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Randhemerkungen zur woche

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IN VERLEGENHEIT UM ETWAS INTERESSANTERES in der heutigen Welt wartet die kommunistische Presse mit der Entdeckung auf, daß gegenwärtig von Vorarlberger Gemeinden „Registrierungen“ der Bevölkerung für — militärische Zwecke erfolgen, im Sinne des „militärischen Kontaktes zwischen den österreichischen Behörden und den Bonner Machthabern“. Die nüchterne Wahrheit ist, daß Vorarlberger Gemeinden, entsprechend einem schon nach dem ersten Weltkriege eingeführten Brauch, Bücher über die Gefallenen und im Velde Gestandenen zu führen, nun mit derselben Bestimmung auch über den zweiten Weltkrieg solche Gedenkbücher für ihre Archive anlegen. — Also eine „Registrierung“ bösartiger Bedeutung. Sicher, nämlich einer neuen kommunistischen Brunnenvergiftung. •

DIE FÜHRENDEN DEUTSCHEN PUBLIZISTEN, die seit 1945 nach Wien gekommen sind, lassen sich au einer Hand abzählen. Um so mehr Beachtung verdient es, daß das Oesterreichische College und sein Forschungsinstitut für europäische Gegenwartskunde vor einigen Wochen den Kritiker und Essayisten Karl August Horst zu einem beachtenswerten Vortrag über Wesenszüge österreichischer Dichtung und soeben Friedrich Sieburg nach Wien brachte. Sieburg, über Europa hinaus durch seine Bücher über Frankreich und Japan bekannt, soeben in Westdeutschland anläßlich seines Buches „Die Lust am Untergang“ heftig diskutiert, sprach über „Literatur und Nation in der Deutschen Bundesrepublik“. Die Anwesenheit dieses „Prominenten“ | (ins dem heutigen Westdeutschland, der sich in j seinem Vortrag ebensosehr kritisch über die heutige £ Kulturprominenz im allgemeinen wie über die gei-& stige und gesellschaftliche Situation in Westdeutschland im besonderen äußerte, ist in mehr ah einer Hinsicht für uns beachtenswert. Sieburgs herbe Kritik am Kulturbetrieb im heutigen Westdeutschland, seine Ausführungen über das Gefährliche, Erregende einer inneren Situation, in der die Massen wie die einzelnen oft keinen Boden unter den Füßen finden und deshalb in eine äußere Geschäftigkeit und Aktivität fliehen, strotzten von Formulierungen, die wir hier nicht wiedergeben wollen, so hart, so enthüllend und auch so einseitig sind sie. Man mag sie im einzelnen in seinem Buche „Die Lust am Untergang“ belegt finden und nachlesen. Es steht dem Außenstehenden nicht an, sich diese Formulierungen anzueignen und sie etwa für die eigene Sache auszubeuten. Wichtiger scheint uns ein anderes: sowohl Horst wie auch Sieburg bekundeten eine ehrliche, ja intime Verehrung für die große österreichische Dichtung der Vergangenheit. Sieburg stand nicht an, Hugo von Hofmannsthal zum Praeceptor Germaniae zu erklären; der heutige Hofmannsthal-Kttlt in Westdeutschland verdient es tatsächlich, in Oesterreich aufmerksam beobachtet zu werden. Nachdem seit den dreißiger Jahren Rilke, in der Kriegszeit dann Adalbert Stifter immer mehr zu den geheimen und auch offen einbekannten Heroen des deutschen Innenraums geworden waren, verehrt von einer Elite von Sehenden und von tausenden Stillen im Lande, die eine Hilfe gegen das Ueberlaute, Brutale und Aggressive der Machthaber suchten, ist in den letzten Jahren Hugo von Hofmannsthal an die Spitze dieser österreichischen Mahner und Wegweiser getreten. Es ist jetzt auch der politische Hofmannsthal, der i n die Gesellschaft und für sie wirkende Mann alteuropäischer Bildung und Selbstverpflichtung, zu dem sich nach Heuss und vielen anderen Sieburg bekennt, dessen Kritik an den innerdeutschen Verhältnissen sichtbar durch seine Erfahrung der Verbindung von Kultur, Geist und Gesellschaft in Frankreich geprägt ist. Mit derselben Offenheit, mit der dieser deutsche Publizist sich über das heutige Deutschland aussprach, bekannte er sein und seiner Fachgenossen Nichtwissen um das heutige Oesterreich. Wie er im freundschaftlichen Gespräch liebenswürdig gestand, ist das Interesse für Oesterreich in der heutigen Bundesrepublik sehr gering; die Reihe angesehener Dichter und Schriftsteller aus Oesterreich, die in Westdeutschland verlegt und gelesen werden, gelten nicht als Oesterreicher und werden kaum als Repräsentanten spezifisch österreichischer Wesensart erkannt. — Hier tut sich also ein weites Feld ungenützter Möglichkeiten auf. Das Forschungsinstitut für Gegenwartskunde, das bereits manchen hervorragenden Gast aus Europa, gerade auch aus Deutschland nach Wien bzw. Oesterreich gebracht hat, zeigt hier Chancen auf, die endlich genützt werden sollten. Ein Oesterreich-Institut in Deutschland, sodann In anderen Ländern, ist ein Erfordernis der Stunde; soll es nicht dem guten oder schlimmen Zufall anheimgegeben werden, die Beziehungen Oesterreichs zu seinen Nachbarn zu vergiften — oder eben im positiven Sinne zu entwickeln.

