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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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HEIMKEHRER = HEIMKEHRER) In diesen Tagen wird das ehrliche Mitgefühl aller Oesterreicher gegenüber den späten Heimkehrern aus fremder Getangenschatt weidlich mißbraucht. Die Sicherheitsbehörden haben einige Männer, die im Verdacht schwerer Blutschuld stehen, in Untersuchungshaft genommen. Eine objektive Untersuchung, die seinerzeit von der russischen Besatzungsmacht unterbrochen wurde, soll klären, ob die Anschuldigungen zu Recht bestehen oder nicht. Da es sich bei den Verhafteten um Leute handelt, die von den Russen erst voriges Jahr freigegeben wurden, wird von gewisser Seite die fatale Gleichung Heimkehrer = Heimkehrer aufgestellt und an das gute Herz der Oesterreicher appelliert. Merkwürdig nur, daß sich auch Politiker der ersten Regierungspartei u solchen Vernebelungsmanövern hergeben. V/enn jemand unter so schwerem Ve'dachf steht, so ist es naheliegend, dafj er von sich selbst aus alles zu seiner Rechtfertigung vor einem objektiven Forum unternimmt. Waren die Angeschuldigten wirklich nur untergeordnete Werkzeuge eines unmenschlichen Regimes, dann wird man ihre Schuld durch die langen Jahre fremder Gefangenschaft ruhig für verbüßt halten. Etwas anders schaut die Sache freilich aus, wenn es sich um die Initiatoren des Mordes an unschuldigen Menschen handelt. Eine objektive Untersuchung wird hier jedenfalls Klarheit schaffen.

IN EIGENER SACHE müssen heute die Journalisten von Wochenzeitungen an die Adresse des Finanzminisfers sprechen. Es ist ein offenes Geheimnis, daß Oesterreichs Journalisten bis heute noch nicht jenen materiellen und sozialen Status zurückgewonnen haben, den sie einst vor 1938 besessen hatten. Als kleiner Stand von wenigen Tausenden waren sie Stiefkinder der Entwicklung des letzten Jahrzehnts, die nur allzuoft allein den Wünschen und massiven Forderungen grofjer Interessenverbände Rechnung trug. Als ein letztes Delikt der Förderung journalistischer Arbeit durch die Oeffentlichkeit war ein gewisses Entgegenkommen der Finanzverwaltung geblieben, der sich in der steuerfreien Anrechnung von Werbungskosten ausdrückte. Zu Beginn dieses Jahres wurde nun plötzlich eine Teilung vorgenommen. Redakteure der Tageszeitungen erhielten auf Ansuchen wieder ihr Werbungskosfenpauschale für 1956, Redakteure der Wochenzeilungen wurde dies nur für das erste halbe Jahr bewilligt. Im Juni sollten sie wiederkommen .. . Abgesehen davon, dafj diese Mafjnahme leicht als Diskriminierung empfunden werden könnte, so liegt sie bestimmt nicht auf der Linie der vom Minister doch stets befürworteten Verwalfungsvereinfachung. Dazu kommt, dafj es sich in ganz Oesterreich um höchstens 300 Personen handelt. Wenn in diesen Tagen also Vertreter der österreichischen Journalistik beim Finanzminister vorsprechen, so darf man erwarten, dafj dieser frei von bürokratischer Hemmnis einer kleinen Gruppe eines kleines Standes sein Verständnis nicht versagt.

