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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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WILLKOMMENER BESUCH. Es wird kaum ain Zufall gewesen sein, der den afghanischen Minisierpräsidenfen veranlagt haf, auf seiner Reise durch das freie Europa eine offizielle Visite allein in Oesterreich abzustatfen. Die afghanische Regierung isf dabei, großangelegte Projekte in die Tat umzusetzen, um den potentiellen Reichtum ihres heute noch bedrückend armen Landes zu erschließen. Ein Staatsgebiet, größer als das Fraifkreichs, besitzt keine Eisenbahnen, nur wenige gut befahrbare Straßen, so gut wie keine Industrie nach modernen Begriffen; es fehlt an Bewässerungsanlagen und elektrischen Kraftwerken, und die Ausbeutung der vielfältigen Mineralschätze, deren Bestandsaufnahme jetzt durchgeführl wird, ist noch kaum in Angriff genommen. Dazu kommt die bedenkliche Höhe der schon jetzt, das Zehnfache der jährlichen Staatseinnahmen betragenden Verschuldung an dte UdSSR, der . bisher.- einzigen Macht, die sich bereit gefunden hat, Afghanistan großzügige finanzielle Hilfe zu leisten und weitere Mittel für die Durchführung der afghanischen Wirtschaffspläne zur Verfügung zu stellen. Der Gefahr, die aus dieser einseitigen finanziellen Bindung für die politische Unabhängigkeit des Landes entstehen kann, isf man sich in Kabul freilich sehr bewußt, und dies kann mlt- besfimmend gewesen sein für den Entschluß des afghanischen Regierungschefs, die Hauptstadt eines europäischen Staates zu besuchen, der zwar gewiß nicht als Geldquelle In Betracht kommen kann, der aber Im Auf- und Ausbau einer durch Krieg und langjährige fremde Besetzung gebrandsehatzten Wirtschaft Beispielgebendes geleistet haf, ohne seine Unabhängigkeit, trotz einer geopolitisch äußerst exponierten Lage, zu kompromittieren. Man darf hoffen, daß der afghanische Staatsmann nicht nur mit persönlich befriedigenden Eindrücken von Wien in seine ferne Heimat zurückgekehrf ist, sondern auch mit neuen Erkenntnissen und Erfahrungen, die sich bei der Bewältigung der großen Aufgaben, die er sich gestellt hat, als nützlich erweisen. Die besten Wünsche Oesterreichs für den Erfolg seiner Bemühungen um die Wohlfahrt und die Sicherheit des tapferen afghanischen Volkes sind ihm gewiß.

VOR DEM SCHWURGERICHT DES LANDESGERICHTES I in München rollt ein Prozeß ab, der die Hintergründe der „deutschen Bartholomäusnacht” vom 30. Juni 1934 enthüllen,,soll. Damals standen Nationalsozialisten gegen Nationalsozialisten; die Gruppe um Hitler liquidierte die Gruppe um SA-Sfabschef Ernst Rohm. Zwei weißhaarige Männer, mit Durchschnittsgesichtern, ihres Zeichens Holzhändler Und Wäschereibesitzer, einstmals große Herren in der Hierarchie des Un- rechtsstaates, Josef (Sepp) Dietrich und Michael Lippert, stehen deshalb wegen sechsfacher Beihilfe bzw. wegen einfacher Beihilfe zum Totschlag nach 23 Johren vor Ihren Richtern. Der sich noch immer als biederer Rabauke gebende Sepp Dietrich, der vom Gelegenheitsarbeiter zum SS-Generaloberst und Armeeführer aufgestiegen war, hat nach der Art seiner Aussage zu schließen, diese hohe Stellung gewiß nicht infolge hoher Geistesgaben (im Gegensatz etwa zum Schneidergesellen und späteren brandenburgischen Generalfeldmarschall Georg Derfflinger) erklommen. Als ihm da sein Verteidiger die prozeßentscheidende Präge stellte, war der als militärisch schonungslos berüchtigte Dietrich nicht in der Lage, das zu wiederholen, was ihm geradezu in den Mund gelegt wurde: „Waren Sie der Meinung, daß am 30. Juni 1934 eine akute Gefahr für den Staat bestand und daß diese Gefahr andauerte, als Sie den Führerbefehl ausführfen, der auf die Erschießung der sechs SA-Führer lautete?” Er hätte nur „ja” sagen müssen, verlor sich aber In einem hilflosen Gestammel, und der Vorsitzende stellte ironisch fest: „Er hat immer noch nicht begriffen, Herr Rechtsanwalt!” Der Prozeß, in dessen Verlauf eine Reihe ehemaliger NS-Größen aufmarschierte, dürfte kaum die volle Wahrheit jenes Kapitalverbrechens an den Tag bringen, da die Hauptschuldigen: Hitler, Himmler, Göring, Heydrich und Goebbels der irdischen Gerechtigkeit entzogen sind. Mag sich auch das Schuldkonfo dieser Männer weiter füllen, so gehört die Sympathie keinesfalls den von ihnen Ermordeten. Es war nur eine blutige Familienfehde, oder wie man es in historischer Sicht zu sagen pflegt: Die Revolution hat ihre eigenen Kinder gefressen, :— doch das Unheil nahm seinen weiteren Verlaut.