ZUR VERTEIDIGUNG DER PRESSEFREIHEIT IN SPANIEN hat die katholische Wochenschrift „Ecclesia“, das Organ der Katholischen Aktion, gegen den Informationsminister Gabriel Arias Saigado jüngst entschlossen. Stellung genommen. In einem von dem Minister vorgelegten Gesetzentwurf wurde nicht mehr oder weniger begehrt als das Recht der Regierung, die Zeitungsherausgeber von Amts Wegen zu ernennen. Nicht bald ist in einem Staate ein so primitiver Versuch zur Erdrosselung der Pressefreiheit unternommen worden. Eine redaktionelle Note der „Ecclesia“, die gegen den Gesetzentwurf Stellung nahm, sagte offen heraus: „Die öffentliche Meinung (ausgeprägt durch die Presse) dient dem öffentlichen Wohl nicht nur. wenn sie gutheißt, sondern auch wenn sie die Tätigkeit einer Regierung kritisch prüft Jene, die regieren, sind weder unfehlbar noch fehlerlos.“ Beurteilungen der Tätigkeit einer Regierung, die von den Agenten einer Regierung fabriziert werden, seien „nicht

öffentliche Meinung, sondern Fiktion“. — Nicht zum ersten Male hatte das Blatt gegen das amtliche Zensurwesen und die Einschränkung der Pressefreiheit Stellung genommen. 1951 veröffentlichte „Ecclesia“ einen Vorschlag des Bischofs Herrera Oria von Malaga, der ein Gesetz vorschlug, das die „legitime Pressefreiheit“, also nicht ihren Mißbrauch zu schmutzigem Zwecke, schütze. — Vor einem Monat wurde nun die spanische Oeffentlichkeit durch den Rücktritt des bisherigen Editors der „Ecclesia“, des Monsignore Jesus Irribarum, überrascht; umgehende Kommentare wollten wissen, seine Demission sei erfolgt, weil seine Stellungnahme ohne Klärung der Sachlage mit den kirchlichen Autoritäten erfolgt sei. In gewissem Maße scheint dieser Zusammenhang zu bestehen. Eine am 8. Jänner erfolgte Herausgebernotiz des Blattes bringt eine nicht im Wesen, aber im Tone von der ersten Stellungnahme abweichende Erklärung, die es als tröstlich bezeichnet, daß in Spanien keine antikatholische oder offen pornographische Presse besteht, und dem Minister zustimmt, daß er gegen das System des radikalen Liberalismus in der Presse Stellung genommen habe; anschließend wird aber im Namen der hohen Verpflichtung, welche der Presse zur Erfüllung ihres echten Berufes innewohne, ihr Recht auf freie Meinungsäußerung betont, aber auch die Pressezensur bejaht, vorausgesetzt, daß sie nur in Ausnahmsfällen und ohne Willkür geübt wird. — Die widerspruchsvolle Bruchlinie, die den spanischen Katholizismus durchzieht, scheint hier wieder auf.

