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„Delirium gegen die Demokratie“

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Aus allen Teilen der Apenninen- halbinsel, Siziliens und Sardiniens strömten kürzlich 500 Jungfaschisten nach Pescara an der Adria, um sich auf Kosten der Neofaschistischen Partei Italiens während einer Woche im Konferenzsaal eines Luxushotels einem politischen Schulungskurs zu unterziehen. Lehrmeister waren die betagten Parteiführer, die noch die „gute alte Zeit“ unter Mussolini aus eigener Erfahrung kennen, ein Ramualdi, de Marzio, Robert — allesamt mehr oder minder getreue Ebenbilder des toten Duce, die auch durch ihren bombastischen Rede- und Gebärdenstil verraten, daß Mussolinis Geist noch unter ihnen weilt. In den anschließenden Debatten legten einige Jungfaschisten eine Beredsamkeit an den Tag, die bei der linkskontrastären Jugend Italiens eher verpönt ist, während andere, dem falschen Zeitgeist folgend, versuchten, mehr an die Vernunft denn an Gefühle zu appellieren.

Beide — Alt- und Jungfaschisten — übten sich darin, nur von der Vergangenheit und einer Restaurierung der Duce-Herrschaft zu träumen. Der Blidc zurück soll dem Blick nach vorne dienen. Nach 1922, besonders aber nach dem Achsenpakt mit Hitler von 1935, hat Mussolini ihrer Ansicht nach viele Fehler begangen, die bloßgestellt und korrigiert werden sollten. Daß Mussolini jedoch dem korrupten demokratischen System den Todesstoß versetzte und am 28. Oktober 1922 durch den Marsch auf Rom die Macht an sich riß, war nach Ansicht der rechtsextremistischen Teilnehmer der Tagung ebenso richtig wie des Duce Ansichten über die Bildung des Genossenschaftsstaates und die Beteiligung jeden einzelnen Bürgers daran. Sätze von der Art: „Der demokratische Staat liegt einmal mehr im Sterben!“, „Die Politik der Linken ist am Ende ihres Lateins!“ und „Das System gegen seine eigenen Kinder!“ ernteten langanhaltende Beifallsstürme. Die banale Bemerkung „Es gibt keine Demokratie außer jener, die es gibt“ löste geradezu ein Delirium aus. Redner und Zuhörer sind ein Herz und eine Seele im Gedanken, daß die bestehende demokratische Staatsordnung nicht gleichsam aus sich selbst heraus erneuert und verbessert werden könne, sondern daß sie mit dem Stimmzettel oder mit Gewalt — auf möglichst unblutige, aber notfalls auch auf blutige Weise — überwunden und zerstört werden müsse, um der geliebten Nation eine Renaissance zu bescheren. Daß diese neo- faschistische Zielsetzung, manchmal sogar dem Wortlaut nach, mit den

Ambitionen der Linksextremen marxistisch-leninistischer, stalinistischer oder maoistischer Richtung zusammenfällt, versteht sich von selbst.

Staatsstreich in greifbarer Nähe

Die Absage der Faschisten an die Demokratie und ihre Vorstellung von der Unfähigkeit der bestehenden Ordnung, aus sich selbst heraus verbessert werden zu können, ist erstaunlich, wenn in Rechnung gestellt wird, daß sie gerade jetzt allen Grund hätten, dem Parteienregime wieder mehr Vertrauen zu schenken. Nach ihrem Wahlerfolg vom 13. Juni — Stimmengewinne bis zu 100 Prozent, die hauptsächlich auf Kosten der Democrazia Cristiana erzielt wurden — sah sich bekanntlich der christlichdemokratische Generalsekretär Forlani genötigt, mittels Durchsetzung seiner Quorumspolitik Linksströmungen innerhalb seiner Partei Schachmatt zu setzen und sie wiederum mehr dem Zentrum, ja sogar der politischen Rechten zu nähern, um nicht früher oder später bei anderen wichtigen Urnengängen vom bürgerlichen Elektorat und rechtsstehenden Bewegungen im Stich gelassen zu werden. Solche Kehrtwendungen von halblinks nach halbrechts schmeicheln den Neofaschisten, doch sehen sie sich keineswegs veranlaßt, ihrerseits die Hand zum Bunde auszustrecken, wie es vor elf Jahren unter Michelinis Leitung bei der Bildung der rechtsstehenden christlich-demokratisch-neofaschistischen Regierung Tambroni geschehen war. Die jüngsten Anhänger Mussolinis sind überzeugt, daß die Zukunft ihnen, nur ihnen, gehöre und daß sie bei den nächsten Parlamentswahlen 1973 oder, wenn vorverlegt, bereits 1972, statt der bisherigen 1,4 Millionen 3 oder gar 4 Millionen Stimmen oder, als Folge einer eigentlichen Wirtschaftskrise, einen noch gewichtigeren Anteil des Volkes hinter sich scharen werden. Die optimistischsten der optimistischen Neofaschisten hoffen bereits im nächsten Herbst, gleichsam als Geschenk zur 50. Wiederkehr des „Marsches auf Rom“, auf unblutige Weise, wie am 28. Oktober 1922, wieder an die Macht zu gelangen.

Zeigen die demokratischen Parteien spätestens 1973, nach einem weiteren neofaschistischen Wahlerfolg, keine Bereitschaft, der sogenannten „Sozialbewegung“ bedeutende Konzessionen zu machen, dann könnten sich die Rechtsextremen in eine Art legitime Notwehrsituation versetzt fühlen, die sie berechtigt, die ganze Macht für sich zu beanspruchen. Daß die Privatwirtschaft sie dann so wenig im Stich läßt, wie vor 50 Jahren, ist den Neofaschisten, doch vorderhand nur ihnen, eine Selbstverständlichkeit. Im Blick nach vorne, zur Rückkehr besserer Tage, trainieren mittlerweile Rechtsextreme — nicht nur Jungfaschisten in Pescara — den politischen Geist ebenso wie den eigenen Körper. Man übt für später…

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