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Walter Rauschers exemplarischer Vergleich zweier Systeme.

Wie standen Adolf Hitler und Benito Mussolini zueinander? Ein faszinierendes Thema. Walter Rauscher, Biograph Renners und Hindenburgs, bietet allerdings nicht die Geschichte einer Beziehung, sondern weniger und zugleich mehr. Nämlich die parallele Darstellung zweier Führerstaaten und ihrer Diktatoren, die er an ihren Berührungspunkten in Beziehung setzt und miteinander verknüpft.

Das bedingt eine gewaltige Materialfülle, aus der man die Beziehunsgeschichte herauschälen darf. Es steht dafür. Wer Rauscher gelesen hat, wird nicht mehr Nationalsozialismus mit Faschismus gleichsetzen. Die Betonung seiner geringeren inhumanen Virulenz bedeutet keine Verharmlosung des Faschismus, sondern ein Mehr an historischer Genauigkeit.

Der junge Mussolini neigte zur Gewalttätigkeit und griff mehr als einmal zum Messer. Beim Aufstieg zum Chefredakteur des sozialistischen Parteiorgans "Avanti!", den der um sechs Jahre Ältere beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges bereits geschafft hatte, spielte theoretisches Denken keine Rolle, um so mehr sein Machismus, seine aggressive Durchsetzungsfähigkeit, seine zur Schau getragene Radikalität. Er war ein Zyniker und ein Verbalradikaler. Der Schwenk ins nationale Lager im Ersten Weltkrieg bereitete ihm kein Problem.

Mussolinis Furcht vor Gespenstern war ebenso notorisch wie seine Ungeschliffenheit, seine Angeberei, sein Opportunismus. Hätte ihn Hitler nicht in den Krieg, den er ursprünglich nicht wollte, hineingerissen, hätte der italienische Diktator gute Chancen gehabt, wie Franco als betagter "Duce" zu sterben. Zumal er sich, alles andere als katholisch, mit dem Vatikan gut gestellt hatte. Kardinal Gasparri fand, "dass es in ganz Italien keinen Mann gab, der Mussolini zu ersetzen vermochte, und dass sein Abgang das Land in die Gräuel eines Bürgerkrieges stürzen würde."

Italiens Bürgerliche machten es ihm noch leichter als die deutschen Hitler. Es war ein Augenblick der Wahrheit, in dem sich die Schwäche der Faschisten zeigte, als am 21. Juli 1921 bei Sarzana elf Carabinieri genügten, um 500 Schwarzhemden in die Flucht zu schlagen, die einige Spießgesellen aus dem Gefängnis befreien wollten. Aber in Italien wie in Deutschland sahen viele, die national und antisozialistisch dachten, in Mussolini einen Verbündeten gegen die Linke und die Gewerkschaften.

Hitler sah in ihm ein Vorbild und einen Rivalen. Möglich, dass er auch von seinen Schnitzern auf Auslandsreisen gelernt und unter anderem deshalb außer in Italien keine Staatsbesuche gemacht hat. 1922 in Lausanne hatte der Italiener, unter anderen bei Hemingway, den Eindruck eines ungeschliffenen, zweitklassigen Filmschauspielers hinterlassen, wenig später sich mit seiner Mischung von Unbeholfenheit und rüder Selbstdarstellung in London unmöglich gemacht.

Wie Hitler spielte auch Mussolini seine Mitarbeiter gegeneinander aus, vertrug nicht die geringste Kritik, hörte auf keinen Rat, verlangte totale Unterwerfung. Doch während Hitler seine mörderischen Pläne mit Konsequenz verfolgte, stellte, meint Rauscher, "das Italien Mussolinis ... im Vergleich zu seinem linksextremen Pendant in der Sowjetunion zweifellos eine gemäßigte Variante des Totalitarimsus dar. ... In ihren Unterdrückungs- und Vernichtungsmethoden ganzer Bevölkerungsteile waren sich das Dritte Reich und die UdSSR viel ähnlicher als Hitler-Deutschland mit dem Italien Mussolinis." Trotz aller Unterschiede zwischen NS-Staat und Sowjetunion, wie man hinzufügen muss.

Hitler wie Mussolini wurde ein dämonischer Charme nachgesagt, dessen sich beide bewusst waren, und eine Anziehungskraft, mit der sie auch auf einander wirkten. Freundschaft, meint Rauscher, habe eher Hitler für Mussolini empfunden als umgekehrt. Dafür war Mussolini in Hitlers Gegenwart hilflos. Über den abwesenden "Führer" äußerte er sich kritisch, doch dessen Monologe zu unterbrechen oder gar ihm zu widersprechen wagte er nie. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht schwankte Mussolini zwischen Einsicht in die Gefährlichkeit des Kriegsabenteuers und Neid auf Hitlers Erfolge. Mit geradezu rührenden Briefen versuchte er 1939 Hitler vom Angriff auf Polen abzuhalten, spielte möglicherweise sogar mit dem Gedanken an einen Frontwechsel, doch die Angst, beim Rennen um die Beute zu spät zu kommen, war stärker. "Beinahe bewusstseinsgespalten fürchtete er gleichermaßen eine Niederlage wie einen leichten Sieg Hitler-Deutschlands." Nach der Niederwerfung Polens durch die deutsche Wehrmacht suchte er Hitler mit einem Brief vom West-Feldzug abzuhalten: "Verlohnt es jetzt ... alles, einschließlich des Regimes, aufs Spiel zu setzen und die Blüte des deutschen Volkes zu opfern, um den Fall einer Frucht vorwegzunehmen, die schicksalsnotwendig fallen muss und die wir ... sowieso ernten werden?"

Mussolini besaß wahrscheinlich weniger Wissen als der halbgebildete Autodidakt Hitler. Dafür mehr Weitblick und weniger irrationalen Haß. In seinen hellen Momenten hat er erkannt, auf welchen Wahnwitz er sich einließ. Als er von den Massenmorden in Polen erfuhr, war er empört und befahl die unbürokratische Ausstellung von Visa für polnische Juden. Der Faschismus war schrecklich, doch zwischen ihm und dem Nazismus liegen Abgründe. Dies wären einige Aspekte einer herausragenden zeitgeschichtlichen Neuerscheinung.

HITLER UND MUSSOLINI. Macht, Krieg und Terror.

Von Walter Rauscher

Styria / F. Pustet Verlag, Graz 2001

648 Seiten, geb., Fotos, öS 569,-/e 41,35

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