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Italiens letzter Condottiere

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Jahrzehnte nach dem gewaltsamen Tod Benito Mussolinis gab seine Witwe Erinnerungen an ihren Mann heraus. Skeptisch greift man nach ihnen. Neigen nicht alle Witwen berühmter Männer dazu, die Seligen in Heilige zu verwandeln? Mussolinis Frau stammte wie er aus armen, kleinen Verhältnissen. Als sie ihren Mann kennenlernte, war er ein Sozialist, Kirchenhasser und Gegner der Monarchie. Als sie ihn heiratete, geschah dies ohne jede Förmlichkeit und auch ohne jeden staatlichen oder kirchlichen Beistand, war es doch für einen italienischen Sozialisten der damaligen Zeit strengstens verpönt, eine Frau auch nur vor einem Standesamt zu heiraten. Mussolinis Frau erlebte den Aufstieg ihres Mannes an die Spitze einer großen Zeitung und dann an die Spitze eines großen Staates. Sie erlebte, wie aus ihrem Benito ein Faschist wurde, der die

Lateranverträge schloß und sich freute, daß ihn sein König besuchte. Sie erlebte, wie Mussolini ihr Zusammenleben durch eine staatliche Eheschließung und schließlich durch eine kirchliche legalisierte. Sie erlebte, wie aus dem ehemaligen glühenden Sozialisten ein ebenso glühender Sozialistenhasser wurde. Sie erlebte, wie aus einem Gegner jeder Macht ein Vertreter einer absoluten Staatsmacht wurde. Sie erlebte, wie aus

einem Mann, der Reichtum haßte und verachtete und am liebsten alle Welt enteignet hätte, ein Verteidiger des Reichtums, ein Liebhaber des Luxus und zu manchen Zeiten sogar ein Snob wurde.

Sie selbst blieb fast immer im Hintergrund und trat nie an das Rampenlicht der Öffentlichkeit. Sie muß eine echte italienische Frau gewesen sein. Eine echte „Mamma“: die ihre Kinder liebte, auf ihren Mann sehr stolz war, unter seinen Seitensprüngen furchtbar litt (und 'Mussolini .muß nach ihren Angaben zahlreiche Frauenaffären gehabt haben), mißtrauisch gegen alle seine Anbeter war und ihn dn der Not nie verließ. In ihren Erinnerungen versucht sie ihren Mann soweit wie möglich zu entlasten. An seinem Unglück waren natürlich alle anderen schuld, der König, die Freimaurer und vor allen Dingen natürlich Hitler, der ganz besonders schlecht in ihren Erinnerungen wegkommt. Daß ihr Mann an seinem Unglück und auch an dem Unglück Italiens und Millionen von Menschen nicht unschuldig war, ist aus ihren Erinnerungen nur ganz ferne zu entnehmen. Verglichen mit Hitler, schneidet Mussolini bei ihr wesentlich besser ab, und wahrscheinlich war er auch objektiv ein nicht so dämonischer Verbrecher wie Hitler .es .gewesen ist. Seine Italieni-tät, das heißt, sein Humanismus, der in jedem Romanen steckt, seine große Liebe zur Familie, dieser großen Schule der Toleranz und der Geduld, verhinderten wahrscheinlich sein Abgleiten in die Dimensionen eines Hitler. Tragisch ist das Kapitel von den letzten Tagen Mussolinis, da es Donna Rachele noch einmal gelingt, ihren Mann telephonisch zu erreichen, und er im Bewußtsein seines Endes von ihr Abschied nimmt. Nyht unbewegt legt der Leser dieses Buch aus der Hand. Ist es doch im Grunde genommen das Zeichen einer großen Liebe und einer großen Treue einer Frau zu ihrem Mann, der wahrscheinlich Italiens letzter Condottiere gewesen ist.

MUSSOLINI OHNE MASKE. Erinnerungen von Rachele Mussolini. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. 216 Seiten, 8 Abbildungen.

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