WAS NUNI Allgemem wird das Verhalten des Parfeichefs der Sozialdemokraten, Giuseppe Saragat, der als Alleinverantworflicher für die ilaliensche Regierungskrise gili, verurteilt. Eine gewisse Zurückhaltung bekundet die christlichdemokratische Presse. Auch der Parteiführer Fanfani enthält sich jeglicher Kritik. Solange die ungünstigen Mehrheifsverhältnisse im Parlament die aktive Unterstützung der 19-Mann-Gruppe der Sozialdemokraten unentbehrlich machen, besteht aller Grund, sich deren Mitarbeit innerhalb und außerhalb des neu zu bildenden Kabinetts zu sichern. Schon hat Fantani erklärt, er halte trotz aller von links und rechts kommenden Anwürfe an der früheren Regierungsformel der vier Parteien (Christliche Demokraten, Sozialdemokraten, Liberale, Republikaner) fest, die sich gerade in den 22 Monaten der Regierung Segni bewährt habe. Insofern hat diese Feststellung im gegenwärtigen Augenblick ihre sehr triftige Berechtigung, als, wie die Neuwahlen in zahlreichen Städten zeigen, sowohl die Christlichen Demokraten durch Zuzug von links wie die Liberalen durch Zuzug von rechts, zum Teil erheblichen Zuwachs erfahren. • Die demokratischen Mittelparteien als Grundstock für die künftigen Regierungen nach den 1958 abzuhaltenden Wahlen scheinen also auch moralisch berechtigt zu sein, die politischen Zügel in der Hand zu behalten. Wenn, wie zu erwarten, der seit langem feststellbare Trend von den extremen Parteien zur Mitte sich fortsefzt, so isf sogar mit der Erringung der absoluten Mehrheit durch die christlich-demokratische Partei zu rechnen (wie schon einmal nach den Wahlen von 1948). Auch wenn es dann nicht zur sozialistischen Einigung in demokratischem Sinne, also losgelöst vom Kommunismus, käme, wäre eine von allen Extremismen freibleibende Mehrheit gesichert. Die Besprechungen mit dem Staatschef über die neue Regierung sind im Fluß. Drei Lösungen scheinen sich anzubieten: 1. ein Kabinėti aus den bisherigen drei Parteien (ohne die fünf Republikaner) mit neuen Männern, das aber mitunter auf die Duldung der Nenni- Sozialisten angewiesen sein würde; 2, die genannte Vierparfeiengruppe, unter Wiedereinbeziehung der Republikaner, die aber im Augenblick keine Neigung zeigen, ihre ohnehin bescheidenen Wahlaussichten durch Teilnahme an einer „Liquidationsregierung” zu verschlechtern; 3. ein „einfarbiges” Kabinėti, nur aus Chrisilichen Demokraten bestehend. Für diese Lösung aber zeigen die Betroffenen am wenigsten Neigung, Denn ihre heute sehr guten Wahlchancen würden infolge der Notwendigkeit zeitweiliger Slimmenhilfe durch die extremen Parteien links und rechts Einbuße erleiden.

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