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War Hitler gar kein Judenhasser?

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Als der junge Hitler Wien verließ und nach München zog, fuhr er nicht allein. Er war, so Karl Hönisch, ein häufig zitierter Männer-heimkollege aus der Meldemannstraße, „in Begleitung eines Kameraden, der ebenfalls nach Deutschland .auswanderte; sein Name ist mir entfallen”. Hönisch stärkte gern seine Stellung als Auskunftsperson, indem ihm die Namen anderer, die Hitler gleichzeitig mit ihm gekannt hatten, grundsätzlich nicht einfielen. Der Reisebegleiter hieß Rudolf Häusler und war um vier Jahre jünger. Er wohnte ebenfalls mit Hitler im Männerheim und die Freundschaft war so eng, daß sie nach der Ankunft in München acht Monate lang ein windiges Untermietzimmer teilten.

Gründlicher als das Leben Hitlers wurde im 20. Jahrhundert wohl das keines Menschen durchleuchtet. Sollte man meinen. Tatsächlich lebte Häusler bis 1973 und stand mit seinem vollen Na- ——>> men im Wiener Telephonbuch, ohne daß sich je ein Historiker für ihn interessierte.

Seit dem Erscheinen ihres

Buches „Hitlers Wien” kann man sich nur noch erschüttert fragen, wie es möglich war, daß Hitlers Wiener Jahre derartig schludrig erforscht wurden, wie es offenbar der Fall war. Wie es möglich war, daß ein Historiker vom anderen ungeprüfte Fakten übernahm und ums Haar ein völlig falsches Bild des jungen Hitler verewigt worden wäre.

Freilich vertrug sich dieses Bild mit den Bedürfnissen der Nachkriegsgesellschaft besser als jenes, das nun zum Vorschein kommt. Der übersehene Rudolf Häusler, berichtet seine Tochter, habe auf den Antisemitismus des „Führers” ratlos regiert, „in Wien hätte er gar nichts dergleichen bemerkt”. Auch Reinhold Hanisch, der im überfüllten Meidlinger Asyl den zwanzigjährigen Pritschennachbarn Hitler unter seine Fittiche nahm, zum Malen von Postkarten animierte und die Postkarten verkaufte, selbst „ein deutlicher Antisemit” (Hamann), reagiert fassungslos, „als er in den dreißiger Jahren von H. ausgerechnet als extremem antisemitischen Politiker hört. Denn immerhin zerstritten sich Hanisch und H. 1910 im Männerheim, weil sich H. ganz seinen jüdischen Freunden Josef Neumann und Siegfried Löffner zuwandte.” (Brigitte Hamann nennt Hitler durchgehend nur „H.”. Um den Dämon zu bannen, wo sie ihn doch entdämonisiert?)

Sie nahm nichts, was über Hitlers Wiener Jahre bekannt war und als gesichert galt, als gegeben hin. Sie überprüfte jedes Detail. Sie gewichtete die Glaubwürdigkeit früherer Biographen und ihrer Quellen neu und kam zu völlig überraschenden Schlüssen. Sie fand auch neues Material - etwa die erhaltenen Wiener Meldezettel Hitlers und seiner Freunde, Männer-heimkollegen und Bekannten.

Ein Teil dieser Details füllt nicht nur kleinere oder größere Lücken, sondern stellt das Bild Hitlers völlig auf den Kopf. Daß er nie Hilfsarbeiter gewesen, nie auf dem Bau gearbeitet haben kann, mag als Auffüllung einer Lücke und Korrektur einer von ihm selbst gepflegten Legende gelten. Ebenfalls, daß er auch kaum in einem Architektenbüro gearbeitet haben dürfte, obwohl man hier Brigitte Hamann nicht unbedingt folgen muß. Max Fabiani, unter anderem der Erbauer der Wiener Urania und des Artaria-Hauses auf dem Kohlmarkt, muß nicht unbedingt angegeben haben, als er behauptete, Hitler nach kurzer Zeit als „zu matt” hinausgeworfen zu haben. Was, auch nach Hamann, über diese Zeit bekannt ist, stützt sich vor allem auf die Berichte des Jugendfreundes August Kubizek, der aber nur einen Teil von Hitlers Tagesablauf mitbekam.

Und die Umgebung in seine Pläne nur bruchstückweise einzuweihen, wurde später ja geradezu ein Teil von Hitlers Führungsstrategie. Sei's drum, dieses Detail ist nicht so wichtig. Daß der junge Hitler in die Welt der Gestrandeten abglitt und selbst dort ein Hilfloser, ein Versager war, wird überzeugend belegt.

Daß sich die Zeitrechnung „vor und nach Hamann” in der Hitlerforschung wohl bald einbürgern wird, liegt an der gigantischen Lücke, die sich „nach Hamann” für die Hitlerforschung auftut und das Bild des jungen Hitler gründlich verändert:

................ Wann, wo und warum wurde er nun wirklich zum Antisemiten? In seiner Wiener Zeit of-fenbar nicht. Er war durch und durch Deutschnationaler und fanatischer Wagnerianer, aber die Behauptungen, daß er bereits in Wien Antisemit war, lösen sich in Luft auf. Er hatte jüdische Freunde. Kein Konflikt mit Juden wird faßbar. Als das deutschnationale Wien zum großen Halali auf Gustav Mahler blies und es zu Prügeleien in der Oper kam, stand er auf Mahlers Seite. Die Antisemiten wollten ihren Wagner gekürzt und leicht konsumierbar, Hitler wollte den ganzen Wagner, Mahler machte sich mit Marathon-Wagnerabenden unbeliebt. Für Hitler zählte nur dies. Und zwar positiv.

