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Wallfahrt nach Predappio

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Der Marktplatz von Predappio zeigt die stramme Architektur der dreißiger Jahre, auf die Verhältnisse des behäbigen romagnolischen Landstädtchens gebracht. Wie wir dort den Weg nach dem Friedhof von San Cassiano erfragen, wo 'Mussolinis Leichnam - seit dem vergangenen. Sommer und im milden -'Klima-:der 'Regierung Zoli seine letzte Ruhestätte' fand, hinkt eine kleine dicke Frau auf uns zu und zieht ein Bündel Ansichtskarten aus ihrem Busen. „Sie wollen sicher Bilder vom Duce“, flüstert sie. „Hier sind Ansichtskarten vom Friedhof, das ist“ der Sarg und hier sehen Sie den Duce mit seiner Familie: das da ist Donna Rachele, das die Edda. War sie nicht hübsch mit sechzehn Jahren?“ Die Karten gleiten so flink durch ihre Finger wie bei einem geübten Skatspieler. Besorgt wendet die Frau den Blick nach rechts und links. „Eigentlich dürfte ich sie nicht verkaufen. Der Bürgermeister ist nämlich Kommunist. Er will es nicht. Aber es dient einem wohltätigen Zweck: wir wollen mit dem Erlös eine Sektion des Movi-mento Sociale errichten.“

In Mussolinis Geburtsort fehlt der neofaschistischen Bewegung noch ein Parteilokal. Die Frau hat volles Vertrauen zu uns. Und warum auch nicht? Fast alle Fremden, die in diesem sonnenverklärten Winter nach Predappio kommen, sind „Kameraden“ auf der Pilgerfahrt nach den heiligen Stätten des Regimes. Vor dem Friedhof von San Cassiano hält heute nur ein einziger Reiseautobus. Ein Jeep der motorisierten Polizei hat wohlverborgen im Hintergrund geparkt. Die Besucher werden immer seltener, die Saison geht zu Ende.

Willige Männer helfen vom Dach des Autobusses große Kränze herunterheben. Auf einer der Schleifen steht geschrieben: „In unwandelbarer Treue — die Alten Kämpfer des Sabiner Landes.“ Die Reise der alten sabinischen Kämpfer war, wie wir erfahren, nicht ungestört verlaufen. Es hatte einen heiklen Augenblick gegeben, als eine Polizeistreife den Autobus anhielt und nach dem Reiseziel fragte. Aber die Kriegslist eines Mitfahrers, der schon im Abessinienkrieg den „Schwarzen“ manches Schnippchen geschlagen hatte, rettete geistesgegenwärtig das Unternehmen. Er hatte schlagfertig geantwortet, daß die Reise nach dem Grab des heiligen Antonius von Padua ginge. So seien sie durchgerutscht.

Männer und Frauen ordnen sich zum Zuge, die Spitze nimmt die Kränze auf und schlägt den Weg durch die Zypressenallee ein, an deren Ende sich das Mausoleum der Familie Mussolini erhebt, mit den Sarkophagen der Eltern, des Sohnes Bruno, dessen jungverstorbener Gattin. Kränze und Blumengewinde werden an den Marmor gelehnt, der Mussolinis Reste einschließt, die Schleifen sorgsam geordnet, damit die Inschriften deutlich lesbar bleiben. An der Wand der Grabnische hängt das Bild des Duce, die Hand zum Gruße einer unsichtbaren militäri-

schen Abteilung erhoben. Die Sabiner marschieren einer hinter dem anderen an dem Sarkophag vorbei, küssen den kalten Stein, einige bekreuzigen sich, die anderen strecken den Arm zum faschistischen Gruß “aus. Dann treten sie sicht- lieh bewegt zurück. Die Grabkammer ist pri-i va*fef Bödghf'FaVchmerfgruß liHdSehVzhSmd' “ sinT'flur trn erftfietiem' Orte* •vWfeör?.' Republik und Demokratie sind hier drinnen nicht in Gefahr. Die Polizei braucht also nicht einzuschreiten und darf sich draußen sonnen. Es würde ihrem scharfen Auge nicht entgehen, wenn es unter freiem Himmel zu einer Verherrlichung des verflossenen Regimes kommen sollte.

Ein Photograph bietet seine Dienste an und einige Exkämpfer lassen sich vor Mussolinis Sarkophag knipsen.

Die Sabiner kehren nach Predappio zurück, um auch Mussolinis Geburtshaus zu besichtigen. Der graue Steinbau macht einen soliden Eindruck. Später wurden bogenförmige Rampen vorgebaut, um seine Bedeutung hervorzuheben. Die Pilger treten ehrfurchtsvoll in das Geburtszimmer und lassen sich vom Bewohner alles erklären. Es ist Signore Giuseppe Perini, den di£ kommunistische Gemeindeverwaltung gleich nach dem Kriege als Obdachlosen eingewiesen hat. Wir fragen ihn vorwitzig, wie es sich im Geburtshaus eines so berühmten Mannes wohne. „In den ersten Jahren war es kaum auszuhalten“, erklärt er, „die Leute kamen zu jeder Tagesund Nachtstunde, fragten, ob das das Haus Mussolinis sei, und wenn ich ja sagte, spuckten sie auf den Boden. Sogar die Fenster wurden mir eingeschlagen.“ Aber die Sabiner sind nicht gekommen, um zu spucken. Sie betrachten die weißgetünchten Wände, die einfachen Eisenbetten und legen einige Münzen in den Metallteller auf der Kommode. Es liegt bereits ein größerer Geldschein darauf, aber er stammt von Herrn Perini selbst.

Eine kurze Fahrt bringt uns alle nach der Villa Carpena, Wohnsitz der Witwe Mussolinis, Donna Rachele. Die schwarzgekleidete Dame am Gittertor wehrt ab. Donna Rachele fühle sich heute gar nicht wohl und könne niemanden empfangen. Aber als die Besucher die erworbenen Bilder und Ansichtskarten durch das Gitter strecken, wird sie gerührt und erklärt sich bereit, die Autogramme einzuholen. Nach einer Weile öffnet ein Diener das Tor und die Menge strömt in den Garten. Donna Rachele werde sich auf dem Balkon zeigen, verspricht er. Die Türe wird aufgerissen und Donna Rachele erscheint auf dem Balkon, im rosa Schlafrock, lächelnd den Getreuen zuwinkend. In diesem Augenblick bricht das Gefühl durch. „Duce! Duce!“ rufen sie und strecken die Hände hoch. In manchen Augen blinkt die Träne.

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