die revisionistischen Führer seiner Partei, die „an die Revolution nicht glauben". 1911 schlägt die historisch gewordene Ora di Tripoli". Sie ist auch die Stunde Mussolinis. Die sozialistischen Führer beschränken sich auf einen lahmen Protest. Der als „verrückter Umstürzler" verschrieene Mussolini inszeniert in Forli eine große Protestbewegung. „Hände weg von Afrika!“ ist die Parole. Einer großen gemeinsamen Protestversammlung sitzt ein junger kahlköpfiger Republikaner, Romagnole wie Mussolini, vor: Pietro N e n n i. Die Menge ist aufgewühlt, es kommt zu Ausschreitungen. Ergebnis: 14 Monate Gefängnis für Mussolini. Nun ist er aber mehr als nur eine lokale Größe. Stufe für Stufe steigt er in der Parteihierarchie, Mit 30 Jahren ist er Chefredakteur des Zentralorgans „Avanti“. Eines Tages fällt von sozialistischen Genossen das Wort, das ihm zum Schicksal werden soll: Duce. Und der Theoretiker der Gewalt, Georges Sorel, feiert den Schüler: „Mussolini ist kein gewöhnlicher Sozialist ... Er ist ein Italiener des fünfzehnten Jahrhunderts, er ist ein Condottiere. Noch wißt ihr es nicht.

Die Zeiten sind für Condottieri günstig, nicht aber für den internationalen Sozialismus. Der Weltkrieg ist ausgebrochen. Und in ihm vollzieht sich der große

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