Es scheint, als wäre er in dieser Hinsicht ein nicht ganz typischer Deutschnationaler gewesen. Denn die Agressivität und Virulenz des Wiener Antisemitismus war gewaltig, und davon nimmt Brigitte Hamann kein Jota weg.

Das Buch endet mit der Übersiedlung nach München. Dort baute nach dem Ersten Weltkrieg Dietrich Eckart Hitler zum Hoffnungsträger der extremen Rechten auf. Eckart hatte die Ausweisung aller Juden aus dem Deutschen Reich und die Todesstrafe für jeden „illegalen” Rückkehrer gefordert. Nachzulesen bei A. Joachims-thaler („Korrektur einer Biographie”, München 1989). Vor Hamann konnte man meinen, Hitler habe in München den letzten antisemitischen Schliff erhalten. Nach Hamann darf man ihn, zu allem anderen, auch für einen Opportunisten halten, der den radikalen Antisemitismus sofort bereitwillig in sein Repertoire aufnahm, als er die Aufstiegschance witterte und sich dem Zeitgeist, oder einem einflußreichen Protektor, anpaßte.

Eine andere, naheliegende Möglichkeit wäre freilich, daß ein fanatischer Deutschnationaler, auch wenn er zunächst kein Judenhasser war und gute Beziehungen zu Juden hatte, gar nicht anders konnte, als sich auch den Antisemitismus zu eigen zu machen, weil dieser ein unverbrüchlicher Bestandteil der deutschnationalen Denkweisen und Lebenshaltungen war. So oder so: Die Konsequenz daraus ist eine Entdämonisierung, doch ganz gewiß keine Verniedlichung Hitlers, keine Verkleinerung seiner Verbrechen.

Die Einflüsse, die tatsächlich in Wien auf Hitler einwirkten, arbeitet Hamann mit großer Deutlichkeit heraus, indem sie rekonstruiert, welche Zeitungen er las oder gelesen haben dürfte, an welchen Ideologen er sich orientierte und was an den Schauplätzen, an denen er sich nachweisbar aufhielt, geschah. Zu seinen Leitbildern gehörte Georg Ritter von Schönerer ebenso wie der zeitweise mit diesem bitter verfeindete Karl Hermann Wolf (siehe die Karikatur auf dieser Seite) oder Georg Lanz, der sich von Liebenfels nennen ließ.

Für das Parlament der damals „im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder” ist das Ergebnis verheerend: Als regelmäßiger Besucher der Zuschauergalerie lernte der junge Hitler, der mit Sympathien für den englischen Parlamentarismus nach Wien gekommen war, das Parlament verachten - die Zustände im durch Obstruktion wochenlang lahmgelegten Haus waren tatsächlich skandalös. Das Kapitel „Das Parlament” ist eines der vielen Glanzlichter des Hamann'schen Werks.

Die Frage nach den Bedingungen, die Auschwitz möglich machten, muß „nach Hamann” schärfer gestellt werden. Die Entdämonisierung Hitlers rückt den antisemitischen Konsens eines wesentlichen Teiles der deutschen und österreichischen Gesellschaft, der den Massenmord ermöglichte, ins Zentrum. Das Buch Hamanns bedeutet, meiner Ansicht: fundierter, seriöser, besser abgesichert, einen Schritt auf Goldhagens Thesen von „Hitlers willigen Vollstreckern” hin. Einen Schritt zu einem Bild Hitlers als willigem Vollstrecker dessen, was viele Deutsche und Österreicher wollten. Nicht „die” - aber eben viele.

So etwas wie Auschwitz wollten vielleicht nur wenige. Die vielen hatten bloß nichts dagegen, daß die Juden verschwanden, weshalb sie es Hitler insgeheim am meisten verübelten, daß er den Krieg verlor und sie empörenderweise in die Lage versetzte, erfahren zu müssen, auf welch unästhetische Weise er die Sache mit den Juden „geregelt” hatte. Er wußte, was so viele wollten (die Juden loswerden, aber nichts genaueres erfahren und möglichst wenig damit zu tun haben, höchstens einmal einen versteckten Juden anzeigen, und das unter dem bitteren Zwang des Gesetzes) und erfüllte ihnen diesen Wunsch -ein wahrer Volkstribun.

Damit aber wandert die Schuld gewaltig in die Breite. Und mir persönlich wird noch übler, wenn ich an Politiker denke, die sich auf einem gewissen Kärntner Berg mit denen solidarisieren, die nichts gelernt haben und gegen eine Ausstellung über die Verbrechen der Deutschen Wehrmacht aufheulen. Diese brauchen tatsächlich den Dämon Hitler. Denn angesichts des obdachlosen Versagers, der in einer antisemitisch aufgeheizten Atmosphäre seine Chance witterte, schrumpft der Dämon aufs menschliche Maß und ihre eigene Unmenschlichkeit wird in voller Lebensgröße sichtbar. Ihnen als Forscher im Alleingang den Sündenbock wegzuziehen, dazu gehört etwas. Brigitte Hamann hat eine gewaltige Leistung vollbracht.

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