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Randhemerkungen zur woche

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TRAUUNG OHNE STANDESAMT STRAFLOS? Diese Kunde ereilt uns nicht aus dem österreichischen Parlament (dessen Mitglieder in der überwiegende Mehrheit des Bekenntnisse katholisch sind), sondern vom Rechtsausschuß des Bonner Bundestages (dessen Mitglieder mehrheitlich nicht katholisch sind). Auf Antrag des CDU-Abgeordneten Weber aus Koblenz am Rhein strich dieser Ausschuß den Paragraphen 67 des Personenstandsgesetzes, der die Bestimmung enthielt, daß Geistliche, die eine kirchliche Trauung vor der standesamtlichen Eheschließung vollziehen, mit einer Geldstrafe bedroht werden. (Zur Androhung des Gefängnisses hatte es selbst dieser Paragraph nicht gebracht.) Wie die deutschen Blätter meiden, wird diese Entscheidung bereits demnächst im Plenum des Bonner Bundestages Anlaß zu heftigen Auseinandersetzungen geben, da die Opposition soeben einen Fall aus der Gegend von Regensburg zur Sprache bringen will. Wie dem immer sei: die Dinge geraten in Fluß. In Westdeutschland, während sie bei uns (H Oeterrefch, trotz vieler verdienstlicher Aktionen, einzuschlafen scheinen. Alt ein kleines Memeuto — nicht ein memento mori, sondern ein memento vivere et agere, zu deutsch: lebt und handelt richtig, rechtschaffen, ihr Politiker und ihr Staatsbürger, die ihr euch zu eurem Glauben bekennt — sollte das nicht übersehen werden an der Donau, was da eben am Rhein, zwischen Koblenz und Bonn, in Eluß gekommen (lt.

DIE VOLKSERHEBUNG GEGEN DIE SOZIALVERSICHERUNG Ist wahrlich kein Polittkum, sondern der Ausdruck der tiefgreifenden Unzufriedenheit der Massen nicht mit der Institution an sich, sondern mit der Art der Führung, die zu einem guten Teil zu einem „zweiten Büro“ der Partei-zentralen geworden Ist. Man „macht“ eben in Sozialpolitik, so wie man gestern in Importware oder in Eisenwaren „gemacht“ hat. Vielfach geht es nicht um den Menschen, um dessentwillen man in den SozIalversfcherungslMStltHte engagiert Ist; manchen dienen diese Institute nur zu einem billige Broterwerb, dem man mit der gleichen Inbrunst nachgeht, wie gestern einem anderen Geschäft. Ein Fall spreche für viele: Der 16jährigen Schillert Z., ohnedies bereits Halbwaise, stirbt auch noch die Mutter. Das nunmehr unversorgte Mädchen hat Anrecht auf eine Sozialversicherungsrente. Um diese anzusprechen, bedarf es jedoch der Ernennung eines Vormundes. Zur Ernennung des Vormunde wieder bedarf es einer gerichtlichen Prozedur, deren Erledigung nun schon über zwei Monate dauert. Indessen geht aber das leben weiter-, und die Schülerin lebt auch noch. Scheinbar irrtümlich. Wenn es mit rechte Dingen zuginge, mftf?te das Mädchen schon wegen des „dortamtigen“ Tempos In der Erledigung ihrer Ansprüche verhungert sein. Das Faktum des schier afmberaubenden Tempos mit dem z. B. bei Todesfälle an die (meist) in Not befindlichen hinterblle-benen Angehörigen Vorschüsse oder Renten flüssig gemacht werden, zeigt den Gegensatz zivfsche „so-zial“ und ..Sozial“-Instituten, zwischen sozialem Verhalten und Sozialapparatur. Die zu weitgehende VerbeawtMHg und Verbürokratisierung der sozialen Fürsorge, die soziale Betreuung über den Schalter hfwweg, läßt die Forderung nach einer Vermensch-Ziehung in der Führung des Apparates der Sozlal-insiitute Immer dringender werden. Der Sozialbeamte muß, zum Unterschied von manchen anderen Beamtenkategorien, zuvorderst helfender Mensch sein. Seinem Talent ist es überlassen, notwendiges bürokratisches (und aus diesem Grund wohltemperiertes) Handeln mit der Bedaehtnahme auf die jeweilige soziale Situation zu verbinde. Die Tatsache, daß Hinterbliebenen die Zahlung (von später ohnedies verrechenbaren Vorschüssen) durch Monate vorenthalten wird, ist einer der sozialen Skandale dieser Zeit. Daß In einer solchen Situation die Errichtung von Büropalästen in weiten Kreisen als Provokation empfunden wird, kann nur dem Sezlalmänager unverständlich bleibe.