DIE KRISE DES DEUTSCHEN REICHTUMS. Wer hätte vor zehn Jahren, im Frühsommer 1946, zu prophezeien gewagt, dafj 1956 ein deutscher Bundeskanzler sich mit seinen gewichtigsten Paladinen, denen er seinen Wahlerfolg im Innern und ein gut Teil seines außenpolitischen Gewichts verdankt, nämlich mit seinem Finanz-und Handelsminister entzweien würde — weil er sich mit ihnen über die Steuerung des deutschen Reichtums nicht einigen kann? — Nun ist es Wirklichkeit, und all Aussprachen, viertel, halbe und ganze Versöhnungen haben bisher nicht vermocht, die Unruhe in weiten Kreisen der Bevölkerung zu beseitigen. Fangen wir „unten“ an: die Hausfrau und der Arbeifer fürchten, dafj die Kaufkraft der D-Mark schwindet, und fühlen sich bestärkt in dieser Angst durch steigende Preise (vergleiche Oesterreich). Die Börse reagiert nervös; die Führer der Industriellen und der mittleren Unternehmerschaft hielten gereizte Reden, die durch eine Rede des Kanzlers im selben Tone gekrönt wurde. — Das Dilemma läfjf sich auf folgende Momente zurückführen: in Westdeutschland herrschen Geldüber-schufj und Geldknappheit zugleich. Die öffentlichen Guthaben, aus den Steuererträgnissen der letzten Jahre, haben 9 Milliarden DM erreicht. Diese Gelder erscheinen aber praktisch eingefroren, wenn sie auf den Markt geworfen würden, würden sie die deutsche Wirfschaft stören, da dem Geld nicht genügend Waren und Pro-duktionskräffe entsprechen. Das „überflüssige“ Geld muh also irgendwie abgeschöpft werden; der Konjunkturzähmungsplan der Regierung, von dem man seit einem Jahr spricht, der aber noch nicht der Oeffentlichkeit vorgelegt wurde, da er in der Regierung heftig umstritten ist, sieht denn auch eine Art Zwangssparen vor, durch Steuerbegünstigungen. Auf der anderen Seile klagen viele Unternehmungen über Geldmangel, sie vermögen kurzfristige Kredite in den Endkosten nur für 10 Prozent zu erhalten. Geld aber brauchen sie, um ihre Werke ausbauen zu können, da sie sonst ihren ausländischen Auftragsverpflichtungen nicht nachkommen können, — Bundeskanzler Adenauer möchte nun gerne Geld flüssig gemacht sehen: die Wahlen stehen am Horziont. Bundeswirf-schaffsminisfer Erhard hat sich nun bereits seif langem den Zorn des Kanzlers und „seiner“ Industrie zugezogen, da er unter anderem durch Zollsenkungen den deutschen Markt mit mehr Gütern versorgen wollte: worauf die protektionistischen Industriellen und Landwirte Alarm schlugen — und erreichten, dafj sich der Kanzler auf ihre Seite schlug. Mit dem Finanzminister Schäffer währt ein alter Kleinkrieg, da dieser darauf besteht, die DM durch strenge Schutzmaßnahmen zu hüten, während die Parteipolitiker der CDU und Dr. Adenauer selbst, dem ungestümen Drängen dieser und jener geldbedürftigen Gruppen entgegenkommen wollen. — Im gegenwärtigen Moment ist noch nicht abzusehen, wie die Krise des deutschen Reichtums gelöst werden wird. In einem größeren Blickwinkel gesehen, koinzidierf der Führunqsstreit in der deutschen Bundesregierung, der Kampf um politische Macht und Wirf-schaffsmacht und deren Orientierung denkwürdig mit dem Ringen um eine neue europäische Politik im Westen und um eine Neugeslaltuna der NATO. Es rollt zuviel Geld in Deutschland und um Deutschland. Dieses Geld muß kontrollier werden, da es sonst nicht den Wettbewerb mit dem rollenden Rubel aufnehmen kann, der auf den großen asiatischen, afrikanischen und jetzt auch südamerikanischen Märkten versucht, Westdeutschland Konkurrenz zu machen.

AKTIVE KOEXISTENZ. Für viele Mitteleuropäer ist das Wort „Koexistenz“ immer noch ein Bürgerschreck. Sie fürchten es wie den Teufel, da sie in ihm nur seine Tarnung zu sehen vermögen; ein Mittel also, um sie zu übertölpeln, zumindest um ste im Schlafe zu stören, oder um sie noch mehr einzulullen. Was aktive Koexistenz in freiheitlichem Sinne bedeuten kann, bewiesen vor kurzem französische Sozialisten, die zu einer der üblichen Rundreisen durch die Sowjetunion eingeladen waren. Einer von ihnen benutzte die Gelegenheit, vor den Arbeitern der Kaganowitsch-Werke zu sprechen, um ein Loblied auf das — in der Sowjetunion nicht existierende — Streikrecht anzustimmen. Noch weiter ging in einer Rede in der großen Aula der Moskauer Sfaatsuniversifät der bekannte politische Denker des französischen Sozialismus, Andre Philip. Er hatte: sich als Bedingung für die Annahme der Einladung nach Rußland einen politischen Vortrag eben daselbst ausgebelen. Der Saal war, wie die katholisch-konservative „Schweizerische Politische Korrespondenz“ meldet, zum Bersten voll von Studenten und Professoren, welche nachher gestanden, noch seifen so efwas Interessantes gehört zu haben. Auch Philip, verteidigte das Sfreikrechf, und nannte es eine reaktionäre Maßnahme, den Streik in den verstaatlichten Betrieben abgeschafft zu haben. Er forderte freie Wahlen in Ostdeutschland und lobte den Schuman-Plan als ein Bollwerk gegen die Monopole. „Kein Mensch und keine' Klasse darf beanspruchen, von sich aus und allein zu bestimmen, wie es im Staate aussehen soll — aus dem Grunde,.weil es keine absolute .politische Wahrheit gibt“. Folglich müsse jedes Individuum seinen eigenen Weg gehen dürfen. — Es ist verständlich, daß die Moskauer Professoren und Studenten diesen Vortrag aufmerksam zugehört haben. Wir können nicht sagen, welche Konsequenzen sie für sich aus !hm zu ziehen versuchen werden. Wohl aber haben wir festzuhalten, welche Konsequenzen unsere österreichischen prominenten und weniger.prominenten Rußlandfahrer aus ihnen ziehen sollten, wenn sie ihre Gastgeber und sich selbst ehren wollen: sie haben in dem französischen protestantischen Sozialisten Andre Philip und seinem Fraktionskollegen ein Vorbild, einen Wegweiser, den sie nicht übersehen sollten.

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