DER SCHRIFTSTELLER, DER NICHT GEGEN SEIN GEWISSEN, gegen seine erarbeiteten und erkämpften Ueberzeugungen Kompromisse schließen will und kann, der ist wahrhaftig ein seltener Vogel, und es scheint oft so, daß er im rauhen Klima der allmächtigen Politik auch in westlichen, sonst milderen Gegenden' immer seltener wird. Darum verdient der Fall des ungarischen Dramatikers und Romanciers Läszlö Nemeth zumindest die schüchterne Erwähnung am Rande. Er ist kurz erzählt. Läszlö Nemeth schrieb nach, fünf- bis sechsjährigem Schweigen ein Theaterstück über die letzten Tage Petöfis. Dieser Einakter wurde gedruckt, auch im Rundfunk gespielt. Nun aber regte sich die Parteipresse. Ihre Kritik fiel scharf und bündig aus. Nemeth wurde vorgeworfen, daß er Petöfi als einen zaudernden Egoisten, als

Weintrinker bevorzugen Kalsdorfer Sauerbrunn

Opfer seiner Umgebung darstellt und nicht als den nationalen Helden, der sein Leben selbst für die bereits untergehende Sache der Revolution mit Freude hinwarf. (Daß 1S49 selbst Kossuth flüchtete, wird von diesen kommunistisch-neonationalistischen Kritikern schamhaft verschwiegen.) Petöfi, so steht es nämlich bei Nemeth, möchte auch nach 1849 leben und dichten. Er wird aber von seiner Umwelt zur Stellungnahme gezwungen, auf das Schlachtfeld gejagt, wo er bekanntlich kurz darauf starb. Nein, kein Stück, keine Problematik für Kinder. Aber „wer behauptet, daß unsere gesamte Literatur Jugendliteratur sein soll?“ fragt Gyula lllyes, der Dichterkollege, der sich schützend vor Nemeth stellte. Umsonst. Umsonst auch die (auch von Ulyes zitierten) Moskauer Beschlüsse der Sowjetschriftsteller über die Rechte des Dichters zur individuellen Darstellungsweise. Petöfi hat Klischeefigur zu bleiben und der Schriftsteller nach vorgedruckten Figuren zu arbeiten. Und der vielgerühmte neue Kurs des Ministerpräsidenten Nagy? Ohne ihn wäre wohl diese klare Demonstrierung der Grenzen nicht möglich gewesen, die zu überschreiten etwa noch vor zwei Jahren niemandem eingefallen wäre. Einer der Parteiliteraten schrieb zum Schluß seiner scharfen Ausfälle gegen Nemeth: „Für sein verfehltes Werk gebührt dem Dichter bloß Kritik.“ Kein Lager und Gefängnis also im neuen Kurs. Ein wahrer Fortschritt, für den der

Dichter dankbar sein soll. ..

1R1AN, wie der indonesische Name für Holländisch-Neuguinea lautet, ist ein riesenhaftes, aber nur wenig erschlossenes Gebiet, das von einer fünftel Million Menschen bewohnt wird. Trotzdem geht darum ein erbitterter Streit zwischen der Republik Indonesien und den Niederlanden, dessen Schlichtung nun von der UNO versucht wird. Indonesien stützt sich darauf, daß dieses Territorium immer von Batavia Hetzt Djakarta) aus verwaltet wurde und daß die Gewährung der Souveränität an Indonesien im Dezember 1949 an diesem Zustand der Einordnung nichts geändert habe. Holland wieder verweist darauf, daß die Bevölkerung Neuguineas, die Papuas, rassisch nichts mit den Indonesiern zu tun haben und daß die Insel geographisch und ethnographisch tatsächlich der australisch-pazifischen Inselwelt zugehört. Kritisch wurde die Auseinandersetzung, als eine kleine indonesische Infanterieeinheit heimlich auf Neuguinea landete, um dort die Bevölkerung gegen die Holländer aufzuwiegeln und eine Partisanenbewegung ins Leben zu rufen. Der Streit um dieses Territorium gewinnt dadurch eine gewisse Bedeutung, daß Großbritannien und Australien die Ausbreitung einer asiatischen Macht im Vorfeld des fünften Kontinents nicht zugeben wollen. Australien, menschenleer und gerade in den nächstliegenden Distrikten wenig besiedelt, reagiert mit seismographischer Empfindlichkeit auf das stete Vordringen weit überlegener asiatischer Völkermassen. Australien fördert nun wohl, um die Gefahren des Vakuums zu bannen, energisch die weiße Einwanderung. Aber wie lange wird es dauern, bis dieser Erdteil auch nur 20 Millionen Einwohner zählen wird'' Und das unabhängig gewordene Asien rückt inzwischen schrittweise näher . ..

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