ANLÄSSLICH DES BESUCHES EINER EVANGELISCHEN KIRCHENDELEGATION aus der CSR in Ost- und Westdeutschland hat Professor Doktor Hromurffc, der bekannte pietestaHtfsche Theologe des Prager Regimes, an Bischof Dfbellu als Ratsvorsitzenden der Evangelische Kirche Deutschlands das bisher im Safe einer Prager Bank untergebrachte Bfseho/skreuz übergeben, das Dr. Wehrenpfennfg, der letzte evangelische Ktrchenfürst der Sudetendeutschen in Böhmen und Mähren bis 1945, bis zu seiner Enthebung vom Amt getragen hafte. Professor Hromadka erklärte bei der Uebcrgabe, dies sei das „ZefcheH elei Ntuanfangs“. Daß dltttr „Neu-c/ag“ — ein freundschaftlicher Kontakt iwlschen den Volksdemokratien und den nach dem Krieg aus dem Osten angesiedelten Sudeten- und Volksdeutschen aller Art — vom Moskau dringend verlangt wird, ist aus dem Artikel des stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR, Otto Nuschke, In der Leipziger Öst-CDU-Zeftung „Dfe UhIöh in sensationeller Weise tu ertehtn. Wahrend bisher in itr DDR die ausgesiedelten Sudetendeutuhen nur als „Umsiedler“ bezeichnet werden durften, erklärt Nuschke mm, daß es „Hefmfltvertrtebene“ gebe, deren Schicksal sehr hart sei: viele von ihnen seien unschuldig betroffen werde. Mit der Vertreibung habe der Kommunismus nichts zu tun: die Behauptungen, die UdSSR sei für die Austreibung verantwortlich, nennt Nuschke Gesehlchtsfa'lsthuHg. Die Verantwortung für die Vertreibung aus Sudetenl&nd und Odcr-Neiße-Gebieten trefft die „bürgerlichen Regierungen“: ihre Maßnahmen konnten von den „nachfolgenden Regierungen der Arbeiter und Bauern natürlich nicht mehr rückgängig gemacht werden“, die Sich somit „bei ihrer Aufbauarbeit an die vollzogenen Tatsachen halten mußten“. Diese Wendung in der östlichen Terminologie und in der vorauszusehenden Behandlung der Aussitdlungsfrage der Sudeten- und Volksdeutschen Im Sinne der Koexistenz findet eine tschechische Parallele in den Vorgängen anläßlich der Zehnjahresfeiern der Befreiung Jugoslawiens in der kroatischen Stadt Hercegövce. Hcrzcgovce hat eine größere tschechische Minderheit, die ein Masaryh-Haus und eine Benesch-Schule ihr eigen nennt. An der Feier nahmen nun neben der tschechischen Minderheit der Stadt der offizielle tsrhechoslowakisclte Gesandte in Belgrad, Pithari, vnd einer Delegation der kommunistischen Prager Gewerkschaftszentrale, auch offizielle Vertreter der Wiener tschechischen Minderheit, die sich vom Präger Regime distanzieren, so namentlich der Vertreter des Wiener Sokol-Gaues Nekovar, in Eintracht teil. Nekovar lud die Jugoslawen zum bevorstehenden Kongreß der Wiener Sokoln ein, der als dir „Kongreß des freien Sokol im Ausland“ firmiert: der Wiener Sokol ist Mitglied der „Zentrale des tschechoslowakischen Sokols Im Ausland“, an deren Spitze der aus der CSR geflohene Dr. Antonin Hrebik steht, der Leiter der antikommunistischen Sokol-Sendung im Radio Freies Europa. Dieses „Zusammentreffen“ von Regierungs- und Exiltschechen ist im Sinne der Wünsche Moskaus — eine Art Beispiel, wie es sich das Nebeneinander der DDR mit der Bonner Bundesrepublik vorstellt,

