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Tacchi -Venturi

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Rom, Mai 1956

Es war an einem Apriltag vor dreißig Jahren. Ich hatte mich im Jesuitenkloster „AI Gesu“ in Rom eines Aultrages zu entledigen und wartete seit einer halben Stunde. Der Warteraum war bereits voll, aber immer kamen noch Besucher und jeder sagte dem Pförtner die gleichen Worte: „Prego il Padre Tacchi-Venturi“. Da trat er aus dem Sprechzimmer heraus, ein Mann in der Mitte der Sechziger, eher klein, beweglich, mit scharfen, forschenden Augen, und trat auf den nächsten zu: „E Lei?“ (Und Sie?) Später, als ich mich zu den Freunden P. Tacchis rechnen durfte, habe ich dieses fragende „E Lei?“ noch oft gehört. Wer immer kam, eine zerlumpte Gestalt oder der Herr im Luxuspelz, die Anrede war stets: Und Sie? Und es sprachen täglich Dutzende Personen vor, meist klopfenden Herzens, denn sie wußten, wenn P. Tacchi ablehnte, sich für sie zu verwenden — und er vertrat nur eine Sache, die er für unbedingt berücksichtigungswürdig hielt, meist ganz verzweifelte Fälle —, war jede Hoffnung aufzugeben. Hatte er aber die Gedenkschrift oder das Gesuch übernommen, so wußte man seine Sache in den besten Händen.

Nach den Besuchsstunden wartete bereits ein Wagen, den ein Wohltäter dem alten Manne besitz war, zur Vervollständigung seiner eigenen Sammlungen zu erwerben, und Staatssekretär Gasparri hatte Tacchi ersucht, die Gelegenheit wahrzunehmen, um Mussolini zum Verkauf zu bewegen. Mussolini, der glänzender Laune war, sagte sofort zu. Dann aber fügte er hinzu: „Ja, aber Padre, ich tue es nicht umsonst, denn auch ich habe eine Bitte.“ Lind nun bat er den kleinen Pater, Gasparri um Einsichtnahme in Akten zu ersuchen, die für die Staatsverwaltung von Bedeutung waren. So wurde es Gepflogenheit auf beiden Seiten, wenn irgendwo im Räderwerk ein Hemmnis auftrat, Tacchi zu bitten, bei der Gegenseite anzupochen. Es blieb nicht lange verborgen, daß es einen Mann gab, den Mussolini häufig zu sich berief. Es regnete Bittschriften von allen Seiten. Die Nachricht wurde maßlos aufgebauscht, sehr zugunsten der Schützlinge Tacchis, denn die kleinen Faschistenhäuptlinge der ganzen Halbinsel hüteten sich, die Eingaben Tacchis in den Papierkorb zu werfen. Man konnte nie wissen, ob dieser Jesuitenpater die Sathe nicht vor den Duce bringt! Tatsächlich hat Mussolini, der ja selbst Tacchis Dienste zuweilen in Anspruch nahm, ihm selten eine Bitte versagt. Er wußte, daß es bei Tacchi keine andere Protektion gab als das Elend. Gewöhnlich genügte ein Besuch Tacchis beim Ressortminister oder ein Billett an einen Provinzgewaltigen, um in wenigen Tagen eine günstige Erledigung zu erhalten.

Nicht nur Italiener haben sich an Tacchi gewendet. Oft waren es Deutsche und Oesterreicher, denen es gelungen war, aus dem nationalsozialistischen Paradiese zu fliehen, und die dann Tacchi in irgendeiner Gemeinde unter dem Schutze eines ihm gefälligen Präfekten „kon-finieren“ ließ.

Tacchis Tätigkeit hat sich nicht nur auf diese Kleinarbeit beschränkt. Gar häufig gab es für ihn Gelegenheit, bei Konflikten zwischen Kirche und seinem Lande einzugreifen. Da Mussolini wußte, daß Tacchi Patriot — allerdings nicht Faschist — war, hat er ihm nicht selten sein Ohr geliehen. Wohl entsprach die viel verbreitete Nachricht, Tacchi sei einer der Hauptaktoren beim Abschluß der Lateranverträge gewesen, nicht den Tatsachen, er hat aber schon Jahre vorher durch seine vermittelnde Tätigkeit diese Verträge vorbereitet. Entscheidend war seine Vermittlung, als im Jahre 1931 Faschisten gegen die katholischen Jugendorganisationen vorgingen. Bereits hatten einige Hitzköpfe Heimstätten der Katholischen Aktion gestürmt und verwüstet und Papst Pius XI. war tief verletzt. Da griff Tacchi ein, und in wochenlangen Verhandlungen gelang es ihm, einen modus vivendi zu ermitteln und die drohende Kündigung der Lateranverträge zu verhüten.

