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„Bürger der zweiten Nationalität“

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Eine Grundschule in Dresden und eine weitere in der Nähe von Pirna tragen seit dem 28. Oktober den Namen Klemens- Gottwald-Sdiule — „zum Beweis für die sich vertiefende Freundschaft zwischen dem deutschen und dem tschechoslowakischen Volk"; ein volkskundlicher Arbeitskreis aus Schülern aller Altersstufen soll sich hier mit der Einübung tschechischer und slowakischer Tänze und Volkslieder, ein historischer Kreis mit der Geschichte Böhmens und dem Lebenslauf des Staatspräsidenten Gottwald beschäftigen. Zugleich wird damit die Erinnerung an die Reise Gottwalds nach Berlin im heurigen Frühjahr wachgehalten, bei der das Prager Staatsoberhaupt als der „große Freund des deutschen Volkes“ gefeiert worden war.

Der Ferienaufenthalt tschechischer Kinder an der Ostsee, das Studium tschechischer Studenten an ostdeutschen Hochschulen, der triumphale Empfang eines tschechischen Soldatenchors in Berlin oder der Erfolg des tschechischen Pavillons auf der Leipziger Herbstmesse —- mit solchen außenpolitischen Erfolgsmeldungen, wie sie den Tschechen seit 1948 in der übrigen Welt versagt geblieben sind, hat die Prager Regierung jene Wendung eingeleitet, die sie auch auf innerpolitischem Gebiet durchzuführen hat. Lange genug hat man in Moskau den „nationalen Abirrungen" zugesehen, die man 1945 gebilligt hatte, für die aber seit 1948 keine Notwendigkeit mehr bestand.

So hat die Reise Gottwalds nach Berlin auch für das Verhältnis der Tschechoslowakei und des tschechischen Volkes zu den heute noch im Lande verbliebenen Deutschen eine Wendung gebracht. Symbolisch dafür sind die Worte, mit denen ein Bergmann den heimkehrenden Präsidenten in Prag begrüßte: er stamme aus Wiesa bei Oberleutensdorf im Brüxer Kohlenrevier und habe sich dort schon seit seiner Jugend überzeugen können, daß nicht ein Deutscher wie der andere ist; es lebten dort viele gute Deutsche ...

Seit Gottwald dieses neue Motto geprägt hat „Es ist nicht ein Deutscher wie der andere“ ist die öffizielle Propaganda eifrig bemüht, immer neue Beispiele und Beweise für die Richtigkeit des Präsidentenwortes vorzuführen:

Am Tag der Bergleute sprach Ministerpräsident Zapotocky in Zwodau im Falkenauer Braunkohlenrevier vor den Anbietern des Medardusschadites, des besten in diesem Revier:

„In den Falkenauer Schächten", so sagte der Ministerpräsident wörtlich, „arbeiten neben tschechischen und slowakischen Arbeitern mehr als ein Drittel deutscher Bergleute. Sie beteiligen sich aktiv an der Aufrichtung des Sozialismus in unserer Republik, ein ansehnlicher Teil hat sich in den sozialistischen Wettkampf eingeschaltet, und einige unter ihnen wurden von Präsident Gottwald in der Prager Burg mit den höchsten Orden ausgezeichnet.“

Vom Tagbau Anton im gleichen Revier brachte kürzlich das „Rudė pravo" einen Bericht, in dem der hervorragende Anteil zweier deutscher Bergleute an der Überschreitung des Planes unterstrichen wird, und auf deutsche Stoßtrupparbeiter und -arbeiterinnen stößt man immer wieder, ob die Meldung nun aus dem Bergbau, der Textilindustrie oder der Landwirtschaft stammt.

Der Monat der tschechoslowakischsowjetischen Freundschaft, der November, soll im Grenzgebiet, also den meist deutsch besiedelten Randgebieten Böhmens und Mährens und in Schlesien gleichzeitig dazu dienen, das Verhältnis zu den „Bürgern der anderen Nationalität“ zu verbessern. So fand dieser Tage unter Teilnahme deutscher und tschedii- scher Bewohner von Böhmisch-Krumau eine „Beseda“ statt — Kameradschaftsabend müßte man das wohl übersetzen, um die gezwungene Atmosphäre wiederzugeben. Eine weitere Aufgabe dieses Monats besteht in der Verbreitung aus Ostdeutschland importierter deutschsprachiger Unterhaltungslektüre und politischen Schrifttums. Und schließlich soll die Woche des deutschen Films nicht nur der Verschleierung des fühlbaren Mangels an tschechischen Filmen, sondern zugleich einem weiteren Entgegenkommen gegenüber der deutschen Bevölkeruni und damit einem Ansporn für weitere Bestleistungen dienen.