ÄGYPTEN SUCHT SEIT JAHREN seine Amte mit modernen Waffen auszurüsten. Es will dabei seint weltpolitische Neutralität wahren, der es sich anläßlich der Unterredungen zwischen Nasser und Tito verschrieben hat. Diese schließt nun eine lokale Revanche für die Niederlage im Negev nicht aus. Also möchte man die Armee technisch auf den Stand bringen, den die israelischen Truppen aufweisen. Der Westen war aber bis jetzt eher zurückhaltend mit Waffenlieferungen, eben weil er es nicht recht verstand, gegen wen sich Aegypten rüsten will. Rußland ist weit vom östlichen Mittelmeer entfernt, und was Israel anbelangt, haben sich die drei führenden Westmächte im Jahre 3950 zur Aufrtchterhaltung des „Status quo' gegenüber jedem lokalen Störenfried verpflichtet. Man sah dies in Moskau und machte verlockende Anträge in Kairo. Dieses griff zu und Washington konnte nur erklären, daß es Aegypten als souveränem Land freistehe, Waffen wo immer tu kaufen, daß man aber dieser Entwicklung nicht ohne Besorgnis gegenüberstehe. Heute hat das Weiße Haus doppelt Ursache, Bedenken zu zeigen, denn man erfährt, daß Moskau auch Saudi-Arabien Waffen zum Ankauf angeboten hat. Oberst Nasser aber kann sich vergnügt die Hände reiben und mit gutem Gewissen erklären, daß er entweder von beiden rivalisierenden Gruppen Waffen kaufen wird oder von keiner, denn er ist ein ehrlicher Brutus .. . Gewiß, denn er kann sicher sein, daß Rußland die Offerte aufrechterhalten wird, um im Nahen Osten polltisch Fuß zu fassen. Also wird den Amerikanern nichts anderes übrigbleiben, als auch ihrerseits Waffen zu verkaufen. Der Leidtragende aber wäre das verhaßte Israel. Nun kommt der Deux es machina, der im Nahen Osten gerne die Gestalt eines Bohrturmes annimmt. Im Negev vermutete man schön immer Röhölvötkömmen, fand sie aber nicht. Diesmal jedoch haben sich die Bohrungen als fündig erwiesen. Das Öel ist von ebenso guter Beschaffenheit wie das irakische Oel (mit dem es geologisch zusammenhängen könnte). Nun zeigt die Geschichte der letzten Jahrzehnte, daß die Westmächte jedes Land, das Rohöl liefern kann, mit besonderem Entgegenkommen behandeln. In der internationalen Hierarchie stellt der Rohölexport einen Adelstitel dar; wer ihn besitzt, kann seine Stimme laut werden lassen. Sollte also der Negev zur Schaubühne für den wirtschaftlichen Film „Die Wüste lebt“ werden, so müßten die Weltmächte dafür sorgen, daß das erhöhte ägyptische Militärpotential Israel nicht bedroht, zumal das Oel eben im israelisch-ägyptischen Grenzgebiet gefunden wurde. Bohrtürme und Panzerwagen vertragen sich bekanntlich nicht gut miteinander! Die Wittmächte hätten auch — zu ihrem Glück und zum besseren Gedeihen der großen westlichen Oelgesellschaften, dfe am Negev interessiert sind — eine bequemt Handhabe, um vermittelnd einzugreifen, nämlich dit besagte Verpflichtung vom Jahre 1950, für den „Status quo“ zu sorgen. Ob Kairo, wo man gern Prestfgepölftffc macht, so rasch nachgeben würde, ist fraglich, aber Jordanien hat schon wiederholt Anwandlungen gezeigt, sich mit Israel zu verständigen, und auch der Libanon denkt viel eher kaufmännisch als kriegerisch. Das israelische Rohöl könnte so in ettttr Reihe die ohnehin rissige arabische Liga sprengen — oder Aegypten veranlassen, etwas prestigepolitischen Ballast abzuwerfen —, und hernach könnte versucht werden, in langsamer, geduldiger Detailarbeit angesammelte Erbitterung mf beiden Seiten abzuleiten. Rohöl hat schon oft große internationale Spannungen verursacht, diesmal könnte es das gestörte Gleichgewicht au einer besonders unruhigen Stelle der Welrpolltik wiederherstellen.

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