Nach Abschluß des sogenannten Stahlpaktes zwischen Hitler-Deutschland und Italien begann der Einfluß Tacchis auf Mussolini zu schwinden. Die Nationalsozialisten taten alles, ihn kalt zu stellen. „Es ist nichts mehr zu erreichen, die Deutschen sind bei uns zu mächtig geworden“, klagte er mir zu jenen Zeiten. Nur dort, wo Tacchi einen ihm sehr ergebenen Mann wußte, gelang es ihm zu jener Zeit noch, für seine Schützlinge etwas zu erreichen.

So groß das Ansehen Tacchis bei Mussolini gewesen war, genügte es dennoch nicht, den Duce zum Leben nach seinem Glauben zu bewegen. Zweimal brachte der Duce selbst das Gespräch auf das Glaubensthema, beide Male versuchte Tacchi, ihn zu einer anderen Auffassung seiner Religion zu bewegen.

Die Tätigkeit Tacchis zwischen den Jahren 1923 und 1940 als Schutzengel Italiens und als inoffizieller Vermittler zwischen Heiligem Stuhl und italienischer Regierung war aber nur eine Unterbrechung in seinem eigentlichen Berufe, eine Zäsur, die er willig auf Wunsch seiner Oberen übernahm und die sicherlich auch ganz seiner Menschen- und Vaterlandsliebe entsprach. P. Tacchi war als Geschichtsforscher ein Fachmann von internationalem Ruf. Sein Lieblingsgebiet war das XVl. Jahrhundert und dessen große Persönlichkeiten; seine Biographien des Kardinals Bellarmin und des unerschrockenen Jesuitenpaters Matteo Ricci, aus dessen Feder die beste Beschreibung Chinas auf uns gelangt ist, sind Werke, die jedem Forscher jener Zeit bekannt sind. Sein Hauptwerk war die mehrbändige „Geschichte der Jesuiten in Italien“, dessen Quellenstudien ihn buchstäblich während seines ganzen langen Lebens beschäftigt haben. Im Jahre 1932 hielt er sich mehrere Monate auch in Wien auf, um in Archiven, insbesondere im Archiv des Unterrichtsministeriums Studien zu treiben; aus der damaligen Zeit datierte seine Freundschaft mit österreichischen Forschern. Zahlreiche Artikel erschienen von ihm auch in der „Civiltä Cattolica“. Er war auch Mitarbeiter der monumentalen „Enciclopedia Treccani“ (dem italienischen „Brockhaus“).

Nach dem Jahre 1940 wurde es still um P. Tacchi, sehr zu seiner Freude, da er sich nun endlich wieder seiner geliebten Forschertätigkeit widmen durfte. Vor drei Jahren, im Alter von 92 Jahren, beendete er einen neuen Band seiner „Geschichte der Jesuiten in Italien“. „Pater, wäre es nicht an der Zeit, sich auszuruhen“, frug ich ihn damals. „Sobald der Band herausgekommen ist, ruhe ich mich aus“, war sein Bescheid. Zwei Monate später traf ich ihn wieder beim Studium von Urkunden aus seinem geliebten XVI. Jahrhundert (ohne Brille!) „Aber Pater, Sie versprachen ja, sich nunmehr auszuruhen“, hielt ich ihm vor. „Ich arbeite ja nicht, ich studiere nur Urkunden“, war sein Bescheid. Nun ruht dieser große Geist, der Unzähligen ein Retter aus bitterster Not, seinem Vaterlande ein Schutzengel, der Wissenschaft eine Leuchte war.

DAS .TSEVE BUCH

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Um P. Tacchi hatte sich ein Nimbus gebildet, der durch neue Nachrichten stets wieder genährt und in ganz Italien verbreitet wurde: „Er ist der Vertraute des Duce, der Mann, der Mussolini in jeder schwierigen Lage berät“, wußten die einen; andere wußten es besser: „Der Beichtvater des Duce“. Und doch war alles nur Legende.

Es war im Jahre 1923. Tacchi, ein namhafter Geschichtsforscher, hatte dem Duce ein Werk über Rom überreicht. Mussolini, dem nichts über seine Hauptstadt, die er wieder zur Hauptstadt der Welt machen wollte, ging, hatte das Werk mit Interesse entgegengenommen. Da brachte Tacchi eine Bitte vor: Der Vatikan hatte sich bemüht, die Chigi-Bibliothek, die damals Staats-

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