Das ostdeutsche „Max-Hütten-Ensem- ble", das in den letzten Wochen die Tschechoslowakei bereiste und in allen größeren Städten gastierte, wurde in El- bogen von tschechischen wie deutschen Zuschauern stürmisch gefeiert; die Begrüßungsansprache hielten in tschechischer Sprache namens des Kreisausschus- ses der Friedensverteidiger der katholische Vikar, in deutscher Sprache ein Bergmann. Die Presse war voll des Lobes über diese Darbietung aus dem Schatz der „reichen deutschen Kultur".

Und wie in Bukarest wieder der „Neue Weg" erscheint, so verfügt auch Prag wieder über eine deutschsprachige Zeitung, „Aufbau und Frieden", die kürzlich eine „gesamtstaatliche Konferenz der Berichterstatter und Leser" veranstalten konnte. Der Komotauer deutsche Bergmann Maximilian Behr, Träger des „Ordens der Arbeit", mußte auch bei dieser Gelegenheit als Aushängeschild herhalten.

Die Aussiedlung vor sieben Jahren — so erfahren wir aus diesem „Wochenblatt der deutschen Werktätigen in der Tschechoslowakei" — ist definitiv abgeschlossen, die Nationalausschüsse sind beauftragt, alle Gesuche der Deutschen um Wiederverleihung der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft beschleunigt zu erledigen. Wer aber starrköpfig ist und staatenlos bleiben will, dürfe sich nicht wundern, wenn man ihn als Feind der befreiten Heimat betrachtet. Wer sich gar noch mit dem Gedanken der Auswanderung trägt, „weil er aus rein sentimentalen Gründen mit irgendwelchen Verwandten in einem anderen Lande Zusammenleben will“, der muß sich sagen lassen, daß er ein ausgesprochener Gegner der Arbeiterklasse ist: „Einem fortschrittlich gesinnten Menschen muß es klar sein, daß er seinen Arbeitsplatz nicht einfach verlassen darf..."

Kann man sich eine stärkere Wandlung vorstellen., als sie sich hier zwischen 1945 und 1952 vollzogen hat? Der internationale Kommunismus freilich hat sich dem westslawischen Nationalismus zuliebe nicht geändert, wohl aber hat er sich zu vorübergehenden Konzessionen herbeigelassen, die reichlich Früchte getragen haben: Was 1945 auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet nie und nimmer von der damaligen bürgerlichen Mehrheit zu erreichen gewesen wäre, das fiel Gottwald und seinen Anhängern als reife Frucht in den Schoß, nachdem sie den Problemen ein nationales Mäntelchen umgehängt haben. Die bürgerlichen Kreise aller weltanschaulicher Richtungen machten sich gegenseitig den Ruhm streitig, Erfinder des genialen Aussiedlungsplanes, der Beschlagnahme und der Verteilung des deutschen und magyarischen Vermögens zu sein, als sie plötzlich zu ihrer nicht geringen Überraschung feststellen mußten, daß die so eingeleitete wirtschaftliche und soziale Revolution auch vor ihren Fabrikhallen, vor ihren Maschinen, vor ihren Feldern nicht halt machte. Nicht einmal die Bezeichnung brauchte man zu ändern: was sich als „Nationalisierung" ursprünglich nur gegen die nationalen Minderheiten gewandt hatte, wurde nun als „Verstaatlichung" mindestens ebenso intensiv fortgesetzt.

In dieser neuen Phase aber, in die die Entwicklung von manchen unbemerkt übergegangen ist, ist das deutsche Arbeitspotential wieder ein sehr erwünschter Faktor. Die verbliebenen Deutschen wurden, da von Rechten ohnedies kaum mehr die Rede sein kann, wieder Gleiche unter Gleichen.

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