6815114-1973_04_06.jpg
Digital In Arbeit

Der Duce ist jetzt hinter den Kulissen

Werbung
Werbung
Werbung

Wer dem zehnten Kongreß des nationalen Rechtsblockes beiwohnte, konnte kaum begreifen, daß es sich dabei um eine Tagung der italienischen Faschisten handielte. Während die Versammlungen der „italienischen Sozialbewegung“ (Deckname für neofaschistische Partei) früher immer zu erkennen gaben, wessen Geistes Kind sie sind, fehlen jetzt die Merkmale der Vergangenheit fast vollständig. Parteiführer Almirante sprach die tausenddreihundert Delegierten aus allen Teilen der Halbinsel nicht mehr als „camerate“ (Kameraden) an wie Mussolini in den gloriosen Tagen des zwanzigjährigen Regimes die Versammlungen zu eröffnen pflegte, sondern verwendete — diskret — das unverbindliche „Meine sehr verehrten Damen und Herren“. „Auch Kommunisten und Linkssozialisten sind bei uns verbürgerlicht, doch nicht so weit, daß sie aufgehört haben, sich als Genossen zu bezeichnen“, flüsterte ein politischer Beobachter in der Runde anwesender Journalisten. „Zehn Prozent einer Bevölkerung verstecken sich leichter in einem Walde als deren vierzig“, gab ein anderer zu bedenken. Es war die Anspielung auf die Tatsache, daß die neofaschistische Bewegung lediglich jeden zehnten Stimmbürger für sich buchen kann, während es bei den linksextremen Parteien volle zwei Fünftel sind.

Hieß es noch 1970, vor dem Zusammenschluß der neofaschistischen und monarchistischen Bewegung zum sogenannten nationalen Rechtsblock, „entweder stehen wir beim nächsten Parteikongreß kurz vor der Machtergreifung oder auf den Barrikaden“, so lautet das Spruchband im großen Saal und vor dem Kongreßgebäude auf dem Weltausstellungsgelände viel bescheidener und kaum anstoßerregend: „Wir haben uns verbündet — Italiener, verbündet euch mit uns.“ Um es den Landsleuten leichter zu machen, sich dem nationalen Rechtsblock anzuschließen, leugnet Almirante jegliche Abhängigkeit seiner Partei von Mussolinis faschistischer Bewegung. Statt einer bombastischen Rhetorik ä la Duce befleißigt er sich eines verhatenen Tonfalls. Er appelliert mehr an Vernunft und Moral als an die Gefühle und das Herz seiner Zuhörer.

Der römische Gruß ist jetzt tabu, und wer sich trotzdem als Altfaschist zu erkennen geben möchte, muß es im Verstohlenen tun. Zweifellos sind die Heimwehkranken des Faschismus, die von der Renaissance-Herrschaft eines Duce träumen und es am liebsten sähen, Mussolini selber würde wieder aus dem Grabe steigen, in der neofaschistischen Bewegung der siebziger Jahre in die Minderheit geraten.

Die meisten politischen Beobachter vertreten allerdings den Standpunkt, daß sich Alt- und Neufaschisten viel näher stehen als es nach außenhin den Anschein hat. Beide verbindet die gleiche Zielsetzung: Einführung des Präsidialstaates ä la Frankreichs Fünfter Republik, d. h. einer Uberwindung einer parlamentarischen Demokratie, die alle paar Monate zu Regierungskrisen führt, die das Land, besonders seine Wirtschaft, lahmzulegen pflegen. Ferner befürworten beide Richtungen der „italienischen Sozialbewegung“ die Abschaffung der Gewerkschaften,

Eindämmung jener Freiheitsrechte, die dem nationalen Anliegen Abbruch tun und Einführung eines Korporationsstaates, wie er bereits Mussolini vorschwebte. Während jedoch Almirante glaubt, diese Ziele auf diplomatisch-geschmeidige Art erreichen zu können, indem er Mussolini gleichsam hinter die Kulissen verbannt, neigen die älteren Kaliber, welche 27 Jahre nach seinem Tod noch immer von Mussolinis Vorbild gebannt sind, der zur „offenen und ehrlichen Verherrlichung“ einer Vergangenheit, die für die meisten Italiener alles andere als herrlich gewesen ist, aber für sie in der idealistischen Verklärung einer nicht mehr exakten Erinnerung herrliche Züge tragen kann.

Daß Zehntausende mit großen Aufmärschen und Protestversammlungen aller Art in Rom und anderen Städten Italiens gegen die Abhaltung des Parteikongresses der italienischen Sozialbewegung protestierten, zeigt jedenfalls, wie wenig ein beachtlicher Teil der Linksparteien Italiens an die Saulus-Paulus-Verwandlung der Almirante-Partei glaubt und wie sehr er auf der Hut ist vor einem Comeback eines nicht mit offenen Karten spielenden, aber zum Staatsstreich entschlossenen Faschismus.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung